Baudenkmal des Wiederaufbaus

Aus der Not geboren: Die Heilig-Geist-Kirche in Laufamholz blieb als Provisorium stehen

6.6.2023, 10:59 Uhr
Mit der benachbarten Villa, dem Trafohäuschen und dem Kindergarten wirkte Heilig Geist um 1955 wie ein Teil eines uralten Dorf-Ensembles.

© Ansichtskarte Verlag Emma & Theodor Weinmann, Sammlung Sebastian Gulden Mit der benachbarten Villa, dem Trafohäuschen und dem Kindergarten wirkte Heilig Geist um 1955 wie ein Teil eines uralten Dorf-Ensembles.

Notkirchen, also Gotteshäuser, die ihren Gemeinden ein provisorisches Dach über dem Kopf boten, gab es einst zuhauf. Als die Zeiten besser wurden, mussten die meisten für Neubauten fallen. Die Laufamholzer indes haben sich ihre Notkirche bewahrt – und damit einen ganz besonderen Schatz Nürnberger Nachkriegsarchitektur.

Dass aus geringen Mitteln große Werke entstehen können, das lehrt uns die Geschichte immer wieder – mal im Kleinen, mal im Großen. Als der Zweite Weltkrieg nach knapp sechs Jahren unermesslichen Leids und Zerstörung 1945 zu Ende war, lagen weite Teile Europas in Trümmern. Auch viele Gotteshäuser waren schwer beschädigt oder gänzlich zerstört. Wer würde es wagen, in solchen Zeiten den Neubau einer Gemeindekirche anzupacken?

Tauschgeschäfte mit Holz und Ziegelsteinen

Die Laufamholzer Protestanten taten es, als sie nur wenige Monate nach Kriegsende mit den Arbeiten an Heilig Geist begannen. 1943 hatte eine Brandbombe ihre erste Kirche – sie befand sich im umgebauten Festsaal der Gaststätte "Hammerhöhe" (Laufamholzstraße 297) – vernichtet. Nur ein paar Sandsteinquader, die man aus der Ruine hatte bergen können, fanden ein Nachleben in der Kanzel der heutigen Kirche. Deren Neubau sollte nun städtebaulich ins Zentrum des Stadtteils rücken, an die Moritzbergstraße.

Heute können wir der hohen Bäume wegen die Perspektive der 1950er Jahre nicht mehr einnehmen. Dann eben vom Kirchgarten aus, wo man die Kirche derzeit zusammen mit ihrem Modell bewundern kann. 

Heute können wir der hohen Bäume wegen die Perspektive der 1950er Jahre nicht mehr einnehmen. Dann eben vom Kirchgarten aus, wo man die Kirche derzeit zusammen mit ihrem Modell bewundern kann.  © Sebastian Gulden

Nachdem Architekt Georg Deuerlein einen ersten Entwurf gefertigt hatte, sicherte man sich für die weitere Planung die Dienste zweier erfahrener Baukünstler: Hans Weiß, Schöpfer der Willibaldskirche am Rangierbahnhof, und Kurt Mischke – er sollte später die Bauleitung der Schweinauer Kreuzkirche innehaben – standen der Gemeinde mit Rat und Tat zur Seite. Doch der Mangel an geeignetem Baumaterial war bis zur Währungsreform ein allgegenwärtiges Problem.

Amerikaner halfen mit einer Baracke aus

Pfarrer Däschlein und seine Schäfchen mussten viel Verhandlungsgeschick aufbringen, um durch den Tausch von Waren und Berechtigungsscheinen an Holz, Mauer- und Dachziegel zu kommen. Da halfen die US-amerikanischen Besatzer aus und schenkten den Laufamholzern eine Baracke, die sie mit einer anderen aus städtischem Besitz verbanden. Am Ende gelang durch den Zusammenhalt und den Fleiß vieler das Wunderwerk: Am Pfingstsonntag 1948, als noch immer weite Teile Nürnbergs in Trümmern lagen, konnten die Laufamholzer ihre neue Kirche feierlich einweihen.

Der Kirchenraum mit seiner gediegenen Ausstattung hat sich in den vergangenen 75 Jahren nur wenig verändert. Ein Glücksfall, dessen sich nur wenige Gemeinden erfreuen können.

