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Glanz und Elend der Fabrikherren

16.08.2010, 00:00 Uhr
Glanz und Elend der Fabrikherren

© Stadtarchiv Nürnberg

Die Virchowstraße, die seit der Erweiterung des Stadtparks 1905 unmittelbar an diese gepflegte Anlage grenzte, war eine der vornehmsten Adressen im Norden der Stadt. Sicher war die Nähe zum damals in der Creussner- straße gelegenen Nürnberger Verwaltungsgebäude der Papierwerke mit bestimmend, zugleich aber reihte sich Rosenfelders Villa in die Wohnsitze wichtiger Nürnberger Fabrikanten ein.

Die neuen Nachbarn repräsentierten die bedeutenden Wirtschaftszweige der Stadt: Die Villa Nr. 15 gehörte einem Fabrikanten der seinerzeit weltweit führenden Nürnberger Pinselindustrie, Jean Schramm, dessen Name als Pinselmarke noch heute für Qualität bürgt. Gleich nebenan in Nr. 17 residierte der Handelsrichter August Ertheiler, Generaldirektor der heute vor allem durch ihren Glühwein bekannten Firma Vollrath. Auch Ludwig Kreutzer, der künftige Nachbar Rosenfelders in der im Bau befindlichen hochherrschaftlichen Villa Nr. 21, war als Besitzer der Bleistiftfabrik J S. Staedtler eine wichtige Persönlichkeit im bayerischen Wirtschaftsleben.

Klassik und Art déco

Auf dem Grundstück Nr. 23 baute gleichzeitig der Hopfenhändler Karl Kohnstamm eine Villa mit Giebelfassade und großer Freitreppe zum Garten hin. Die Pläne stammten hier, wie auch bei der Villa Rosenfelder, von dem jüdischen Architekten Albert Mayer, der klassische Architekturformen mit der Ornamentik des Art déco kombinierte. Auf der anderen Straßenseite wohnte in der Villa Nr. 22 Eugen Kirschbaum, der Besitzer der Dampfziegelei Eltersdorf. Im Haus Nr. 14 lebte der Großkaufmann Jakob Heimann, Mitinhaber der Webwarengroßhandlung Heimann in der Celtisstraße, an die in diesem Jahr bei der Maikundgebung des "Bündnis gegen Rechts" erinnert wurde.

Die Namen von Rosenfelders Nachbarn geben Aufschluss über den großen Anteil jüdischer Fabrikanten am Nürnberger Wirtschaftsleben. August Ertheiler war noch 1940 als Eigentümer von Nr. 17 im Nürnberger Adressbuch verzeichnet, obwohl er 1939 in die Schweiz emigriert war. Ab 1941 lautete der Eintrag "BAST AG Hefefabrik, Spiritus, Nährmittel". Ab 1952 wohnte Ertheiler im Nachbarhaus Nr. 15, nachdem er im Mai 1951 die Villa an Max Grundig verkauft hatte, der nach der enormen Umsatzsteigerung seiner Firma auf über 100 Millionen Mark ein repräsentatives Domizil suchte. Grundig ließ die gut erhaltene Villa für seine Bedürfnissen umbauen. Ertheiler starb, mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, im Jahre 1960 und musste nicht mehr miterleben, wie seine Villa 1977 abgerissen wurde, um einer modernen Wohnanlage Platz zu machen. Auch Karl Kohnstamm blieb noch lange als Besitzer der Nr. 23 im Adressbuch eingetragen.

Der 1934 beigefügte Vermerk "außerhalb" bezieht sich auf den von Oktober 1933 bis März 1936 währenden Aufenthalt Karl Kohnstamms und seiner Frau Emma in Garmisch-Partenkirchen. 1938 wird als Wohnsitz Kohnstamms "England" erwähnt, wohin wohl die ganze Familie emigrierte. Beim Angriff vom 2. Januar 1945, der die benachbarte Staedtler-Villa dem Erdboden gleichmachte, wurde die Ostseite des Hauses durch eine Sprengbombe aufgerissen. Reparaturen und Umbauten veränderten das Innere bis auf das Treppenhaus völlig. Demnächst soll die Villa nach über zehnjähriger Restaurierung wieder bezogen werden. Die Villa Kirschbaum wurde von der Gestapo beschlagnahmt, 1942 und 1943 nennen die Akten der Bauordnungsbehörde und des Kriegschädenamtes aber mehrfach die Firma Metall-Guß und Presswerk Heinrich Diehl GmbH. 1945 von der Besatzungsmacht beansprucht, war die Villa noch im Mai 1947 belegt. Von Amerika aus machte das Ehepaar Kirschbaum seine Ansprüche geltend, um das durch Sprengbomben beschädigte Haus wieder aufbauen zu können. Heute wird die im Inneren völlig umgestaltete Villa als Privatschule genutzt.

Hetze gegen die "Camelia-Juden"

Als Reaktion auf den Nationalsozialismus hatte Emil Rosenfelder seine Kontakte nach England intensiviert, was ihm prompt als Devisenvergehen zur Last gelegt wurde. Auch mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und des Betrugs wurden die Brüder Rosenfelder ab dem Sommer 1933 gezielt unter Druck gesetzt und zur Flucht nach England genötigt. Die Hetze gegen die "Camelia-Juden" gipfelte in einer Titelgeschichte des "Stürmer", dessen Stimmungsmache die Beschlagnahmung des Vermögens und die Einsetzung eines Abwesenheitspflegers vorantrieb.

Unter erheblichem Druck der Gauleitung wurden die Aktien im April 1934 günstig an Gustav Schickedanz verkauft. In weiteren Verfahren gegen Aktionäre der Vereinigten Papierwerke trat auch Benno Martin, der spätere Polizei- und Gestapochef Nürnbergs, auf. Ausgerechnet Martin bezog 1936 die inzwischen als "Dienstvilla" der Nürnberger Polizeiverwaltung fungierende Villa Rosenfelder, in der außerdem mehrere Angehörige der Schutzpolizei wohnten.

Rotes Kreuz auf dem Dach

Nach einem 1942 erlittenen Bombenschaden ließ Martin das Haus in einer Tarnfarbe streichen und durch ein rotes Kreuz auf dem Dach fälschlich als Lazarett kennzeichnen. Diesen Vorsichtsmaßnahmen war es wohl zu verdanken, dass im Januar 1945 beim großen Bombenangriff auf Nürnberg das Anwesen verschont und statt seiner die Staedtler-Villa durch mehrere Treffer vollständig zerstört wurde. Die Residenz des Polizeichefs erlitt nur geringe Schäden, wie aus den Akten des Kriegsschädenamtes hervorgeht. Dort machte Rosenfelder 1948 seine Ansprüche geltend, 1949 war die Villa schon nicht mehr in seinem Besitz. 1958 kaufte sie der Nürnberger Stadtkämmerer Georg Zitzmann, der bereits 1946 als Mieter eingezogen war.