Mediziner aus Franken erzählen

Corona-Leugner bis in den Tod: Wirre Verschwörungstheorien auf Intensivstationen

2.1.2022, 12:14 Uhr
Zuletzt sank die Zahl der Intensivpatienten, die in Bayern behandelt werden müssen, wieder unter 1000. Die Situation an den Kliniken ist aber weiter angespannt. 

© Marijan Murat/dpa Zuletzt sank die Zahl der Intensivpatienten, die in Bayern behandelt werden müssen, wieder unter 1000. Die Situation an den Kliniken ist aber weiter angespannt. 

Das, was er auf seiner Intensivstation erlebt, beschreibt Wolfgang Hilpert elegant als "angespannte Kommunikationssituation". Immer wieder landen in seinem Ansbacher Klinikum Menschen, die nicht an die Existenz des Coronavirus glauben. "Wir hatten da einige Patienten", sagt der intensivmedizinische Leiter. "Da war es auch so, dass sie das für sich selbst bis zur Intubation, bis zur invasiven Beatmung oder dem künstlichen Koma geleugnet haben." Einige haben den Kampf gegen Covid-19, die Erkrankung, die durch das Virus ausgelöst wird, verloren. Sie starben. So wie mittlerweile über 100.000 weitere Menschen in Deutschland.

Corona-Leugner bis in den Tod: Wirre Verschwörungstheorien auf Intensivstationen

© ANregiomed / Benz & Heinig Fotografen

Auf der Ansbacher Intensivstation werden derzeit ausschließlich Ungeimpfte behandelt. "Wir erleben hier, dass circa die Hälfte verstirbt", sagt Hilpert. "Auch wenn wir leitliniengerecht alles versuchen, für 50 Prozent unserer Patienten ist diese Krankheit aktuell tödlich." Das will aber nicht jeder wahrhaben. Der Mediziner spricht von "abstrusen Argumentationen" der Angehörigen, warum Ungeimpfte sich nicht zur Spritze durchringen konnten. "Sie wollen nicht glauben, dass es Covid gibt und es so verlaufen kann, wie es manchmal verläuft." Das reiche von Streit und wilden Diskussionen bis hin zu Anwälten, die die Behandlung von Patienten aufgeklärt haben wollen.

Was Hilpert auf seiner Station erlebt, ist kein Einzelfall. Erst kürzlich berichtete unsere Zeitung über einen Familienvater, der am Südklinikum nach einer Corona-Infektion starb - und dessen Frau selbst danach noch die Existenz des Virus leugnete. Joachim Ficker kennt diese Geschichten. Er ist Chefarzt am Nordklinikum, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Pneumologie und damit dem Organ, dass das Virus besonders aggressiv attackiert: die Lunge.

"Das reicht bis zu Menschen mit gefälschtem Impfpass"

90 Prozent derer, die aktuell an den beiden großen Kliniken der Stadt intensivmedizinisch behandelt werden müssen, sagt Ficker, seien ungeimpft. "Ausnahmen sind meist Patienten in einer besonderen Situation - also etwa Dialysepatienten oder solche mit anderen schweren Vorerkrankungen." Oft, sagen die Betroffenen, haben sie die Impfung einfach vergessen, manche haben Angst davor. Verständnis hat Ficker dafür nicht mehr. Die Studienlage sei klar. "Die Krankenhäuser sind voll mit Covid-Patienten und nicht mit Menschen, die Impfnebenwirkungen haben."

"Da kann man ehrlich gesagt nur den Kopf schütteln", sagt der Nürnberger Chefarzt Joachim Ficker über renitente Corona-Leugner. 

"Da kann man ehrlich gesagt nur den Kopf schütteln", sagt der Nürnberger Chefarzt Joachim Ficker über renitente Corona-Leugner.  © Günter Distler

Auch der Nürnberger Chefarzt trifft im Klinikalltag auf renitente Leugner und Impfskeptiker. "Es gibt immer wieder Diskussionen mit Covid-Patienten, die sich im Vorfeld nicht impfen lassen wollten und dann mit Luftnot im Krankenhaus liegen", erklärt er. "Das reicht bis hin zu Menschen mit gefälschtem Impfpass, die dann auf der Intensivstation landen." Kürzlich hatte der Sohn eines schwer erkrankten Ungeimpften gefragt, ob er nicht sofort geimpft werden könne. "Weil wir zufällig gerade Mitarbeiter geboostert haben und Vakzin übrig hatten, haben wir das auch gleich gemacht."

