Fahrbericht: Audi e-tron 55 quattro

26.2.2020, 13:44 Uhr
Fahrbericht: Audi e-tron 55 quattro

© Hersteller

Wie er aussieht: Unspektakulär. Das ist nicht abwertend gemeint. Audi hat sein erstes vollelektrisches Fahrzeug in ein klassisch-technoides Crossover-Kleid gesteckt, das so auch jeder konventionelle Verbrenner der Marke tragen könnte. Wer die neue Antriebstechnologie nach außen über ein spaciges Design kommuniziert haben möchte, wird also enttäuscht sein. Alle anderen aber dürften sich gut angezogen fühlen mit dem Ingolstädter Stromer, der - 4,90 Meter lang und 1,94 Meter breit - stattliche Maße erreicht.

Wie er eingerichtet ist: Auch im Interieur orientiert sich der e-tron nicht am Geschmack von Captain Future, und wiederum ist das als Kompliment gemeint. Premium at its best, Oberklasse-Niveau á la Audi eben, von den überaus bequemen Sitzen über die feine Materialauswahl bis hin zur volldigitalen Instrumentierung sowie dem umfassend talentierten und, nach der üblichen Eingewöhnungszeit, intuitiv zu bedienenden Multimediasystem, das seine Botschaften über großformatige Bildschirme mit brillanter Darstellung transportiert. Dass die "Tasten" ein haptisches und akustisches Feedback in Gestalt eines dezenten "klick" geben, empfinden nicht nur Non-Digital-Natives als schönes Detail.

Gegen 1540 Euro Aufpreis ersetzt Audi die Außenspiegel durch ein Kamerasystem. Dies verbessert - gerade bei Elektroautos wichtig - die Aerodynamik auf einen sehr guten Luftwiderstandsbeiwert von 0,27. Die Bilder der Kamera-Augen werden auf zwei Displays übertragen, die links und rechts in der Türverkleidung sitzen. Daran muss sich der Fahrer erst einmal gewöhnen; unwillkürlich richtet er den Blick noch immer zu den Seitenscheiben hinaus. Wenn schnelles Handeln gefragt ist, kann das kritisch werden, zumal sich auch die Geschwindigkeit herannahender Fahrzeuge nicht so gut einschätzen lässt, wie man es kennt. Wir verbrachten mit dem e-tron nur kurze Zeit, anzunehmen ist, dass der Umgang mit der neuen Technologie nach längerem Beisammensein selbstverständlicher wird.  

Fahrbericht: Audi e-tron 55 quattro

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Wie viel Platz er hat: Reichlich. Im fünfsitzigen e-tron sehen sich nicht nur die vorderen, sondern auch die rückwärtigen Passagiere fürstlich untergebracht, es mangelt weder an Bein- noch an Ellbogen- oder Kopffreiheit. Der Kofferraum fällt eher tief als hoch aus, insgesamt lassen sich 660 bis – bei umgeklappten Rücksitzlehnen – 1725 Liter unterbringen. Unter der Fronthaube gibt es ein zusätzliches, kleines Gepäckfach. Räumlich erfüllt der e-tron alle Qualitäten eines großen Reisewagens.

Was ihn antreibt: Zwei Elektromotoren mit einer Systemleistung von maximal 300 kW/408 PS und einem Drehmoment von 664 Newtonmetern. Je eine der E-Maschinen sitzt an der Vorder- und an der Hinterachse. Dadurch ergibt sich elektrischer Allradantrieb, der die Antriebsmomente automatisch und blitzschnell zwischen beiden Achsen verteilt.

Als Energiespeicher dient ein Lithium-Ionen-Akku mit der üppigen Bruttokapazität von 95 kWh, tatsächlich verfügbar sind 86 kWh. Seinen Platz findet das große und mit 700 Kilogramm entsprechend schwere Batteriepack im Unterboden zwischen den Achsen.

Wie weit er kommt: Die reichlich vorhandene Batteriekapazität lässt enorme Reichweiten erhoffen. Tatsächlich spricht Audi von bis zu 436 Kilometern, ermittelt im WLTP-Fahrzyklus. In der Praxis bestätigte sich dieser Wert indes nicht. Als wir den e-tron übernahmen, stellte uns der Bordcomputer bei voll geladener Batterie gerade einmal 309 Kilometer in Aussicht. Sollte das alles gewesen sein? War es nicht. Bei zugegebenermaßen winterlichen Temperaturen um die zehn Grad und nicht allzu forscher Fahrweise – einem Mix aus rekuperations-intensivem Stadtverkehr und Autobahn-Richtgeschwindigkeit – schafften wir es, die Reichweite auf 362 Kilometer auszudehnen. Bei milderem Wetter und sehr verhaltenem Tempo könnten 400 Kilometer drin sein, mehr aber wohl kaum. Berühmt ist das nicht, wir hätten uns mehr erhofft.