Der Kirchenraum mit seiner gediegenen Ausstattung hat sich in den vergangenen 75 Jahren nur wenig verändert. Ein Glücksfall, dessen sich nur wenige Gemeinden erfreuen können. © Sebastian Gulden

Die Planer gaben Heilig Geist eine ganz und gar klassische Grundrissform, und auch in den Details finden sich viele historisierende Formen. Die Fronten des Kirchenbaus sind mit Ausnahme der Querfassaden und der Strebepfeiler verbrettert. Zu beiden Seiten des Chors, den man von außen nicht sieht, sind Nebenräume angeordnet. Der Fassadenturm mit seiner roten "Zipfelmütze" verbindet eine eingängige Form – so würde ein Kind klassischerweise einen Kirchturm zeichnen – mit einer reizvollen Gestaltung mit Anklängen an den Heimatstil.

Betritt man den Kirchenraum, umfängt einen sogleich die anheimelnde Wirkung eines warmen, mit großer Handwerkskunst geschaffenen Gebetsraums. Von den hellen Wänden setzen sich die Wandpfeiler und die gewölbte, kassettierte Bretterdecke mit offenem Stuhl ab. Die Fenster mit ihren farbigen Scheiben, der große Radleuchter und die moderne indirekte Deckenbeleuchtung tauchen den Saal in ein geradezu mystisches Licht.

Karl Langes Altar erinnert formal an Flügelaltäre des Mittelalters. Die Bekrönung mit den Engeln ist ein Überbleibsel der alten Kirche an der Laufamholzstraße. 

Karl Langes Altar erinnert formal an Flügelaltäre des Mittelalters. Die Bekrönung mit den Engeln ist ein Überbleibsel der alten Kirche an der Laufamholzstraße.  © Sebastian Gulden

Den Altar ziert ein Flügelretabel, das Karl Lange mit Malereien in erdigen Farben und kräftiger, geradezu grafisch anmutender Linienführung versah. Im Zentrum steht Christus als Weltenherrscher, umgeben von den Symbolen der vier Evangelisten. Die Flügel zeigen wichtige Szenen aus dem Leben Jesu von der Geburt bis zur Kreuzigung. Lange war es auch, der die Brüstung der hölzernen Orgelempore (hier steht noch das weitgehend originale Instrument von 1948!) mit der Taube als Symbol des Heiligen Geistes, musizierenden Engeln und sechs Sternen versah.

Offene Türen: Jeder kann den Raum auf sich wirken lassen

Originell ist der Taufstein aus Quarzit, der an Modelle der Romanik und Gotik erinnert, wenn auch stark abstrahiert. Den konischen Deckel und die Taufschale schuf der Nürnberger Kunstschmied Hans Luther aus brüniertem Messing.

Man muss nicht religiös sein, um diesen besonderen Ort des Gemeindelebens und des Gottesdienstes zu schätzen. Es ist ein Glück, dass Heilig Geist, die anfangs als provisorische Notkirche gedacht war, noch heute existiert und das weitgehend unverändert. Das sah auch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege so, das die Kirche mittlerweile in die Denkmalliste eingetragen hat – als besonders gelungenes und gut erhaltenes religiöses Zeugnis der frühen Wiederaufbaujahre.

Gut zu wissen für Besucherinnen und Besucher: Heilig Geist nimmt an dem Programm "Unsere Kirche ist offen" teil. Sie steht jenen, die sich einen Moment der Stille und Einkehr wünschen oder das (bau-)künstlerische Werk der Laufamholzer Gemeinde bewundern möchten, täglich von 9 bis 16 Uhr offen.

Zur Vertiefung empfehlen wir den informationsreichen und dabei angenehm zu lesenden Kirchenführer von Wolf-Michael Hölzel und Daniela Küster, den Sie im Vorraum der Kirche in gedruckter Form oder unter folgender Adresse im Internet finden: www.laufamholz-evangelisch.de/unsere-gemeinde/kirche/kirchenfuehrer

Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: redaktion-nuernberg@vnp.de

Noch viel mehr Artikel des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" mit spannenden Ansichten der Stadt und Hintergründen finden Sie unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel


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