Ganze Familien aus "ablehnend-aggressivem Milieu"

Manchmal sind die Leugner einsichtig, immer wieder gebe es ein Umdenken, sagt Ficker, der von einem "coronakritischen bis ablehnend-aggressiven Milieu" spricht. Aber eben nicht immer. Manche werden "zum Teil richtig aggressiv, wenn ihnen die Argumente ausgehen", sagt der Pneumologie-Professor. Sie verstricken sich in "eine phantastische Verschwörungstheorie". Auch deshalb werden Gespräche mit solchen Patienten immer seltener.

Fast jede Klinik in Franken hat mit Verschwörungstheoretikern auf Intensivstationen zu tun, nahezu jeder kann eine Geschichte erzählen. "Zuletzt hat bei uns ein vehementer Impfgegner Covid-19 mit Beatmung überlebt", sagt etwa eine Sprecherin der Erlanger Uniklinik. "Er ist dankbar für sein Überleben, und seine Familie, der er vorher das Impfen untersagt hatte, ist jetzt komplett geimpft." Auch dort liegt der Anteil der Ungeimpften, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, bei rund 90 Prozent. "Die Schwerkranken, die überleben, zeigen sich nach Auskunft unserer Intensivmediziner in der Regel geläutert."

Der Frust auf den Intensivstationen wächst trotzdem. "Natürlich haben wir Ärzte ethische Grundsätze und wir behandeln jeden Patienten optimal im Rahmen der Möglichkeiten", sagt der Nürnberger Chefarzt Joachim Ficker. Ein Mensch, der etwa Zigaretten für Zehntausende Euro raucht und irgendwann an Herz oder Lunge erkrankt, sei "letztlich auch in gewisser Weise 'selbst schuld', sagt Ficker. Doch darum gehe es nicht. Aber: "Zu sehen, wie jetzt in der Pandemie andere Patienten wegen überfüllter Intensivstationen Schaden nehmen, ist bitter."

Einst Ungeimpfte werben jetzt auf YouTube für die Spritze

Ist ganz klar für die Impfung: der Chefarzt Christian Maune. 

Ist ganz klar für die Impfung: der Chefarzt Christian Maune.  © Klinikum Altmühlfranken

Soll man mit ihnen reden - oder sie ignorieren? Mediziner gerade auf überfüllten Intensivstationen, die seit Monaten unter der Belastung leiden, wandern auf einem schmalen Grat. Christian Maune, Chefarzt am Klinikum Altmühlfranken in Weißenburg, hatte mit renitenten Leugnern noch nichts zu tun, sagt er. Es gebe Patienten, die sich als geimpft ausgeben, deren Lüge aber von Tag zu Tag mehr zerbröckelt. Auch ein Fälscher lag bereits auf der Intensivstation. "Aber wir gehen mit ihnen nicht in die Diskussion", sagt der Notfallmediziner. Die Gründe etwa gegen die Impfung mögen persönliche sein, aber eben "keine guten". Und für die Therapie spielt der Schutzstatus ohnehin keine Rolle. "Alle um mich herum wissen, dass ich klar fürs Impfen bin."

Zum Dialog, davon ist Joachim Ficker überzeugt, gibt es keine wirkliche Alternative. Zumindest dann, wenn er noch möglich ist. "Wenn jemand selbst die Krankheit überlebt hat, verschwindet die pathologische Angst vor der Impfung, das Denken wird wieder klar", sagt er. Dafür gibt es viele Beispiele, etwa Menschen auch aus der Region, die eine Covid-Erkrankung nur knapp überlebt haben - und jetzt auf YouTube Werbung für die Impfung machen. "Solange aber Panik im Hirn ist, ist es schwer, aus dieser Denk-Falle herauszukommen."