Chips verführen zum Weiteressen

19.5.2015, 20:31 Uhr
Chips verführen zum Weiteressen

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Manche schwören auf Paprika, andere lieben sie salzig und geriffelt. Andreas Hess mag am liebsten die mit Balsamico-Geschmack. Der Wissenschaftler beschäftigt sich beruflich mit Kartoffelchips. Er und seine Kollegen untersuchen, warum manche Lebensmittel verlockender sind als andere. Selbst Chips essen durften sie trotzdem nicht. „Wir haben sie nur an Ratten verfüttert“, sagt er. Die Forscher wollen herausfinden, warum es bei Knabbereien und Süßigkeiten so schwer fällt, mit dem Essen aufzuhören. „Wir essen Kartoffelchips nur aus Genuss und Verlangen und nicht, weil wir es müssen, um satt zu werden.“

Wer Lust auf Chips hat, isst mehr davon als eigentlich gut für ihn ist. Bei den Ratten war das genauso. Wenn die Tiere die Wahl hatten zwischen zerbröselten Kartoffelchips und ihrem normalen Futter, wählten sie die Chips. „Dabei sind die Pellets aus Kohlenhydraten und Proteinen, die sie sonst bekommen, optimal auf die Nährstoffversorgung der Versuchstiere ausgelegt“, sagt Hess. Er vergleicht das gerne mit Krankenhaus-Essen: „Auch das ist unter ernährungsphysiologischen Aspekten sehr gut – ich kenne trotzdem wenige, die es gerne freiwillig essen würden, wenn sie nicht im Krankenhaus sind.“ So ähnlich ging es den Ratten mit den Chips, die mochten sie lieber. Aber warum eigentlich?

Die Forscher entdeckten, dass es enscheidend ist, wie ein Lebensmittel zusammengesetzt ist. „Wir haben die Hauptbestandteile von Chips – Fett und Kohlenhydrate – zu verschiedenen Anteilen miteinander gemischt“, erklärt Hess. Sie wählten dafür reine Kartoffelchips ohne Geschmacksverstärker, um nicht vom Wesentlichen abzulenken. Schon sie lösen ein gesteigertes Verlangen aus, mit folgendem Ergebnis: Wenn das Futter in einem Verhältnis von 50 zu 35 aus Kohlenhydraten und Fett besteht, mögen es die Tiere am liebsten. „Und das ist genau das Verhältnis, das auch wir Menschen in den Chips aus dem Supermarkt vorgesetzt bekommen“, sagt Hess. „Wenn ich im Flieger sitze und die Probepackung einer neuen Chipssorte teste, weiß ich inzwischen ganz genau, dass auch ich eine Laborratte bin.“ Ab und zu liest er dann die Nährwertangaben auf der Rückseite – und siehe da, 50 zu 35.

Beim Anblick der Tüte siegt Ursinstinkt über Vernunft

Hess arbeitet am Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Universität Erlangen-Nürnberg. Für die Chips-Forschung hat sich sein Team mit dem Lehrstuhl für Lebensmittelchemie unter der Leitung von Monika Pischetsrieder zusammengetan. Das Zahlenverhältnis ist kein Zufall, sondern hat sich in der Säugetierentwicklung bewährt. „Kohlenhydrate liefern uns schnell verfügbare Energie und das Fett speicherbare, langfristig abrufbare Energie“, sagt Hess. Das ist die optimale Zusammensetzung, um über längere Zeit einen Energievorrat sicherzustellen. „Die Menschheit ist Hunderttausende von Jahren in einer Mangelsituation groß geworden“, sagt Hess. „Das Verlangen nach energiereicher Nahrung ist in der Evolution so tief verwurzelt, dass unser Gehirn dadurch ausgehebelt wird.“

Zwischen zwei Mahlzeiten ist heutzutage und hierzulande nicht mehr viel Zeit oder Suche nötig, Essen ist immer und überall verfügbar. Beim Anblick der Chipstüte siegt trotzdem der Urinstinkt über die Vernunft. Der Mensch isst mehr als er bräuchte. Denn trotz modernem Verstand ist das Evolutionsgehirn nur schwer auszutricksen. „Das kennt jeder, der schon einmal eine Diät versucht hat, das erfordert eine hohe und konstante Selbstdisziplin.“ Vernünftig wäre es, eine viertel Packung Chips in eine Schüssel zu füllen und den Rest der Tüte dann tatsächlich wieder in den Schrank zu packen.

Im Kernspintomographen haben die Forscher gesehen, dass beim Chips-Essen genau dieselben Belohnungszentren im Gehirn aktiv sind wie
beim Konsum von Alkohol, Heroin und Kokain. „Diese Technik wollen wir jetzt auf den Menschen übertragen und die gleiche Untersuchung mit Testpersonen durchführen.“

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