Mercedes EQC: Erster Stromer mit Stern

15.5.2019, 10:26 Uhr
Mercedes EQC: Erster Stromer mit Stern

© Hersteller

Natürlich Norwegen: Das Land gilt als Paradies für Elektrofahrzeuge, aus zig Ladesäulen fließt der Strom wie Milch und Honig im Schlaraffenland. Preiswert ist die nordische Elektrizität und umweltfreundlich, denn Norwegen erzeugt seinen Strom zu 95 Prozent aus Wasserkraft. Weil die Käufer von E-Mobilen obendrein in den Genuss großzügiger Subventionen und Privilegien gelangen, versammelt sich eine europaweit wohl einmalige Vielzahl von Stromern auf den Straßen.

Dass Mercedes Norwegen für die Fahrpräsentation des EQC auserkoren hat, nimmt also nicht wunder. Im Parkhaus des Flughafens Oslo-Gardermoen ist eine ganze Etage mit Schnellladestationen ausgestattet, in Reih und Glied stehen die Stromer mit Stern dort aufgereiht, um sich kollektiv mit "Saft" für die Erprobungsfahrten zu versorgen.

Elektro-SUV mit coupéhaftem Touch

Der EQC ist der erste Vertreter der elektrischen Mercedes-Submarke EQ. Man hat ihn als SUV mit coupéhaftem Touch gebaut, erstens, weil diese Karosserieform rund um den Globus funktioniert und zweitens, weil sie sich gut dazu eignet, die Batterie - in diesem Fall ein Lithium-Ionen-Akku mit 80 kWh Energiegehalt, von der Daimler-Tochter Deutsche Accumotive im sächsischen Kamenz gebaut - tief und zentral im Fahrzeugboden zu installieren.

Nicht verstörend futuristisch

Kein verstörend futuristisches Elektrofahrzeug ist so entstanden, sondern eines, das vertrauenerweckend normal aussieht. Schokoladenseite ist die Front mit dem schwarzen Panel des "Kühlergrills", die zwar markant wirkt, aber nicht unsympathisch, weil die flankierenden und von einem Lichtleiter verbundenen Scheinwerfer ihre Mundwinkel zu einem freundlichen Lächeln nach oben ziehen. Etwas beliebiger mutet das Heck an, auch hier ist ein durchgehender Leuchtstreifen der Blickfang. Mit 4,76 Metern Länge sortiert sich der EQC zwischen den Mercedes-SUVs GLC und GLE ein.

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Auch das Cockpit vermittelt vertrautes Mercedes-Ambiente, es braucht keine Schulung, um sich hier zurechtzufinden. Das MBUX-Multimediasystem kennt man schon aus anderen Modellen, im EQC wurde es um spezifische Inhalte wie die Anzeigen von Reichweite oder Ladezustand erweitert, viele der EQ-Funktionen sind in einem Extra-Icon zusammengefasst. Auch verbal kann der Fahrer - "Hey Mercedes, wo ist die nächste Ladestation?" - Auskunft erbitten.

Wenige Ladestopps, kurze Ladezeiten

Schon vom Frühstückstisch aus lassen sich Fahrtstrecke und Abfahrtszeit programmieren, das Navi entwirft dann die schnellste Route und bezieht dabei vorausschauend Faktoren wie Wetter, Topographie (flach? bergig?) sowie den Ladezustand der Batterie mit ein. Gleichzeitig schlägt das System verfügbare Ladestationen entlang der Wegstrecke vor, wobei es auf möglichst wenige Ladestopps und möglichst kurze Ladezeiten achtet. "Nicht immer muss der Fahrer ja komplett vollladen, um ans Ziel zu gelangen", sagt Markus Bauknecht, der fürs Charging zuständige Produktmanager.

Die Sache mit dem Stromfassen sollten wir unbedingt ausprobieren, legt man uns ans Herz, bewusst wählen wir also einen nicht vollgeladenen Wagen und tippen auf dem Navi-Bildschirm die Ladestation unserer Wahl an. Lautlos setzt sich der EQC in Bewegung, das elektrische Leben fühlt sich leicht an und sehr modern. Die Elektromotoren an Vorder- und Hinterachse - Achtung, Allrad - liefern zusammen 300 kW (408 PS), das maximale Drehmoment liegt bei beachtlichen 760 Nm.

