Gewaltverbrechen noch immer ungeklärt

365 Tage zwischen Trauer und Wut: Wie Alexandra R.s Verschwinden noch immer für Entsetzen sorgt

Tobi Lang

Redakteur

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9.12.2023, 17:15 Uhr
Alexandra R. verschwand, nachdem sie ihre Pflegetochter in eine Schwabacher Kita brachte. (Symbolbild) 

© imago-images.de/Polizei Mittelfranken, Reproduktion VNP Alexandra R. verschwand, nachdem sie ihre Pflegetochter in eine Schwabacher Kita brachte. (Symbolbild) 

Für Markus Beyer hat am 9. Dezember die Welt aufgehört, sich zu drehen. An jenem Freitag in der Adventszeit verschwand seine Partnerin Alexandra R. spurlos - und mit ihr sein ungeborener Sohn. "Es ist ein permanentes Warten", sagt Beyer, der eigentlich anders heißt, aber anonym bleiben möchte. "Zuerst auf die Festnahme der Verdächtigen, jetzt auf Akteneinsicht, auf die Anklage, den Prozess." Auf eine erlösende Nachricht wartet er vergebens. Und was soll das überhaupt sein, die Erlösung? Noch immer fragt er sich, wie seine Lebensgefährtin starb, wann - und ob überhaupt. Denn solange die Leiche von Alexandra R. nicht gefunden wird, gibt es sie noch immer, diese verschwindend geringe Restwahrscheinlichkeit, dass alles doch wieder gut wird. "Wie soll man denn mit so einer Situation umgehen?", fragt Beyer.


Was geschah am 9. Dezember? Mehr zu den Hintergründen im Fall Alexandra R. lesen Sie im Artikel auf NN.de.


Wer sich im Umfeld von Alexandra R. umhört, der spürt überall die Betroffenheit und trifft auf Nachbarn, die sich fragen, wie es zu dem mutmaßlichen Gewaltverbrechen kommen konnte, warum sie nichts geahnt haben, was mit der damals 39-Jährigen passiert ist. "Ich habe die Hoffnung nicht verloren und immer gewartet", sagt eine Frau, die im Nürnberger Stadtteil Katzwang fast Tür an Tür mit der leitenden Bankangestellten lebte. Der 9. Dezember bleibt auch für sie ein Rätsel.

Mysteriöses Verschwinden von Alexandra R. - Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft

Der schicksalhafte Tag des Verschwindens von Alexandra R. wurde in exklusiven Recherchen unseres Medienhauses immer wieder penibel nachskizziert - auch, wenn sich die Ermittlungsbehörden dazu in Schweigen hüllen. Um exakt 6.14 Uhr erhält der Lebensgefährte der Hochschwangeren eine Mail. Er soll Unterlagen zur Schwangerschaftsvorbereitung ausdrucken. Alles wirkt normal, nichts deutet auf das hin, was die nächsten Stunden passieren wird.

Gegen 8.15 Uhr bringt die Nürnbergerin ihre Pflegetochter in eine Schwabacher Kindertagesstätte. Das letzte Lebenszeichen von Alexandra R., die dort noch vom Personal gesehen wird. Dann verliert sich ihre Spur. Ob sie sich danach auf den Weg nach Hause macht, bleibt unklar. Nachbarn machen dort aber durchaus brisante Beobachtungen: Zum einen taucht am Vormittag ihr Wagen, ein schwarzer Firmen-BMW, an ihrem Wohnhaus in Katzwang auf - doch er ist anders geparkt als sonst, steht näher als üblich an einem Balkon. Außerdem wollen die Anwohner Dejan B., einen ehemaligen Lebenspartner der Verschwundenen, gesehen haben. Der Mann war mit einem Kontaktverbot belegt, er soll während der Beziehung gegenüber Alexandra R. gewalttätig geworden sein - vor allem aber gilt er inzwischen als dringend tatverdächtig, seine Ex-Partnerin ermordet zu haben.

Es ist der 6. September 2023, der in dem mysteriösen Fall vieles verändert. Spezialeinheiten stürmen zwei Objekte in Kalchreuth im Landkreis Erlangen-Höchstadt sowie in Rengersricht im Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz. Dort werden zwei Männer festgenommen. Neben Dejan B., dem Ex-Partner von Alexandra R., wird auch dessen Geschäftspartner Ugur T., der am Morgen von Polizisten überrascht. Das Duo wird festgenommen, sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Den Männern wird Mord und Geiselnahme vorgeworfen. Noch immer schweigen die Verdächtigen, während die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth an der finalen Anklage feilt. Beobachter gehen davon aus, dass sie noch im Dezember erhoben wird. Ein eventueller Prozess dürfte aber frühestens im zweiten Quartal des kommenden Jahres starten - und auch nur dann, wenn die Indizienlage gegen Dejan B. und Ugur T. ausreicht. Zunächst gilt die Unschuldsvermutung.

Wie geht es im Fall Alexandra R. weiter?

Nach wie vor fehlt eines der wichtigsten Puzzlestücke im Rätsel um Alexandra R. - die Leiche der Hochschwangeren, der finale Beweis, dass sie tatsächlich getötet wurde. Indizienprozesse ohne eine Leiche sind äußert schwierig. Und worauf sich die Staatsanwaltschaft bei ihrer Mordtheorie stützt, bleibt zunächst noch unklar. Gibt es DNA-Spuren, belastende Fingerabdrücke, Spuren eines Kampfes? "Die Teilchen müssen so zusammenpassen, dass sich am Ende ein stimmiges und klares Bild ergibt", sagte Robert Reitzenstein in einem Interview mit unserem Medienhaus. Der Rechtsanwalt ist Vorsitzender des Anwaltvereins Nürnberg-Fürth. "Da kommen dann viele Dinge in Frage: Daktyloskopische Spuren an der Tatwaffe, das Eingeloggtsein in der Funkzelle am Tatort, die Tatzeit, der Ablauf, das Motiv, alles muss sich fügen."

Vorerst hängen im Fall Alexandra R. alle Beteiligten in der Luft. Oder wie es der Lebensgefährte und Vater des ungeborenen Kindes sagt, das mit seiner Partnerin verschwand: "Es ist schon komisch, wenn man sich bewusst wird, dass seit zwölf Monaten eigentlich alles anders ist."