Arbeit über der Belastungsgrenze

Böllerbeschuss und Verletzte: Einsatzkräfte blicken auf anstrengende Silvesternächte zurück

Johannes Lenz

Nordbayern-Redaktion

E-Mail zur Autorenseite

28.12.2023, 15:09 Uhr
Feuerwerksverbotszone in der Nürnberger Innenstadt: Laut BRK Nürnberg ein "Durchbruch bei der Verletzungsstatistik"

© IMAGO/Ardan Fuessmann Feuerwerksverbotszone in der Nürnberger Innenstadt: Laut BRK Nürnberg ein "Durchbruch bei der Verletzungsstatistik"

"An Silvester Rettungsdienst fahren - das muss man wollen". So fasst Thilo Könicke seine persönlichen Erfahrungen zusammen: Seit über 25 Jahren ist er im Rettungsdienst aktiv, die letzten zehn Jahre davon in der Einsatzleitung des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) Nürnberg. Fast immer war er in der Silvesternacht im Dienst und hat dabei viel erlebt - vor allem, als es in der Nürnberger Innenstadt noch keine Verbotszonen für das Abbrennen von Feuerwerkskörpern gab: "Einmal mussten wir mehrere Verletzte behandeln, weil jemand mitten in der Menschenmenge eine Sektflasche mit einem Böller gesprengt hatte", erinnert sich Könicke.

Für das BRK ist die Silvesternacht mit besonderen Herausforderungen verbunden. "Die Einsatzkräfte fahren per se die ganze Nacht durch. Sie betreten die Wache zu Dienstbeginn und kommen erst zu Dienstende wieder", erzählt Könicke. Das geht an die Substanz: "Unsere Einsatzkräfte fahren ganzjährig an der Belastungsgrenze, an Silvester überschreiten sie diese sogar", so Könickes Einschätzung.

Feuerwerksunfälle: Zusatzbelastung zum "Normalbetrieb"

Mitverantwortlich für das erhöhte Einsatzaufkommen der Rettungsdienste sind Unfälle mit Feuerwerkskörpern. "Der Anstieg an chirurgischen Vorfällen zu Silvester ist exorbitant", weiß Könicke. Ein Teil davon entfalle auf Unfälle beim Zündeln. Vor allem durch das unsachgemäße Abfeuern von Feuerwerkskörpern, zum Beispiel "wenn Leute Böller in der Hand explodieren oder Raketen aus der Hand steigen lassen". Doch auch andere Arten von Verletzungen treten in der Silvesternacht verstärkt auf, beispielsweise durch Schlägereien.

Eine Gemengelage, die viele Sanitäter vor schwierige Entscheidungen stellt: "Vermeide ich einen Transport mit dem Rettungswagen, wenn es vertretbar ist? Kann ich jemanden mit einer Schnittwunde auch an den Hausarzt überweisen, der sich tags darauf um die Behandlung kümmert?", führt Könicke exemplarisch aus. Denn abgesehen von Böllerei und Gerangel ist Silvester dann doch eine Nacht wie jede andere - zumindest für den Rettungsdienst: "Dass an Silvester Leute zu Hause liegen und einen Herzinfarkt haben, vergessen die Leute gerne." Auch deshalb muss das BRK Nürnberg seinen Fuhrpark an Silvester anpassen und auch die Bereitschaft im Rettungsdienst personell aufstocken.

Ruhigere Nächte im ländlichen Raum

Deutlich ruhiger geht es in den ländlichen Regionen Mittelfrankens zu: Karl Dirr ist Leiter des Rettungsdienstes beim BRK-Kreisverband Südfranken, sein Einsatzgebiet umfasst die Landkreise Roth, Weißenburg-Gunzenhausen und die Stadt Schwabach. Für seine Mannschaften verläuft die Silvesternacht ruhiger als für die Kollegen in der Großstadt, aber auch sie sehen sich mit den Folgen von Feuerwerksunfällen konfrontiert: "In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Fingerverletzungen oder geschwollenen Händen, hier und da schlägt mal eine Rakete schräg ein", fasst Dirr zusammen.

