Bella bloggt

30.8.2019, 18:47 Uhr
Bella bloggt

© Bissantz & Company

"Den Schleier über dem Datennebel lüften": Das ist das zentrale Ziel von Bissantz & Company. Denn was nützt es, scheinbar unendliche Datenmengen über den Geschäftsverlauf des aktuellen Monats zu sehen, ohne zu erkennen, wo der Hund begraben ist? Nicolas Bissantz kann mit Künstlicher Intelligenz helfen.

"Wie geht’s der Hündin Bella?", fragen Anrufer aus der Szene der Künstlichen Intelligenz. Denn die schwarze Labrador-Hündin unterhält einen eigenen Blog namens "Bella berät". "Meine Hündin ärgert sich, wenn zum Beispiel bei Balkendiagrammen die Proportionen nicht stimmen."

Bella ist altersmüde, sie kommt nicht mehr täglich ins Büro. Doch ihr Blog mit zeitweise 50 000 Abonnenten lebt. Darin schreibt sie recht kurzatmig: "Excel hat einen schlimmen Fehler. Im Diagrammassistenten. Der schneidet Säulen und Balken ab. Automatisch. Wenn die Werte eng zusammenliegen. Dann sind sie aber nicht mehr proportional. Deshalb: Schau genau hin. Stell die Achse richtig ein. Bloß nicht automatisch."

Was lehrt uns das? Durch falsche Größenverhältnisse erkennt der Mensch nicht auf den ersten Blick das Wesentliche, sondern wird durch Unstimmigkeiten irritiert.

Der Nürnberger Firmengründer steht vor einem riesigen interaktiven Bildschirm, der Zahlen zu Umsatzentwicklung und Rohertrag preisgibt. "Mehr Umsatz bei weniger Gewinn? Diesen Monat wurde alles richtig versemmelt", lautet der Kommentar des Datenanalysten Bissantz. "Wir müssen tiefer bohren." Dazu tippt und wischt er am Bildschirm, geht immer und immer wieder in untere Ebenen.

Mehr Umsatz bei weniger Profit? Da wurde was versemmelt

Als Beispiel nennt der 54-jährige Wahl-Nürnberger, der in Frankreich geboren ist und in Rosenheim aufwuchs, einen mittelständischen Stuhlhersteller. Dessen Geschäftsführer versucht dahinterzukommen, woran es liegt, dass da was nicht stimmt. Der Umsatz ist um 2,3 Prozent heruntergegangen, die Kosten aber gestiegen. Beim Schürfen komme der Algorithmus ins Spiel, erklärt der Wirtschaftsinformatiker, der 120 Mitarbeiter an vier Standorten beschäftigt. Hauptsitz ist Nürnberg. In den frühen Neunzigerjahren hatte er sich als einer der Ersten im deutschsprachigen Raum mit Data Mining beschäftigt und 1996 seine eigene Firma gegründet.

"Der Algorithmus fährt durch die Daten und entdeckt ein doppeltes Problem." Erstens wurde einem Großkunden überzogene Rabatte zugesagt für eine Bestellung, die dann doch kleiner als vereinbart ausfiel. Zweitens verbrauchte der Hersteller zu viel Material.

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© Foto: Bissantz & Company

Also läuft der Chef zu seinem Vertriebsleiter und befragt ihn zu den Rabatten: Aha, für das Folgejahr ist ein echter Großauftrag ausgemacht. Als Nächstes wird der Produktionsleiter befragt zum Materialverbrauch. Aha, es wurden aufwendigere Sondermodelle produziert. "Es geht nicht darum, Schuldige zu finden", resümiert Bissantz. "Wir bringen Ordnung in den Datensalat und helfen zu priorisieren."

Bissantz & Company versteht sich als "Think Tank" für Business Intelligence. Das Hauptprodukt ist eine Standardsoftware namens DeltaMaster für Unternehmen aller Branchen. Sie dockt an den meist unübersichtlichen firmeneigenen Datenbanken an. In Nachtläufen etwa werden die für Entscheidungen benötigten Daten geladen, strukturiert und aufbereitet. Daraus generiert DeltaMaster methodisch durchdachte Berichte, die dem Management signalisieren, wo vorrangig Eingriffe nötig sind, um das Geschäft auf Kurs zu halten. Das "Berichtswetter", wie er das Visualisierungskonzept nennt, ist ebenso patentiert wie 14 andere Innovationen aus seinem Hause.

