Bei der wilden Hilde in Entenhausen

13.12.2020, 18:20 Uhr
Bei der wilden Hilde in Entenhausen

© Foto: Michael Matejka

Das Markenzeichen von Pianistin Hildegard Pohl ist der Mix aus Klassik und Jazz. Sie hat am Meistersinger-Konservatorium in Nürnberg studiert, geboren ist sie in Stuttgart. Sie ist mit Schlagzeuger Yogo Pausch verheiratet und hat drei Kinder. 2019 erhielt sie den Wolfram-von-Eschenbach-Preis.

Klischeehaft würde man Hildegard Pohl in einem Loft vermuten, in einem Zuhause, das nach außen das Bild von kreativem Künstlertum vermittelt. Tatsächlich wohnt die "wilde Hilde", wie die Pianistin gerne bezeichnet wird, in einer terracottafarbenen Doppelhaushälfte in einem beschaulichen Viertel im Nürnberger Norden. Außen ist von Exzentrik keine Spur. Innen ist es dafür umso verspielter. Bunte Figuren von Künstler Ottmar Hörl grüßen von Schränken oder aus Ecken, eine Dalí-Uhr zerfließt auf dem Bücherregal, ein quietschgrüner Weihnachtsbaum aus Plastik steht in der Ecke und ein Trump-Knautschkopf liegt auf einem Bildband mit dem Titel "Monster". "Das fand ich ganz passend", sagt Hilde Pohl. Auf dem Tisch, der im offenen Wohn- und Essraum steht, hat sie für den Besuch extra Plätzchen und Lebkuchen kredenzt. Sie selbst ist keine große Esserin. "Deshalb hab’ ich bei der Abiturfeier meines Sohnes auch noch in mein eigenes Abi-Kleid gepasst", sagt sie und lacht. Gekocht wird nicht zu festen Zeiten, sondern wenn Hunger da ist.

Wie im Tiergarten

Drei erwachsene Kinder hat die Pianistin, deren Markenzeichen neben ihrem leidenschaftlichen Klavierspiel auch ihre langen blonden Haare sind. Immer in Bewegung wie Hildegard Pohl selbst. "Ich mag alles, was kein Stillstand ist", sagt sie. Ein stilles Wasser ist die gebürtige Schwäbin nicht. "Ich red’ manchmal auch zu viel", sagt sie. Wenn sie erzählt, gestikuliert sie viel, die Haare fliegen, sie lacht laut und herzlich.

Zeit vertrödeln, das ist nicht ihr Ding. Normalerweise sind sie und ihr Ehemann, Musiker Yogo Pausch, der oft auch ihr Bühnenpartner ist, immer auf Achse. Auch jetzt ist viel zu tun, trotz Pandemie. Musikunterricht am Labenwolf-Gymnasium, Aufzeichnungen für einen digitalen Adventskalender, Filmdreh für ein Online-Konzert. "Den Kontakt mit den Menschen kann das aber nicht ersetzen", findet sie. Sie liebt es, wenn Zuhörer nach ihren Konzerten zu ihr kommen. "Ich mag Menschen", sagt sie. Eigentlich könnte sie fast auf alles verzichten: "Aber niemals auf meine Freunde."

Bei der wilden Hilde in Entenhausen

© Fotos: Michael Matejka

"Quak", tönt es aus einer Ecke, ein Kuckuck und andere Tiere stimmen mit ein. Wer zum ersten Mal zu Gast ist, schaut sich irritiert um. "Das ist nur die Enten-Uhr", winkt Pohl ab. Als Gag hat sie ihrem Mann jedes Jahr eine andere Tierstimmen-Uhr geschenkt. "Weil er doch Geräusche so gerne mag." Zur vollen Stunde fühlt man sich im Haushalt Pohl und Pausch deshalb ein bisschen wie zur Brunftzeit im Tiergarten.

Erdbeeren am Ohr

So wie aus einer Uhr immer mehr wurden, geht es der Musikerin mit vielen Dingen. "Wenn ich etwas mag, dann möchte ich ganz viel davon haben", sagt sie. Egal ob Kleider, Kugelschreiber, Badeentchen oder Ohrringe. Eine ganze Schatulle mit extravaganten Ohrgehängen hat die Musikerin. Von Erdbeeren bis hin zu Karussellpferden in Miniatur. Stolz hält sie sie ans Ohr. "Ich hab’ ’nen Knall!", sagt sie und lacht. Ihren Knall verstecken will sie aber nicht. Im Gegenteil. Die Entchen dürfen sich in der Vitrine im Wohnzimmer zeigen ("Was soll ich mit den blöden Gläsern? Die hab ich raus"). Und auch auf ihre Sammlung von Mickey-Mouse-Bänden ist sie stolz. "Die hab’ ich mir selbst zu Weihnachten geschenkt." Zur Unterhaltung taucht sie gerne in die Welt der Comic-Maus ab.