Ihre Belastungsgrenze erreichen seine Mitarbeiter in den Silvesternächten nicht. Trotzdem glaubt Dirr, dass der Jahreswechsel ohne privates Feuerwerk für seine Mannschaften noch ruhiger ausfallen würde: "Geringer wäre das Einsatzaufkommen auf jeden Fall, es kommen schon Verletzungen vor."

Brennende Mülleimer und verirrte Raketen: viele Einsätze für die Feuerwehren

Zurück in der Großstadt: Nicht nur für das BRK stellt die Silvesternacht eine verstärkte Belastung dar, auch die Feuerwehren sind besonders gefordert. "Silvester ist Highnoon bei der Feuerwehr", weiß Christian Gußner, Leiter des Amtes für Brand- und Katastrophenschutz der Stadt Fürth und zuständig für die Feuerwehr in der Kleeblattstadt. "Zehn Einsätze in der Silvesternacht sind keine Seltenheit", erzählt Gußner. Viele davon werden durch Feuerwerkskörper verursacht: "Wir haben es meistens mit brennenden Mülltonnen oder Straßenlaternen zu tun, oder mit Raketen, die sich auf Balkons verirren und dort herumliegende Gegenstände entzünden."

Einmal war die Fürther Feuerwehr sogar selbst Ziel einer solchen verirrten Rakete: "Das war noch in der alten Feuerwache. Eine Rakete hat die Scheibe zum Treppenhaus durchschlagen und ist dort hochgegangen. Gott sei Dank ist nichts passiert, aber das hätte böse ausgehen können"; erinnert sich Gußner. Ohne privates Feuerwerk müsste die Fürther Feuerwehr jedenfalls seltener ausrücken: "Wenn keine Feuerwerkskörper gezündet werden, gibt es auch weniger Brände, also weniger Einsätze", weiß Gußner. Aber es gäbe auch andere potenzielle Brandherde zu Silvester, etwa Adventskränze oder Kerzen.

Ähnlich schätzt Sebastian Kahl, Pressesprecher der Feuerwehr Nürnberg, die Situation ein. "Wir fahren verstärkt Einsätze wegen Kleinbränden in der Silvesternacht", erzählt Kahl: Brennende Müllcontainer, verirrte Raketen, entzündetes Laub in Lichtschächten. Trotz der verstärkten Anzahl an Einsätzen sieht er keine Überlastung der Nürnberger Feuerwehr: "Das ist alles nichts Dramatisches. Wir müssen zwar Einheiten schicken, die bekommen das Ganze aber schnell in den Griff", erklärt Kahl. Vor Corona hatte die Feuerwehr Nürnberg trotzdem zusätzliche Fahrzeuge in der Silvesternacht besetzt. Und auch in diesem Jahr halten sich zwei Feuerwehrleute in Hintergrundbereitschaft für den Einsatzleitdienst bereit.

Alkohol und Feuerwerk: Polizei sieht "schlechte Kombination"

Wenn Feuerwehr und Rettungsdienst zum Einsatz ausrücken, ist oft auch die Polizei beteiligt. Dadurch hat auch Michael Konrad, stellvertretender Leiter der Pressestelle des Polizeipräsidiums Mittelfranken, einen guten Überblick über die Einsatzlage zu Silvester. "Allgemein ist die Belastung für die Einsatzkräfte an Silvester groß, weil das Gefahrenpotential erhöht ist", sagt Konrad. Darauf deutet auch die Bilanz der letzten Silvesternacht in Nürnberg hin - trotz Corona-Einschränkungen: "Es gab drei Balkonbrände und knapp fünfzig Verletzte beim Feiern", resümiert Konrad.

