28. März 1963: Stadtrat vor einer schwierigen Entscheidung

28.3.2013, 06:30 Uhr
28. März 1963: Stadtrat vor einer schwierigen Entscheidung

© Gerardi

Diese bedeutungsvolle Frage, die auch in anderen Großstädten leidenschaftlich diskutiert wird, stand gestern im Nürnberger Stadtrat zur Entscheidung.

Obwohl sich der Stuttgarter Verkehrsfachmann Prof. Dr. Walther Lambert, in einem Gutachten eindeutig für die Unterpflaster-Straßenbahn (U-Strab) ausgesprochen und vor „revolutionären Wunschplänen“ gewarnt hatte, wollen die Fraktionen der CSU und FDP näher prüfen, ob nicht eine U-Bahn angestrebt werden soll. Der Beschluß über dieses Problem ist um vier Wochen verschoben worden, weil die beiden Parteien auch die Bevölkerung zu Wort kommen lassen wollen.

„Großer Ring“ geplant

28. März 1963: Stadtrat vor einer schwierigen Entscheidung

© Gerardi

Am Anfang der sechsstündigen Sitzung frohlockte Baureferent Heinz Schmeißner, daß es hier keine großen Debatten über die Frage „U-Strab oder U-Bahn?“ geben wird wie anderswo. Alle Anzeichen schienen dafür zu sprechen, daß Lambert mit seinem Vorschlag eines großen unterirdischen Ringes – Plärrer – Altstadt – Bahnhof – Schweiggerstraße – Landgrabenstraße – Steinbühler Tunnel – Plärrer – die Stadtväter überzeugen würde. Für diese Lösung sprach, daß
die Innenstadt einschließlich der Viertel im Süden schienenfrei gemacht wird,
der Ausbau stufenweise vorangetrieben werden kann, wobei das Straßenbahnnetz ständig funktionsfähig bleibt, an den Ring unterirdische Linien, wie etwa nach Fürth und Langwasser, angeschlossen  werden können, die herkömmlichen Wagen weiter zu verwenden sind und die Haltestellen-Abstände von 400 bis 500 Meter, die ein günstiges Einzugsgebiet sichern, zu halten sind.

Ein Kilometer der Unterpflasterstrecke kostet zwischen 40 bis 50 Millionen, der unterirdische „Große Ring“ mit Anschlüssen nach Fürth und Langwasser etwa 800 Mill. DM. Hingegen muss bei einer U-Bahn mit weit mehr als einer Milliarde gerechnet werden.

„Nichts in den Weg legen!“

In seinem Gutachten, das auf knapp 800 000 Einwohner in Nürnberg und Fürth abgestellt ist und als „ein guter Kompromiß zwischen Schiene und Straße“ bezeichnet wurde, setzt sich Professor Lambert vor allem auch mit der Frage auseinander, ob Nürnberg künftig nicht eine Untergrundbahn braucht. Er komme jedoch zu dem Schluß, daß ein „Großer Ring“ für die U-Strab „den Verkehrsbedürfnissen ganz gerecht wird“. Die Bahnen können 22 000 Reisende pro Stunde befördern; es wird jedoch mit nur einem stärksten Zustrom von 12 000 Fahrgästen gerechnet. Als Nachteil der U-Bahn stellte der Professor besonders ihre Haltestellen-Abstände zwischen 800 und 1000 Meter heraus („Sie müßte also ohne Halt durch die Altstadt fahren“); daneben müßten die Fahrgäste mit Omnibussen an die Strecken herangeschafft werden.

Der Nürnberger Baureferent, Stadtrat Schmeißner, stellte sich dem Plenum als Anhänger der U-Strab vor. Er zog aus dem langerwarteten Lambert-Gutachten, das der Professor – wie bereits berichtet – im Dezember schon einmal vor dem Stadtrat erläutert hatte, die Konsequenz: „Der unterirdischen Straßenbahn darf nichts in den Weg gelegt werden!“ Deshalb sei es wichtig, schon jetzt eine Entscheidung zu treffen. Wann das Netz in der zweiten Ebene gebaut wird, hängt von der Finanzkraft der Stadt ab. Aber auch nach dem offiziellen Startschuß wird es „eine Reihe von Jahren dauern“, bis die Schienen aus den Straßen verschwinden. Hamburg kommt beispielsweise beim Ausbau seiner U-Bahn jährlich nur einen Kilometer voran.

Kein Zweifel mehr: die Schienen müssen weg

Alle Parteien stehen hinter der Forderung, daß die Straßenbahn verschwinden soll – Geteilte Meinungen nur über den richtigen Weg für die Zukunft – SPD befürwortet das Lambert-Gutachten

In der Debatte nahmen sich die Stadtväter kein Blatt vor den Mund, obwohl Professor Lambert und Baureferent Schmeißner die U-Strab auf die sichere Straße zum Sieg gesteuert hatten. Ganz unvermittelt entdeckten einige Männer im Plenum ihre Liebe für die U-Bahn, vor allem für großzügige Lösungen.

Man erkannte den Stadtrat kaum wieder, denn vor einigen Jahren noch hatte er sogar für eine Straßenbahnlinie von der Lorenzkirche zum Paniersplatz quer durch die Altstadt plädiert. Bei einer Studienreise nach London hinterließ  die Untergrundbahn so wenig Eindruck, daß jeder Kritiker der Straßenbahn von beredeten Stadträten förmlich niedergestimmt wurde.

„Mit dem Gutachten sind wir bei der Lösung unserer Verkehrsprobleme einen weiteren großen Schritt weitergekommen“, erklärte zwar noch SPD-Fraktionschef Willy Prölß, der die Experten in der Meinung bestärkte, daß gar nichts mehr schiefgehen könne. „Meine Fraktion hat sich für die U-Strab entschieden und für den Großen Ring ausgesprochen!“ Die Entscheidung müsse auf Jahrzehnte hinaus Bestand haben, doch wäre es sinnlos, Luftschlösser zu bauen.

Prölß mußte aber einräumen, daß bei der augenblicklichen finanziellen Zwangslage der Stadt sogar die U-Strab Zukunftsmusik ist. Immerhin soll schon im nächsten Jahr Geld bereitgestellt werden, damit der erste Bauabschnitt in den Einzelheiten projektiert werden kann.

Das Beispiel anderer Städte

Der erste CSU-Sprecher, Stadtrat Georg Holzbauer, gab der Geschichte die unerwartete Wendung. „Wir müssen mit diesem Beschluß vor unserer Stadtgeschichte stehen, daher beschleichen meine Fraktion Zweifel, ob wir uns nicht doch für die großzügige Lösung einer Untergrundbahn entscheiden sollen!“

Holzbauer verwies auf das Beispiel anderer Großstädte in der Bundesrepublik, die ihr Netz von Unterpflaster-Straßenbahnen so planen, daß später auch Untergrundbahnen darauf fahren können. „Könnte man nicht auch in Nürnberg nach einem Netz suchen, das später eine U-Bahn aufnehmen kann?“, fragte der CSU-Sprecher, dem der „Große Ring“ dafür ungeeignet erscheint.

Prölß warnte: „Je länger wir über U-Strab oder Untergrundbahn reden, desto länger zögern wir den Bau hinaus!“ Professor Lambert selbst brachte wieder Ruhe in das Kollegium. Mit schwäbischer Gelassenheit meinte er: „Überlegen Sie in aller Ruhe ganz genau, was sie eigentlich wollen!“ Das soll nun in den nächsten vier Wochen geschehen.

Aus den Nürnberger Nachrichten vom 28. März 1963

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