Fahrbericht: Audi e-tron 55 quattro

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Zugutehalten muss man dem 2,6 Tonnen schweren e-tron, dass er bestmöglich dabei unterstützt, den nächsten Ladestopp hinauszuzögern. Laut Audi werden bis zu 30 Prozent der Reichweite durch Rekuperation erzielt. Wenn der Fahrer das Fahrpedal lupft (Schubrekuperation) oder wenn er das Bremspedal betätigt (Bremsrekuperation), werden die Elektromotoren als Generator tätig und wandeln die Bewegungsenergie in elektrische Energie um. Bis 0,3 g funktioniert die Rekuperation ohne Einbeziehen der konventionellen Bremse und ausschließlich über die E-Maschinen. Der Grad der Rekuperation lässt sich individuell dreistufig über Lenkradwippen festlegen. Bequemer arbeitet die automatische und prädiktive Rekuperation; sie steuert die Verzögerungswirkung ebenso bedarfsgerecht wie vorausschauend und berücksichtigt dabei den Streckenverlauf sowie vorausfahrende Fahrzeuge.

Mit Hilfe der kamerabasierten Verkehrszeichenerkennung und der Navi-Daten bremst der "Effizienzassistent" – man kennt ihn auch aus anderen Audi-Modellen - vor Tempobeschränkungen, engen Kurven oder Ortseingängen selbstständig ab, ein kleines grünes Pedal im Sichtfeld des Fahrers empfiehlt, rechtzeitig vom Ortsschild den Fuß vom Fahrpedal zu nehmen.   

Eine Anzeige lässt zudem wissen, inwieweit und in welchem Maße die Reichweite durch Ausschalten elektrischer Verbraucher auszudehnen ist.

Was er verbraucht: Nach Werksangaben 26,4 bis 22,4 kWh/100 km (WLTP-Angabe). In der Praxis richtet sich der Verbrauch, wenig erstaunlich, nach der Fahrweise. Im Schnitt wollte unser e-tron mit 25,4 kWh/100 km gefüttert werden. Das Ausreizen der Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h lässt man schnell bleiben, knapp 40 kWh/100 km reduzieren die Reichweite in beunruhigender Manier. Sehr piano bewegt, sind mit dem e-tron auch Werte unter 20 kWh/100 km drin.

Wie er lädt: Der e-tron beherrscht beide Disziplinen – Wechselstrom-Laden an der Wallbox beziehungsweise an den gängigen öffentlichen Ladesäulen ebenso wie Gleichstrom-Schnellladen. Wechselstrom (AC) zieht der Audi mit 11 kW, die Ladezeit beträgt dann knapp neun Stunden. Ab Sommer 2020 wird optional ein zweiter Onboard-Lader angeboten, der 22 kW Ladeleistung ermöglicht. Das "Tanken" von Gleichstrom (DC) funktioniert mit bis zu 150 kW, der Akku ist in diesem Fall innerhalb einer guten halben Stunde wieder zu 80 Prozent befüllt.

Schon eine 50-kW-Schnellladestation, wie sie sich beispielsweise vor manchen Aldi-Filialen findet, hat uns gute Dienste geleistet. Das Schnellladenetz Ionity wiederum, das "grünen" Strom spendet und das Audi zusammen mit VW, Porsche, Daimler, BMW und Ford unterhält, stellt entlang der Autobahnen "Turbolader" bereit, die – was derzeit allerdings noch kein Elektroauto aufnehmen kann – bis zu 350 kW Output leisten. 400 solcher High-Power-Charger sollen es noch 2020 werden, derzeit sind es 216, Tesla mit seinen Superchargern ist da schon deutlich weiter.

Kunden des "e-tron Charging Service" können laut Audi mit ihrer Ladekarte oder via Smartphone-App europaweit an rund 135.000 Ladepunkten von über 400 Anbietern andocken. Dabei stehen zwei unterschiedliche Tarife zur Wahl: Der "City-Tarif" kostet eine monatliche Grundgebühr von 4,95 Euro, AC-Laden bis 22 kW kommt auf 7,95, DC-Laden bis 150 kW auf 9,95 Euro pro Ladevorgang. Fürs Stromfassen bei Ionity wird allerdings der neue, teure Preis (79 Cent pro kWh) fällig. Wer häufiger Langstrecken fährt, dürfte sich eher für den "Transit-Tarif" entscheiden. Im ersten Jahr zahlen e-tron-Käufer keine Grundgebühr, danach beträgt sie 17,95 Euro, fürs Ionity-Schnellladen fallen aber nur 31 Cent/kWh an.