Nicolas Bissantz hat die Firma gegründet, aufbauend auf seiner Dissertation an der Wirtschaftsfakultät der Universität Erlangen-Nürnberg. Damals wie heute schwärmt er von seinem Doktorvater Professor Peter Mertens, Begründer der Wirtschaftsinformatik, von dessen Weitblick und interdisziplinärem Ansatz. "Ich bin ein Mertens-Jünger", sagt er. An der WiSo entwickelte Bissantz die Grundlagen für eine Automation der Datenanalyse in Controllingdaten. 2007 erhielt er den Innovationspreis der Gesellschaft für Informatik. Im Einsatz ist die Software bei so unterschiedlichen Unternehmen wie Abus, Datev, Leica, Porsche, Schwartau, Wöhrl und Siemens. Bis heute ist das Unternehmen inhabergeführt und eigenfinanziert.

Der Forschung bleibt Bissantz treu. Dem weithin anerkannten Ansatz, dass gemischte Teams aus verschiedenen Disziplinen am erfolgreichsten agieren, setzt er die Überzeugung entgegen: Wirtschaftsinformatik ist per se interdisziplinär. Genau so müsse jede Führungskraft ihre Kenntnisse ständig aus anderen Wissenschaften erweitern. "Ich halte die Zersplitterung der Fachgebiete und den Verlust des Generalistentums für problematisch. Und ganz pragmatisch: Wenn ich als Chef nicht durch eigenes Fachwissen beurteilen kann, ob meine Leute auf ihrem Gebiet exzellent sind, arbeite ich auf Dauer mit Blendern."

Was nicht auf das Smartphone passt, geht beim Manager unter

Zur Erweiterung des Horizonts hat er sich ausgiebig der Neurobiologie gewidmet. Wichtige Fragen dabei: Wie funktioniert die menschliche Wahrnehmung? Wie die Informationsverarbeitung im Hirn? Die Visualisierung, so sein Credo, muss die Inhalte unterstützen. Denn "Aufmerksamkeit ist das knappste Gut".

Beim Verstehen hake es erst recht. Bei der datenbasierten Unternehmensführung entscheide sich erst auf dem letzten Meter, ob Business Intelligence tatsächlich Wirkung entfaltet. "Die ganze Mühe von Datensammlung, -speicherung und -aufbereitung ist umsonst, wenn Berichte nicht gelesen oder nicht verstanden werden oder nicht danach gehandelt wird", warnt Bissantz.

Noch in der Entwicklung ist das jüngste Produkt: die DeltaApp für das iPhone. Mit ihr lasse sich das "Unternehmen mit dem Daumen steuern" – von überall, zu jeder Zeit. Der Grundgedanke dabei: Was nicht auf den Bildschirm eines Smartphones passt, geht im Management-Alltag kaum noch durch das Nadelöhr knapper Aufmerksamkeit.

Was Bissantz in der Wirtschaft immer wieder erstaunt, ist die "Vorherrschaft der Nerds". IT-Leiter seien "heimliche Chefs anstatt Dienstleiter zu sein". Das zeige sich bisweilen, wenn es gilt, Prozesse umzustellen. Oft genug komme von der IT die Antwort: ,Geht nicht, erst muss die Software umgestellt werden.‘ Solche Antworten würden überraschend oft akzeptiert und damit auch Verzögerungen, beklagt der geschäftsführende Gesellschafter.

Wenn es der Forschung dient, steigt er sich in einen Rennwagen. Um die Wirksamkeit neuer Konzepte zum Entscheiden unter Stress nachzuweisen, konkurrierte er in der Porsche Sprint Challenge Central Europe, einer Fia-Rennserie, die mit getrennten Klassen für Profis und Amateure international ausgetragen wird. Eine frühe Erkenntnis: Der Mensch steuert ein Rennauto mehr mit den Augen als mit Händen und Füßen.

Ablenkende Signale können Probleme erzeugen. So erging es ihm bei einem Rennen in Spanien. An den Schikanen stand eine Reihe Pylonen. "Die schreiende rot-weiße Lackierung lenkte jedes Mal meinen Blick ab, meine Hände folgten – bis ich lernte, diese Auffälligkeit zu ignorieren. Also gilt: Was immer wir gestalten, das Auffälligste muss das Wichtigste sein. Denn dort blickt das Auge unweigerlich hin."

 

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