Auch, wenn die Zahl derer, die durch Feuerwerksunfälle verletzt wurden, nicht gesondert erfasst wird, ist sich Konrad sicher: Einige der Verletzungen sind auf das Abbrennen von Böllern und Raketen zurückzuführen. "Man braucht keine Phantasie, um zu wissen, dass Leute dadurch verletzt werden", schätzt er die Gefahrenlage ein. "Aus gutem Grund ist in manchen Bereichen das Mitführen von Feuerwerk verboten."

Auch deshalb ist die Polizei an Silvester mit erhöhter Mannschaftsstärke im Einsatz. Schwer zu trennen sei allerdings das Zusammenwirken von Feuerwerk und Alkohol - "eine schlechte Kombination", wie Konrad einschätzt. Die meisten Polizeieinsätze werden in der Silvesternacht aber weder durch Alkoholmissbrauch, noch wegen Unfällen mit Feuerwerkskörpern ausgelöst. Zumindest nicht direkt: Am häufigsten rückt die Polizei zum Jahreswechsel wegen Ruhestörungen aus.

"Man kann nicht alles verbieten" - Sicherheitszonen statt generellem Böller-Verbot?

Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr: An allen Fronten sind die Einsatzkräfte in der Silvesternacht besonders gefordert. Trotz der immensen Belastung, die auch durch Unfälle mit Feuerwerkskörpern verursacht wird, sehen die Verantwortlichen in der Region ein generelles Böllerverbot für Privatpersonen eher kritisch. "Es gibt zwar verschiedene Gründe, die dagegen sprechen, etwa die Umwelt und die Rücksicht auf Tiere. Aber wo fängt man an und wo hört man auf? Man kann nicht alles verbieten", meint etwa Christian Gußner vom Fürther Amt für Brand- und Katastrophenschutz.

Beim BRK-Kreisverband Südfranken sei das Stimmungsbild unter den Mitarbeitern sehr individuell, wie Rettungsdienstleiter Karl Dirr verrät. Er selbst spricht sich für ein Böller-Verbot aus - "aber das ist meine persönliche Meinung." Auch er verweist auf die hohe Umweltbelastung und das Leid der Tiere.

Sein BRK-Kollege aus Nürnberg, Thilo Könicke, ist anderer Meinung und ist gegen ein allgemeines Verbot für das private Abbrennen von Feuerwerkskörpern. Vielmehr ist er überzeugt von der Wirksamkeit sektionaler Verbotszonen, wie etwa im Bereich des Burgberges und der Lorenzkirche - "ein großer Durchbruch bei der Verletzungsstatistik". Könickes größte Befürchtung: Ein generelles Böller-Verbot lasse sich nur schwer durchsetzen. "Ich vermute, dass es die Leute sich nicht komplett nehmen lassen."

Deutsches Feuerwerk vergleichsweise sicher - Politik ist gefordert

Könicke sei es lieber, wenn die Leute in Deutschland erhältliche Feuerwerkskörper kaufen, die vergleichsweise sicher seien - anstatt "selber Zeug zusammenzumischen" oder sich im Ausland nach Alternativen mit niedrigeren Sicherheitsstandards umzusehen. In beiden Fällen könne sich das Verletzungsrisiko deutlich erhöhen.

Diese Befürchtung teilt auch Sebastian Kahl von der Feuerwehr Nürnberg: "Vielleicht kommen die Leute an illegale Böller, das Risiko schwerer Verletzungen könnte dadurch steigen." Auch er glaubt nicht, dass Menschen sich durch ein Verbot vom Böllern abhalten lassen - auch, wenn die Feuerwehr Nürnberg von einem solchen Verbot profitieren würde: "Einsatzmäßig können wir das nur begrüßen, die Belastung wird geringer", meint Kahl. Allerdings ist es ihm wichtig zu betonen, dass sich die Feuerwehr neutral verhält: "Wir möchten nicht dastehen als diejenigen, die darauf drängen, das Böllern zu verbieten, das müssen andere machen." Zuständig sei die Politik - eine Einstellung, die alle Ansprechpartner der verschiedenen Einsatzkräfte teilen.