Schön komfortabel und noch immer wunderbar leise gleitet der EQC über die teils ruppigen norwegischen Landsträßchen, die präzise, direkte Lenkung, die gut ausbalancierte Fahrwerksabstimmung und der tiefe Schwerpunkt animieren zwischendurch schon mal zu sportlichen Fahreinlagen.

Nicht schneller als 180 km/h

Wir biegen auf die Autobahn ein, in 5,1 Sekunden zoomt der EQC von 0 auf 100 km/h. Dass die Höchstgeschwindigkeit auf 180 km/h eingebremst wurde, lässt nicht nur im geschwindigkeitsbegrenzten Norwegen kalt. Stromern erzieht zu Gelassenheit, wer Tempo bolzt, killt schließlich die Reichweite. Ein Vertreterauto oder sonstwie primär auf der Langstrecke genutztes Fahrzeug wird der EQC nicht werden, auch wenn die bequemen Sitze, das gute Platzangebot für Passagiere und Gepäck (Kofferraum 500 Liter) durchaus Reisekomfort bieten. Sogar einen Anhänger (1,8 Tonnen) darf der E-Benz ziehen, das ist nicht selbstverständlich für ein Elektroauto, dürfte den Aktionsradius aber spürbar einengen.

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Wir nähern uns dem Ladepunkt, Pfeile auf der Augmented-Reality-Darstellung des Navis weisen uns die richtige Ausfahrt aus dem Kreisverkehr. Ladepunkt? Ladepunkte! Gleich zehn "Hurtiglader" stehen neben der konventionellen Tanke bereit, wir steuern jene fünf Säulen an, die zum paneuropäischen Schnellladenetz Ionity gehören, das bis 2020 auf 400 Stationen entlang der Hauptverkehrsachsen verdichtet werden soll.

Laden: Fast überall möglich

Wer Kunden elektrisieren will, muss ihnen das Leben leichtmachen. Über die Anmeldung bei "Mercedes me Charge" eröffnet sich theoretisch der Zugang zu weltweit 300.000 Ladepunkten. In Europa lassen sich die Stationen von über 300 verschiedenen Betreibern anzapfen, ohne dass dazu ein Stapel an Kärtchen erforderlich ist. Jeder Ladevorgang wird automatisch abgebucht.

Via App hätte unsere Ladestation eigentlich auf uns vorbereitet sein sollen, der "Tankvorgang" wäre einfach vom Auto aus zu starten gewesen. Letztlich müssen wir ihn per Kontaktaufnahme zwischen Kärtchen und Ladesäule starten, aber auch das funktioniert denkbar unkompliziert. Eine gute Viertelstunde und eine Tasse Kaffee später ist das Strom-Depot von 54 auf 80 Prozent aufgestockt, nach weiteren zwanzig Minuten - so verspricht die Anzeige auf dem Display - wäre der Akku zu 100 Prozent voll gewesen.

Das geht also ziemlich zügig, nimmt aber trotzdem mehr Zeit in Anspruch als der gewohnte Hin- und Gleich-wieder-weg-Vorgang an der konventionellen Tankstelle. Voll geladen ergibt sich laut NEFZ eine Reichweite von 445 bis 471 Kilometern, im wirklichen Leben reduziert sich das eher auf 350 bis 400 Kilometer.

An der Gleichstrom-(DC)-Schnellladesäule können dem EQC bis zu 110 kW gereicht werden. In aller Regel wird man bei uns allerdings auf Lader mit 50 kW stoßen. "80 bis 90 Prozent der Ladevorgänge finden zuhause statt", sagt Markus Bauknecht und empfiehlt eine Wallbox. Den hier bereitgestellten Wechselstrom (AC) tankt der EQC ebenso wie den schnellen Gleichstrom über einen CCS-Stecker.

Ausschließlich an der Schnellladestation anzudocken sei gar nicht ratsam, betont Bauknecht, denn die hohen Ladeleistungen könnten auf Dauer die Batterien schädigen. Auf den Akku gibt Mercedes acht Jahre (oder 160.000 Kilometer) Garantie.