Bei der Suche nach einer Ladestation hilft vorbildlich das Navi weiter, das dabei Wahlmöglichkeit zwischen den Optionen "schnell" und "normal" bereitstellt. Bei der Routenplanung werden nicht nur die Ladepunkte berücksichtigt, sondern auch der Batterie-Ladestand und – was die Ankunftszeit betrifft – die erforderlichen Ladezeiten.

Fahrbericht: Audi e-tron 55 quattro

© Audi e-tron beim Schnellladen: Teslas Supercharger-Infrastruktur ist hier noch voraus.

Wie er sich fährt: Ganz hervorragend. Die Beschleunigung erfolgt gelassen, souverän und kraftvoll, der gebotene Fahrkomfort ist der eines Raumgleiters von Premium-Format, dank der serienmäßigen Luftfederung wird schlaglöchriger Asphalt sensibel ausgebügelt – so geht entspanntes Reisen. Die zahlreich an Bord befindlichen Helferleien nehmen dem Fahrer vielerlei Aufgaben ab, die jeweils vorgeschriebene Geschwindigkeit hat der e-tron ebenso im Griff wie Einparken, das Halten der Spur oder (Matrix-Licht) blendfreie Begegnungen mit dem Gegenverkehr. Und trotz seiner Größe lässt sich der e-tron erstaunlich spielerisch und easy durch den Stadtverkehr manövrieren. Auf leisen Pfoten kommt er sowieso daher, was auch an der exzellenten Geräuschdämmung liegt. Übrigens: Der e-tron kann auch einen Anhänger in Schlepp nehmen.

Fahrbericht: Audi e-tron 55 quattro

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Was er bietet: Unter anderem elektrisch einstell- und beheizbare Außenspiegel, Zweizonen-Klimaautomatik, Standklimatisierung, elektrisch öffnende und schließende Gepäckraumklappe, Virtual Cockpit, MMI-Navi, Soundsystem, Infotainment und Spurverlassenswarner. Es bleibt reichlich Raum für Aufpreisträchtiges, vom digitalen Radioempfang zu 430 Euro über das Premium-Soundsystem von Bang & Olufsen (770 Euro) bis hin zum Nachtsichtassistenten (2150 Euro), der Akustikverglasung für die Seitenscheiben (500 Euro), den orange lackierten Bremssättel (399 Euro) und dem Head-up-Display (1390 Euro) oder den Matrix-LED-Scheinwerfern (1450 Euro).

Was er kostet: Ab 80.900 Euro.

Was wir meinen: Elektrisch fahren mit dem Audi e-tron ist ein Genuss – leise, kraftvoll, mit perfektem Oberklasse-Komfort. Auch aufgrund seines üppigen Raumangebots wäre der e-tron ein idealer Reisebegleiter. Zu diesem Anforderungsprofil passt die mäßige Reichweite aber leider nicht. Und der Kaufpreis stellt durchaus eine Herausforderung dar.

Ulla Ellmer

Die Daten des Audi e-tron 55 quattro

Leistung 300 kW/408 PS, max. Drehmoment 664 Nm, Spitze 200 km/h (abgeregelt), Batterietyp Lithium-Ionen, Kapazität 95 kWh brutto, 86 kWh netto, Nominalspannung 396 Volt, Ladeleistung Wechselstrom/AC mit 11 kW, Gleichstrom/DC mit bis zu 150 kW, Ladezeit AC-Laden mit 11 kW 8:50 h 0 bis 100 Prozent, DC-Schnellladen mit 150 kW ca. 30 Minuten 5 bis 80 Prozent,  Normverbrauch 26,4 bis 22,4 kWh pro 100 km, Testverbrauch 25,4 kWh/100 km, Reichweite Norm 436 km, Reichweite Test 362 km, CO2-Emission 0 g/km, Emissionsklasse N/A, Höchstgeschwindigkeit 200 km/h, Beschleunigung 0 auf 100 km/h in 6,6 sec, Boost in 5,7 sec. Länge 4,90 m, Breite 1,94 m, Höhe 1,62 m, Kofferraum 660 bis 1725 l, Leergewicht 2565 kg, zulässiges Gesamtgewicht 3130 kg, Anhängelast 1800 kg (gebremst), 750 kg (ungebremst). Zweistufig übersetztes Planetenradgetriebe mit einer Gangstufe, Allradantrieb. Versicherungs-Typklassen 20 (KH), 28 (VK), 27 (TK). Preis ab 80.900 Euro.

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