Frau und Kinder landen in Trockau
Sie erlebt das Unvorstellbare: Flucht aus der geliebten Heimat
21.04.2022, 05:16 Uhr"Jeder Morgen begann in meiner Familie mit dem Lachen meiner Kinder", erzählt sie und fragt: "Kann es etwas Besseres geben als in dem eigenen, warmen Bett aufzuwachen, das in deiner Wohnung in deiner wunderschönen Lieblings-Stadt steht?" Ihre Lieblingsstadt, Charkiw, beschreibt die Geflüchtete mit den schönsten Plätzen und Ecken, wundervollen Parks und einer guten Infrastruktur. "Unsere Stadt war immer wie ein heller Stern am Himmel." Und sie schiebt nach: "Es schmerzt, dass uns der russische Angriffskrieg alles genommen hat."
"Bring dich in Sicherheit"
Den 24. Februar 2022 wird Rita Husak nie vergessen: Ihre beiden Kinder, Polina (11) und Andrey (12), und sie sind von den Einschlägen der Bomben aufgewacht. Diese waren weit weg. "Ich habe mein Handy in die Hand genommen, um meine Eltern anzurufen und sah die schreckliche Nachricht: ,Bring dich in Sicherheit, der Krieg hat begonnen‘ stand da", berichtet die Ukrainerin, die als Autoverkäuferin gearbeitet hat.
Zuerst haben sie sich im dunklen Bad ihrer Wohnung versteckt und vermieden, Licht anzumachen, damit der Feind nicht wusste, wohin er zielen sollte. Als es Rita Husak im zehnten Stock des Mehrfamilienhauses zu gefährlich wurde, hat sie sich mit ihren Kindern und einigen Nachbarn einige Zeit im Keller des mehrstöckigen Wohnhauses verkrochen.
Ein paar Tage haben sie noch bei Freunden gewohnt. "Aber wir alle wussten, dass es gefährlich und beängstigend ist, weiter in Charkiw zu bleiben." Die Einschläge kamen immer näher und wurden immer lauter: "Als in zwei Kilometer Entfernung eine Schule bombardiert wurde, wusste ich, dass wir fliehen müssen." Dafür vorbereitet hatte sie nichts. Sie sind zu dritt ohne Gepäck aufgebrochen.
Am 1. März kamen sie in der etwa 200 Kilometer entfernten Stadt Dnipropetrowsk, süd-westlich von Charkiw, an. Danach fuhren sie mehrere Tage lang über völlig überfüllte Straßen und ohne konkretes Ziel in Richtung Westen, berichtet die Ukrainerin. Unterwegs haben sie in Schulen und Sammelunterkünften geschlafen.
Durch einen neu gefundenen Bekannten kam sie auf die Idee, nach Deutschland zu fliehen. Unterwegs hat sie eine andere Alleinerziehende kennengelernt, die sie in ihrem Auto hierher mitgenommen hat. Am 19. März kam sie mitten in der Nacht bei Johann Linhardt in Trockau an. Er hatte über das Landratsamt und Bekannte erklärt, dass er Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen wolle. Und so kamen Rita, Polina und Andrey Husak zu ihm.
"Hansi ist ein guter Mann, er hilft uns viel", sagt die 35-Jährige dankbar über ihren 74-jährigen Gastgeber. Er unterstützt sie bei Behördengängen und den Einkäufen, wo er nur kann. Dafür brauche es viel Geduld, wie er sagt. Vor allem die Ämter seien sehr eingespannt und man müsste lange auf seine Termine warten.
Nur Kontakt zum Chef
Noch immer stehe Rita Husak mit ihrem Chef des Autohauses telefonisch in Kontakt. Er erkundige sich regelmäßig, wie es ihr geht. Immer wieder stockt sie mit ihren Erzählungen auf Englisch, nimmt den Ukrainisch-Englisch-Übersetzer auf ihrem Smartphone zu Hilfe und will noch mehr berichten.
So schreibt sie von ihren Eltern: Sie sind 60 und 61 Jahre alt und wohnten in der Nähe der Tochter und der Enkel. "Sonst haben wir uns am Wochenende in Parks getroffen oder die Kinder haben oft ihre Freunde eingeladen. Jetzt habe ich seit mehr als zwei Wochen nichts von meinen Eltern und anderen Verwandten gehört", sagt sie benommen. "Ich weiß nicht, wo sie sind, ob sie etwas zu essen haben – oder ob sie überhaupt noch leben." Das sei für sie der blanke Horror, gepaart mit Angst. Ähnlich geht es ihr, wenn sie an weitere Freunde in der Ukraine denkt. Einige haben kein Geld, um aus dem Land zu fliehen.
Sie selbst konnte sich lange nicht vorstellen, die Ukraine zu verlassen, weil sie mit ihrer Heimat so sehr verwurzelt ist: "Ich liebe meine Ukraine, meine Heimat. Sie ist ein Teil meines Lebens, meine Luft zum Atmen."
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen