Förderchaos sorgt für Verzug

Bayern: Zwei Drittel der Klassenzimmer ohne Luftfilter

9.9.2021, 08:01 Uhr
Luftfiltergeräte sind an den Schulen immer noch Mangelware.

© Sven Hoppe/dpa Luftfiltergeräte sind an den Schulen immer noch Mangelware.

Es braucht wenig Fantasie, um sich vorzustellen, wie es den Schülerinnen und Schülern im Herbst und Winter diesen Jahres ergehen wird. Die Jugendlichen werden am Platz Maske tragen, sich drei Mal pro Woche testen - sofern sie ungeimpft sind - und sich an die A-H-A-Regeln halten.

Die wichtigsten Utensilien werden im Winter aber Jacken, Mützen, Schals und Thermoskannen sein, um der Kälte im Klassenzimmer zu trotzen. Das Stoßlüften geht weiter, denn ein Baustein in der Sicherheitsstrategie für die Schulen fehlt: die Luftfilteranlagen und mobilen Luftreinigungsgeräte.

Wie viele Geräte fehlen kann das bayerische Kultusministerium nicht sagen. Bis Ende August, erklärt ein Sprecher des Ministeriums, seien für 23.000 Klassenräume von 75.000 bayernweit Fördergelder beantragt worden. Allerdings gebe es auch Schulen, die unabhängig von der Förderung bereits Luftfiltergeräte besorgt hätten. Insofern könnten es noch mehr werden.

Hoffnung auf das Geld vom Bund

Nach Angaben von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) waren zwei Wochen vor Beginn des Schuljahrs erst zehn Prozent der Gelder aus dem jüngsten, im Sommer aufgelegten dritten Förderprogramm abgerufen worden. Das Kultusministerium gibt sich optimistisch: Große Hoffnung setze man auf das Förderprogramm für Luftfilteranlagen, das der Bund Mitte Juli verabschiedet hat, sagte ein Ministeriumssprecher. Damit stehen dem Freistaat nochmal rund 31 Millionen Euro für die Ausstattung von Klassenzimmern mit Luftfiltern zur Verfügung. Geld, das bestimmt rasch von den Kommunen und Sachaufwandsträgern abgerufen wird, ist sich der Sprecher sicher.

Wirft man einen Blick in die "Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Freistaat Bayern über die Gewährung einer finanziellen Beteiligung des Bundes zur Verbesserung des Infektionsschutzes in Schulen und Kindertageseinrichtungen (VV Mobile Luftreiniger 2021)", dann wird klar: Diese Fördersumme ist an Bedingungen geknüpft.

Mit einer 50-prozentigen Förderung werden nur Luftreinigungsgeräte für Klassenzimmer der Kategorie II bedacht. Dabei handelt es sich um Räume mit eingeschränkten Lüftungsmöglichkeiten, also Zimmer, deren Fenster zum Beispiel nur gekippt werden können. Luftfilter für diese Räume werden aber auch nur gefördert, wenn dort Kinder unter 12 Jahren sitzen, die älteren Kinder könnten sich schließlich impfen lassen.

Förderung kann nicht abgerufen werden

Erinnert werden muss an dieser Stelle an ein Förderprogramm der Staatsregierung aus dem Jahr 2020. Das erste der insgesamt drei Programme. Bayern war damals eines der ersten Bundesländer, das Unterrichtsräume mit begrenzten Lüftungsmöglichkeiten mit Luftfiltern ausstattete und die Anschaffung der Geräte zu 100 Prozent förderte.

37 Millionen Euro standen damals zur Verfügung, für rund 4600 Klassenzimmer der Kategorie II wurden Luftfilter und CO2-Meßgeräte angeschafft. "Nachdem das Bundesprogramm genau auf die Art von Klassenräumen abzielt, die wir schon bedient haben, müssen wir leider schwer davon ausgehen, dass ein Großteil dieser 31 Millionen Euro vom Bund gar nicht abgerufen werden kann", sagt Matthias Fischbach, bildungspolitischer Sprecher der FDP im Landtag.

Förderungswürdige Klassenzimmer dieser Kategorie dürfte es in Bayern kaum noch geben, zumal damals die Hälfte der Fördergelder, also rund 14 Millionen Euro, übrig geblieben sind, die dann in das zweites Förderprogramm des Freistaats im darauffolgenden Jahr überführt wurden. 9500 genehmigte Anträge waren das Ergebnis dieses zweiten Förderprogramms 2021. Schon damals war die Aufregung groß, weil es nicht voran ging.

