Schutz fürs Erbgut Krebs vorbeugen? Die Nasa hat Interesse

9.6.2017, 11:07 Uhr
Schutz fürs Erbgut Krebs vorbeugen? Die Nasa hat Interesse

Astronauten, die zum Mars fliegen wollen, müssten zahllose Strapazen auf sich nehmen. Nicht nur Langeweile, Enge, fehlende Sozialkontakte oder technische Unwägbarkeiten drohen – sie würden auf der monatelangen Reise durchs All auch massiv ihre Gesundheit riskieren. Ihre Körper wären kosmischer Strahlung ausgesetzt, gegen die es kaum Schutz gibt. Ein solches radioaktives Dauerfeuer setzt aggressive Radikale frei und lässt die DNA in den Zellen brüchig werden. Gewebe kann dadurch zugrunde gehen oder Schäden ansammeln, bis Zellen entarten und sich beispielsweise bösartige Tumore bilden.

Zwar besitzen Zellen Reparaturmechanismen, die solche Erbgutschäden, die in jedem Lebewesen auftreten, kitten können. Aber auf einen so dauerhaften Angriff von außen, wie es bei einem Marsflug wäre, ist das körpereigene System nicht ausgelegt. Dazu kommt, dass die Fähigkeit der Zellen, geschädigte DNA wieder instand zu setzen, mit zunehmendem Alter generell abnimmt. Wie hilfreich wäre es, könnte man das Reparatursystem medikamentös hochregeln und den Pionieren im All damit einen Schutzschild gegen die Strahlung liefern.

Das ist gar nicht so unwahrscheinlich, sagt Clemens Steegborn. Der Biochemiker der Universität Bayreuth hat kürzlich in einer Kooperation mit Wissenschaftlern der Harvard Medical School in Boston und anderen US-Forschungseinrichtungen einen wichtigen Schritt in diese Richtung gemacht – der tatsächlich auch die Nasa interessiert.

"Wir beschäftigen uns schon seit Jahren mit Proteinen, die an Alterungsprozessen beteiligt sind", sagt Steegborn. Dabei ist das Molekül Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid, kurz NAD+, ins Blickfeld geraten. Es war bisher vor allem als wichtiger Mitspieler im Energiestoffwechsel der Zellen bekannt. Doch NAD+ kann offenbar noch viel mehr, wie die Wissenschaftler im renommierten Fachblatt Science beschrieben haben. Es funkt nämlich in der Zelle an entscheidender Stelle dazwischen – und zwar dann, wenn die Eiweiße PARP1 und DBC1 aufeinandertreffen. Und hat damit wohl entscheidenden Anteil daran, ob geschädigte DNA wieder repariert wird.

PARP1 kann man sich dabei wie einen Hausmeister vorstellen, der unentbehrlich für die Instandsetzung bestimmter DNA-Schäden ist. Trifft PARP1 jedoch auf DBC1, docken beide Proteine aneinander an und verbinden sich zu einem Klumpen. PARP1 kann so nicht mehr arbeiten. In der Folge sinkt die Reparaturquote, DNA-Schäden sammeln sich an.

Schutz vor dieser unguten Verbindung bietet NAD+. Ist es ausreichend vorhanden, drängt es sich zwischen die beiden großen Proteine und löst die Bindung wieder auf – oder blockiert die unselige Liaison gleich von vornherein.

Ein ausreichend hohes Level an NAD+, schlussfolgern die Wissenschaftler, könnte also Erbgutschäden minimieren, weil PARP1 ungestörter arbeiten kann. Da der NAD+-Spiegel im Lauf des Lebens sinkt, ließe sich damit auch erklären, warum Schäden am Erbgut in höherem Alter weniger effektiv repariert werden.

Bei Mäusen hat sich diese Theorie bereits bestätigt. Die Forscher verabreichten dafür älteren Mäusen zunächst eine Vorläufersubstanz von NAD+, danach wurden die Tiere beträchtlicher Röntgenstrahlung ausgesetzt. Trotzdem wurde ihre DNA dadurch nicht geschädigt – im Gegensatz zur Kontrollgruppe, die das schützende NAD+ vorher nicht bekommen hatte.

Offenbar konnte das PARP1-Protein nur in der NAD+-Gruppe effektiv seinen Reparaturjob erledigen. "Das ist wirklich ein revolutionäres Ergebnis", sagt Steegborn.

Weitere Tests erhärteten die These. Bei älteren Mäusen fanden die Forscher wie erwartet ein niedrigeres NAD+-Level als bei jüngeren Artgenossen und damit mehr der ungünstigen PARP1-DBC1-Komplexe. Doch schon eine einwöchige Behandlung mit dem NAD+-Vorläufer genügte, um diese Verbindungen zu zerstören und die heilsame Aktivität des PARP1- Enzyms wieder in Gang zu setzen.

"Die Wiederherstellung des jugendlichen NAD+-Levels ist natürlich auch für den Menschen etwas Interessantes", sagt Steegborn. Vor allem, da die Zulassung der Vorläufersubstanzen als Medikamente nicht allzu aufwendig wäre – als Nahrungsergänzungsmittel sind sie bereits auf dem Markt.

Der Biochemiker warnt aber auch vor überzogenen Erwartungen an NAD+ als Anti-Aging-Wundermittel. "Der Mensch ist erstens keine Maus, und zweitens ist Altern ein komplexer Prozess, bei dem viele Dinge eine Rolle spielen."

Dennoch ist die Hoffnung groß, dass die derzeitigen Studien zur Übertragbarkeit auf den Menschen Erfolg haben. Dann könnte NAD+ vielleicht helfen, die genschädigenden Nebenwirkungen von Chemotherapien oder Bestrahlungen abzumildern. "Möglicherweise könnte damit auch altersbedingten Krebserkrankungen vorgebeugt werden, die sich aus nicht reparierten DNA-Schäden ergeben", resümiert der Bayreuther Wissenschaftler. Und auch den Marsreisenden wäre vielleicht wohler, könnten sie ihren körpereigenen Schutzschild auf der Reise hochfahren.

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