Bayerns Gesundheitsämter rätseln: Woher stammen Corona-Infektionen?

14.12.2020, 12:42 Uhr
Bayerns Gesundheitsämter rätseln: Woher stammen Corona-Infektionen?

© Rüdiger Wölk/imago-images.de

Bei manchen Corona-Hotspots sind die Wege offensichtlich, auf denen sich Virus verbreitet hat. So sorgte der Massenausbruch in einem örtlichen Seniorenheim dafür, dass Schwabach vor Kurzem unter den bundesweiten Top Ten der Kommunen und Landkreise mit der höchsten Sieben-Tage-Inzidenz zu finden war. Insgesamt 86 bestätigte positive Tests (67 Bewohner und 19 Pflegekräfte) ließen diesen Schlüsselwert in Bayerns kleinster kreisfreier Stadt kurzzeitig auf über 360 hochschnellen.


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Abgesehen davon tun sich die bayerischen Gesundheitsämter jedoch immer schwerer, sogenannte Corona-Cluster aufzuspüren - also genau definierte Orte oder Veranstaltungen, an denen sich viele Personen auf einmal mit Sars-CoV-2 angesteckt haben. Die jüngsten offiziellen Zahlen des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) bezüglich der erfolgreichen Kontaktnachverfolgung sind denn auch ziemlich desillusionierend: Etwa 16 Prozent der gemeldeten Covid-19-Fälle in Bayern konnten Ende November einem konkreten Infektionsgeschehen zugeordnet werden, wie ein Sprecher der in Erlangen sitzenden Landesbehörde erklärt.

"Starkes, diffuses Infektionsgeschehen" in Bayern

In einer Pressemitteilung der Bayerischen Staatskanzlei wurde denn auch ein "starkes, diffuses Infektionsgeschehen" als Grund für die Verschärfungen des bayerischen Ministerrats ins Feld geführt, die dem jetzigen bundesweiten Lockdown vorausgegangen waren. Erst wenn die Zahl der Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen flächendeckend wieder unter dem Wert von 50 liege, sei eine sichere Nachkontrolle von Infektionswegen möglich.

Bei mehr als 4000 registrierten Neuinfektionen im Freistaat an manchen Tagen sind die bayerischen Gesundheitsämter trotz Bergen von Überstunden und kurzfristigen personellen Verstärkungen wie Bundeswehr-Soldaten, die infizierte Personen telefonisch befragen, längst an ihren Grenzen angelangt. "Eine eindeutige Aufklärung der eigenen Infektionsumstände ist für viele Einzelfälle nicht möglich", heißt es in einer Antwort des bayerischen Gesundheitsministeriums, als die Landtagsfraktion der Grünen vor einigen Wochen im Plenum nach den wichtigsten Ansteckungsorten in der Pandemie gefragt hatte.

Zwar tragen die Mitarbeiter der Gesundheitsämter laut dieser Stellungnahme in eine Meldesoftware ein, wo sich eine Person "wahrscheinlich" angesteckt habe. Es werden aber keine Daten systematisch ausgewertet, ob sich Infizierte etwa in einem Gastronomiebetrieb, am Arbeitsplatz oder in der Schule, beim Sport oder bei einer privaten Feier angesteckt hätten.

Kontaktpersonen: Rückstand von mehreren Tagen

Viele Ämter können Kontaktpersonen teilweise nur noch mit einem Rückstand von mehreren Tagen ermitteln. Und die können sich dann natürlich kaum noch daran erinnern, wo genau sie mit welchen Menschen zusammengekommen sind.

Nach Ansicht von Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze ist die unzureichende Datenbasis ein ziemliches Armutszeugnis für die Staatsregierung. "Wir sind immerhin schon im zehnten Monat der Pandemie, und ich erwarte vom selbsternannten Krisenmanager Söder, dass er das in den Griff bekommt", kritisiert Schulze. Zahlreiche Experten hätten im Sommer vor der zweiten Welle gewarnt, dennoch habe man sich nur unzureichend darauf vorbereitet. "Und jetzt haben wir den Salat, das System ist völlig überlastet", schimpft die Grünen-Politikerin.

Ein Problem bei der Kontaktnachverfolgung ist die Tatsache, dass die Gesundheitsämter im Freistaat mit verschiedenen EDV-Lösungen arbeiten. Und die sind untereinander oft nicht kompatibel und teilweise auch überfordert mit den Unmengen von Daten, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gesammelt, ausgewertet und weitergeleitet werden müssen.

Neue Corona-Software kann oft nicht genutzt werden

So wird die im Mai von Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) präsentierte Software BaySIM, mit der Infizierte auch selber Daten an die zuständigen Mitarbeiter weiterleiten können, bislang von weniger als der Hälfte der 76 bayerischen Gesundheitsämter genutzt. "Sormas", ein spezielles Programm zur Kontaktnachverfolgung, das auch international zur Bekämpfung von Epidemien verwendet wird, setzt bislang nur ein einziges Amt im Freistaat ein. Fünf weitere haben "Sormas" zumindest schon mal eingerichtet, bei 69 Gesundheitsämtern dagegen ist der Einsatz laut Auskunft des Gesundheitsministeriums gar nicht möglich.

Ein problemloser Datenaustausch, etwa zwischen Gesundheitsämtern von nebeneinanderliegenden Landkreisen, ist nach Ansicht von Fachleuten aber dringend nötig, um mögliche Infektions-Cluster schneller identifizieren zu können. Schließlich macht das Virus nicht an Stadt- oder Landkreisgrenzen halt.

Einen gewissen Trend zumindest kann man aus den von den Gesundheitsämtern ans LGL und ans Robert-Koch-Institut übermittelten Daten herauslesen: "Auch in Bayern ist ein großer Teil der Ausbrüche auf das private Umfeld - vor allem innerhalb von Haushaltsgemeinschaften - zurückzuführen", sagt ein LGL-Sprecher. Seit Ende Oktober sei zudem zu beobachten, dass es derzeit vor allem im Umfeld von Senioreneinrichtungen zu einer steigenden Zahl von Infektionen komme.

"Einschränkungen nach dem Gießkannenprinzip"

Max Deisenhofer, Landtagsabgeordneter der Grünen, sind diese Informationen zu dünn: Solange die Regierung nicht wisse, wo die Infektionsschwerpunkte liegen, müsse sie mit ihren Beschränkungen immer alle gesellschaftlichen Bereiche treffen, kritisiert der Landtagsabgeordnete der Grünen. "Einschränkungen nach dem Gießkannenprinzip", das müsste Deisenhofers Ansicht nach nicht sein, "wenn die Regierung mehr über die entscheidenden Cluster wüsste und passgenaue Maßnahmen dafür hätte".

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