Schaltpaddles regeln die Rekuperation

Wir geben uns mit 80 Prozent Ladung zufrieden und fahren weiter. Blick auf die Verbrauchsanzeige: Gut 28 kWh/100 km zeigt sie an, deutlich mehr, als es die Norm (19,7 - 20,8 kWh) verspricht. Hinterm Lenkrad entdecken wir Schaltpaddles - nanu? Im EQC dienen sie dazu, die Rekuperationsleistung einzustellen. Fünf Stufen stehen zur Wahl. In D+ kann der EQC "segeln" (Motor und Getriebe werden entkoppelt), die stärkste Stufe D-- wiederum ermöglicht das sogenannte One-Pedal-Driving - die Rekuperationsverzögerung ist so ausgeprägt, dass der Wagen ohne Druck aufs Bremspedal zum Stehen kommt.

Mercedes EQC: Erster Stromer mit Stern

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Besonders schlau agiert der Modus "D Auto". Er kooperiert mit dem sogenannten Eco-Assistenten, der wiederum die Navi-Daten, die Infos der Sicherheitsassistenten und die Verkehrszeichenerkennung miteinander vernetzt. Nähert sich ein Tempolimit, werden wir dazu aufgefordert, den Fuß vom Fahrpedal zu nehmen beziehungsweise der EQC bremst gleich von selbst ab. Auch Funktionen wie Segeln oder Rekuperation gehören zur Effizienzstrategie. Weitere Unterstützung beim Erreichen der bestmöglichen Reichweite leistet das Fahrprogramm "Max Range", das den Fahrer beim Tritt aufs Fahrpedal mittels Druckpunkt darauf aufmerksam macht, dass er gerade in ungünstige Geschwindigkeitsbereiche vorstößt.

Mit leichtem Bedauern stellen wir den EQC ab. In einem Auto wie diesem ist es schön, das elektrische Fahren. Schön und anders, weil entspannend defensiv. Wer einen solchen Stromer kauft, darf umdenken, muss es aber auch. Selbst wenn sich die Ladeinfrastruktur verdichtet, wenn sich die Ladezeiten verkürzen, wenn das Navi bei der Reiseorganisation hilft - es gilt, Reichweitenanzeige und Batterieladung im Blick zu behalten und längere Fahrten sorgsam zu planen. Und wie es aussieht, wenn zig elektrifizierte Urlauber die Ladestationen entlang der Autobahnen stürmen, wollen wir uns lieber nicht vorstellen. Immerhin können EQC-Kunden im Rahmen des "Holiday-Pakets" für Ferienfahrten oder ähnliche Unternehmungen einen Benziner oder Diesel aus der Mercedes-Palette leihen, der gewährte Rabatt fällt mit zehn Prozent aber eher bescheiden aus.

Qualifiziert für den Umweltbonus

Mindestens 71.281 Euro verlangt Mercedes für seinen sehr gut ausgestatteten Elektro-Crossover, das ist weniger, als Jaguar für den I-Pace und Audi für den e-tron sehen will. Netto rutscht der EQC unter 60.000 Euro und ist somit ein Fall für den deutschen Umweltbonus. Die Produktion 2019 dürfte freilich bereits ausverkauft sein, in der Anfangsphase fehlt es noch an Akkus. Das soll 2020 besser werden: Dann wird im Werk Bremen der Produktionsausstoß auf 50.000 Autos jährlich verdoppelt. Viele von ihnen, so ist anzunehmen, gehen ins Elektro-Schlaraffenland nach Norwegen.

Ulla Ellmer

Mercedes EQC 400 4Matic in Kürze:

Wann er kommt: Bereits bestellbar, Auslieferung ab Juni

Wen er ins Visier nimmt: Audi e-tron, Jaguar I-Pace

Was er leistet: 300 kW (408 PS)

Wie weit er kommt: Mit einer Akkuladung 445 bis 471 km (NEFZ)

Was er kostet: Ab 71.281 Euro

Was noch kommt: Wahrscheinlich ein günstigerer EQC 300 4Matic mit geringerer Reichweite

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