Stimmen voller Präzision
18.9.2018, 18:41 UhrDie Renaissance war eine spannende Zeit. In Europa blühten Kunst und Kultur. Die Begeisterung für die griechische und römische Antike ergriff die gebildeten Stände. Plötzlich war es schick, statt des allzu profan empfundenen Namens mit einer latinisierten Form herumzulaufen. Aus Müller wurde Molitor, und aus Bauer wurde Agricola. "Sonat Vox" hat auch diesen Weg gewählt, sonst hätte man sich auch "Es klingt die Stimme" nennen können.
Irgendwo im Slowenischen, genau werden wir es wohl nie erfahren, kommt 1550 ein gewisser Jakob Handl (oder Händl) zur Welt. Er beginnt, wie die Erlanger "Sonat Vox"-Mitglieder Joschka Nehls, sowie Léon und Yannick Henri seine musikalische Karriere als Chorknabe und lernt so den geistlichen Gesang seiner Zeit kennen. Doch bald schon reist er durch die Lande und wird als Jacobus Gallus (= der Hahn) eine Anstellung in Olmütz finden. Wie damals üblich bei einem geistlichen Herren, der für Gottesdienste, Prozessionen und Andachten kirchenmusikalisches Material brauchte. Also schrieb Gallus allerlei Motetten, in denen er den mehrstimmigen, lateinischen Gesang erklingen ließ.
Dem Knabenalter sind die ehemaligen "Windsbacher" wie Christopher Lanitz, Jan Scholkowski oder Marius Kaufmann allerdings entwachsen. Freilich nicht lange. Ist der älteste Sänger doch gerade einmal 24 Jahre. Selbst der aus Neuendettelsau stammende Dirigent Justus Merkel ist kein ehrfurchtheischender älterer Herr, sondern ein 22-jähriger Student an der Musikhochschule Dresden. Seinen fließenden, ja tänzerischen Bewegungen folgt der a cappella-Chor blindlings. Vom erschütterndsten Fortissimo bis zum fragilen Pianissimo — und den nicht minder schwierigen dynamischen Abstufungen dazwischen.
Feingliedrige Komposition
Eine der feingliedrigen Kompositionen Gallus’, denen "Sonat Vox" stimmlich ergriffen nachspürt, ist das "Ecce quomodo moritur iustus" (Seht, wie der Gerechte stirbt). Diese Verse des Propheten Jesaja haben nach dem Renaissance-Komponisten noch Größere inspiriert. Orlando di Lasso und Bach etwa. Sobald die gelassen gen Himmel strebenden Tenöre und die auf dem Boden der menschlichen Tatsachen bleibenden Bässe anheben, künden sie mit melancholischer Zuversicht vom Tode Jesu. So wie Johannes Knauer, Robert Ludwig und Johannes Haschke von "Sonat Vox" das Ende beweinen, das im christlichen Glauben doch ein Anfang ist, so haben einst die Menschen des 16. Jahrhunderts an den offenen Gräbern ihrer Liebsten gestanden.
"Sonat Vox" verzichtet auf jegliche instrumentale Begleitung, wenn man einmal davon absieht, dass die menschliche Stimme das wohl erste und natürlichste Instrument überhaupt sein dürfte. So ganz ohne Orgelklang geht es in einem evangelischen Gotteshaus dann aber doch nicht. Wobei Ulrich Nehls an der Goll-Orgel nicht nur die Bachsche Pflichterfüllung bot, sondern mit dem Hochromantiker Jacques-Nicolas Lemmens die Pfeifen ordentlich durchpustete und damit einem Walzer den Weg bereitete, der verdächtig nach Schostakowitschs Jazz-Suite klang.
Die Schwerpunkte des Repertoires des jungen Kammerchores liegen aber nicht nur bei den alten Meistern wie Franz Schubert oder Felix Mendelssohn-Bartholdy. Das moderne, ja zeitgenössische Liedgut begeistert die leidenschaftlichen Sänger, die werktags als Kindergärtner, Polizisten, Automechaniker oder Bankangestellte arbeiten. Darunter der faszinierend poetische Hymnus "Ubi caritas et amor" des Norwegers Ola Gjeilo und das tröstliche Schlaflied "MLK", mit dem der Brite Bob Chilcott Martin Luther King nahekommt. Es sind die Klangfarben, mit denen Mattis Jensen und Philipp Cuno-Friess ihre Version des Songs gestalteten, um sich von legendären Interpreten wie den King’s Singers oder U2 abzusetzen, die "MLK" auch schon in die Welt entlassen haben. "Sonat Vox" gelang dies mit einer Präzision, die man in dieser Besetzung wohl nirgends wird finden können.
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