Mickey Mouse und Montaigne

Wenn sie wirklich liest, dann gerne etwas von dem Philosophen Michel de Montaigne. Sie selbst hat auch so manche Philosophie entwickelt. "Man sollte eigentlich alles dreimal im Leben machen", ist ihr Credo. "Das erste Mal ist es neu, das zweite Mal übt man und beim dritten Mal weiß man Bescheid. Klar, dass ich drei Kinder habe", sagt Hilde Pohl und lacht. Weil sie vom Buchstaben V anscheinend nicht genug bekommen konnte, heißen sie Victor (31), Victoria (29) und Valerio (27). Mit Tochter Vicky, die Jazzpiano studiert, sitzt sie bei Auftritten oft gemeinsam am Flügel. Nach dem Studium in Wien wohnt sie gerade wieder bei ihrer Mutter. Im Hintergrund hört man sie auf dem Klavier üben.

Seit 50 Jahren musiziert Hilde Pohl. Üben muss sie eigentlich nur noch im Kopf, sagt sie. Damit die Finger geschmeidig bleiben, setzt sie sich aber natürlich regelmäßig ans Klavier. Besser gesagt an den Flügel, der im Musikzimmer im Keller steht. An ihrem "Kumpel Beethoven" vorbei, einer grünen Figur von Hörl, geht es in die untere Etage des Hauses. Schwarz schimmert dort der Yamaha-Flügel, dahinter stehen das Schlagzeug von Yogo Pausch und andere Instrumente. Als weihnachtliche Deko gibt es ein grünes Rentier und eine Nikolaus-Sonnenbrille. Ein bisschen Kitsch muss auch hier sein.

Bei der wilden Hilde in Entenhausen

War vorher schon viel Bewegung in Hilde Pohl, geht es am Flügel so richtig los. Als ob sie sich mit der Berührung der Tasten an Strom angeschlossen hätte. Während ihre Finger für "Santa Claus is coming to town" über die Tasten fliegen, verändert sich ihre Miene, wird konzentrierter. Pohl taucht ab und ein. Wird zu einem einzigen lebenden Organismus mit ihrem Flügel. "Zuhause bin ich eigentlich da, wo ein Klavier ist. Da ist alles gut", sagt sie, als sie wieder auftaucht. Das Klavierspielen ist auch der Grund, warum sie gerne noch lang leben möchte. "Weil es da noch so viel zu entdecken gibt."

Wenn die Musikerin spielt, dann ist sie so schnell nicht aufzuhalten. Bei einer Stummfilm-Aufführung unter freiem Himmel zog einst aus dem Nichts ein Unwetter auf. Sie spielte weiter, mit den Fingern unter der Abdeckplane. "Es gibt keinen Grund, warum du aufhören sollst, Klavier zu spielen", sagt sie mit Nachdruck. Es war einer ihrer liebsten Auftritte. Auch bei Seegang hat sie schon gespielt. Als sie mit Yogo bei einer zweiwöchigen Kreuzfahrt gebucht war. Während andere sich über die Reling beugen mussten, fühlte sie sich pudelwohl.

Pohl liebt Herausforderungen. "Ich kann auf Turbo schalten", sagt sie. "Es dann geschafft zu haben, macht mich glücklich." Schlaf hält sie eigentlich nur auf. Am liebsten würde sie um drei Uhr ins Bett gehen und um sieben wieder aufstehen. Aber auch ihr Körper braucht mal Ruhe. Und ab und zu Urlaub. Seit fast zwei Jahrzehnten fahren sie und Yogo immer nach Nizza. Ins selbe Hotel, ins selbe Zimmer. "Da muss ich nix mehr erkunden, da fängt der Urlaub in der ersten Sekunde an." Die ersten Tage fallen ihr immer schwer, bis sie entspannen kann, gibt sie zu. Ihre Tochter hat da mal etwas Gutes zu ihr gesagt, findet sie: "Mama, mach mal ’ne Pause – die ist auch in der Musik wichtig."

"Mach mal ’ne Pause, Mama!"

Yogo Pausch ist da ein guter Gegenpol. "Er bringt mich immer runter", sagt Pohl. Seit 18 Jahren sind sie ein Paar. Als junge Frau kam sie nach Nürnberg, wegen des Vaters ihrer drei Kinder. Yogo lernte sie erst später kennen. Er ein waschechter Nürnberger, sie gebürtige Stuttgarterin. Schwaben und Franken passen gut zusammen, findet sie. In ihrem Fall eine gute Ergänzung. "Ich quatsch’ alle an", sagt sie. "Yogo läuft lieber dreimal im Kreis, bevor er jemanden fragt."

Bei der wilden Hilde in Entenhausen

© Fotos: Michael Matejka

Und auch Instrumental-Künstler Yogo sammelt gerne Dinge. Allerdings eher Gerätschaften und Maschinen. Bei der Verabschiedung kommt er kurz dazu und führt seine neueste Errungenschaft lächelnd vor: einen Staubsaugroboter. Die wilde Hilde rollt die Augen dezent nach oben. Und setzt dem Roboter schnell eine große gelbe Ente auf, die scheinbar stolz durchs Wohnzimmer fährt. "Quak Quaaak" macht die Enten-Uhr Punkt zwölf Uhr mittags. Hilde muss gehen. Und das Entenhausen in Nürnberg hat kurz seine Ruhe.

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