"Eine Farce"

„Ich hätte erwartet, dass sich die Staatsregierung dafür einsetzt, die Förderrichtlinien des Bundes mitzugestalten, um das derzeitige Förderprogramm zu refinanzieren und damit den Steuerzahler erheblich zu entlasten, aber das ist nicht passiert", sagt Fischbach. Stattdessen rühme man sich in der Staatsregierung, dass von Seiten der Politik alles dafür getan werde, Präsenzunterricht an den Schulen zu ermöglichen, das sei doch eine Farce. Man könne nicht davon ausgehen, dass zeitnah alle Klassenräume mit Luftfiltern ausgestattet seien. Realistisch sei das vielleicht zum Ende des ersten Quartals 2022.

Die Hersteller von Luftreinigungsgeräten haben bereits darauf hingewiesen, dass es aufgrund der bundesweit gestiegenen Nachfrage zu Lieferengpässen kommen kann.


Einen Kommentar von Thomas Correll zum Thema "Durchseuchung bei Kindern" lesen Sie hier.


Wer trägt die Schuld an der Misere? Die Staatsregierung sieht nach wie vor die Kommunen in der Verantwortung und wirft ihnen vor, zu lange gezaudert zu haben. Armin Sing, Sprecher des Bayerischen Städtetags, winkt ab: "Es gibt immer noch sehr viele ungeklärte Fragen." Viele Kommunen seien verunsichert, weil sie Wartungs- und Energiekosten der Geräte nicht abschätzen könnten.

Hinzu komme, dass viele Städte finanziell so schlecht ausgestattet seien, dass sie mit einer Förderung von lediglich 50 Prozent der Anschaffungskosten nicht weit kämen. Vor allem Großstädte wie Nürnberg, die viele Klassenzimmer auszustatten hätten, täten sich schwer. "Die Kommunen versuchen gerade alle Luftfiltergeräte zu beschaffen. Wir müssen uns auch an die Gesetze halten und Vergabeverfahren, vielleicht sogar auf europäischer Ebene, kosten eben viel Zeit."

Bürgermeister brauchen Fachleute

Wilfried Schober, Sprecher des Gemeindetags, ergänzt: "Nach wie vor liegen uns keine Leitlinien dazu vor, welches Gerät für welches Klassenzimmer am besten geeignet ist." Deshalb müssten die Bürgermeister erst Fachleute zur Rate ziehen. Auf Grundlage deren Gutachten könne man sich dann in ein Ausschreibungsverfahren begeben. Eine Verzögerung der Prozesse hätte es aber auch wegen der vielen erbitterten Diskussionen mit der Elternschaft gegeben, sagt Schober. Eltern hätten mit Klagen gedroht, sollte ihr Kind neben ein Lüftungsgerät gesetzt werden. "Die Eltern fürchten die Virenlast der Geräte und die Lärmemissionen."

"Das gerade einmal zehn Prozent der Fördergelder abgerufen wurde, ist einfach nur erbärmlich", sagt Henrike Paede, stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Elternverbands. "Viele Schulträger und Kommunen wollten nicht in Luftfilter investieren, weil sie nicht sicher waren, ob mit entsprechender Ausrüstung auch wirklich mehr Präsenzunterricht stattfinden kann." Dazu habe sich die Politik nie verlässlich geäußert.

Brandbrief der Realschuleltern

Andrea Nüßlein, Vorsitzende des Landeselternverband bayerischer Realschulen, hat Kultusminister Michael Piazolo (FW) einen Brandbrief geschrieben. In diesem schildert sie ihr Entsetzen über die verzögerte Ausstattung der bayerischen Klassenzimmer mit Luftreinigungsanlagen.

Die Lehrerverbände fühlen sich, als wären sie in einer Dauerschleife gefangen, in der sie immer dieselben Probleme ansprechen, sich aber nie etwas an den Umständen ändert. Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands, findet die Situation zum Schulanfang "untragbar". Wie immer treffe es die Schwächsten am härtesten. "Schulen, die es sich leisten können, ohne Fördergelder Luftfilter anzuschaffen, sind diejenigen, die finanziell gut ausgestattet sind und nicht diejenigen aus einem schwierigeren sozio-ökonomischen Umfeld, in denen die Schüler besonders dringend auf Präsenzunterricht angewiesen sind."

Großes Unverständnis

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte der Bayerische Philologenverband (bpv) zum ersten Mal Luftfilter als ergänzende Maßnahme des Infektionsschutzes hingewiesen. Doch passiert ist seitdem viel zu wenig, findet bpv-Vorsitzender Michael Schwägerl: „Es ist für uns völlig unverständlich, dass wir seit Monaten auf diese Technologie als Baustein zur Sicherung des Präsenzunterrichts hinweisen, während sich die verschiedenen politischen Ebenen bei der Beschaffung gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben." Dauerlüften sei an Schulen keine Lösung und führe je nach Witterung auch nicht immer zum gewünschten Luftaustausch. Der Bayerische Realschullehrerverband schließt sich dieser Forderung an.

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