Johannes Thiemann: "Der Titel entschädigt für alles"

30.6.2020, 15:11 Uhr
Johannes Thiemann:

© Foto: Christoph Stache/afp

Gefeiert wurde inzwischen auch, doch die gewohnte Party mit den Fans musste sich in diesen Zeiten auf einen kleinen Empfang am Bahnhof beschränken. Dennoch hat dieser Titel für Johannes Thiemann einen besonderen Wert.

 

Herr Thiemann, zunächst einmal Glückwunsch zum Titel. Es hatte sich ja schon vorher ein Wachwechsel im deutschen Basketball angedeutet. Wie gut fühlt es sich an, dass es gerade in der Höhle des Löwen, des FC Bayern München, geklappt hat?

Ja, wir waren eigentlich reif. Was bei Alba in den vergangenen Jahren aufgebaut wurde und welche Mannschaft da gewachsen ist, das ist schon beeindruckend. Ich weiß gar nicht, wie viele Finals der Verein zuletzt verloren hat, da war das jetzt schon ein wunderbares Gefühl.

 

Ihr Team ist ja eigentlich nie in Bedrängnis geraten, hat alle vier Gruppenspiele gewonnen und dann auch in den insgesamt sechs K. o.-Spielen (Hin- und Rückspiel) nichts anbrennen lassen. Was war das Geheimnis der Berliner?

Diese Überlegenheit war zwar so nicht abzusehen, aber bei uns hat die Team-Chemie schon vor der Zwangspause gestimmt – und wir sind im Gegensatz zu anderen Mannschaft zusammengeblieben. Bayern München musste auf zwei sehr gute Spieler verzichten, Nihad Djedovic hat sich verletzt, Greg Monroe blieb wegen der Coronakrise in den USA. Das darf allerdings nicht als Ausrede gelten, auch mit dem restlichen Kader zählten die Bayern zu den Topfavoriten. Aber sie wirkten für mich beim Finalturnier nicht wie eine Einheit, haben sich nicht wirklich gut präsentiert und sind dann – nach den Eindrücken der Gruppenphase nicht unerwartet – schon im Viertelfinale gegen Ludwigsburg ausgeschieden.

 

Apropos Ludwigsburg: Für die MHP Riesen sind Sie von 2016 bis 2018 auf Korbjagd gegangen. War das ein besonderes Aufeinandertreffe im Finale?

Natürlich. John Patrick, der mich damals von den Baunach Pikes aus der Pro A in die BBL nach Ludwigsburg geholt hatte, ist dort immer noch Cheftrainer. Und mit David McCray, der jetzt sein Assistent ist, habe ich mir damals bei Auswärtsspielen immer das Zimmer geteilt. Das ist ein ganz starkes Team, das verdient die Bayern aus dem Weg geräumt hat und dem ich jederzeit den Titel gegönnt hätte – nur halt nicht gegen uns.

 

Wie ist es für sie persönlich beim Finalturnier in München gelaufen?

Wir haben alle Spiele gewonnen und den Titel geholt. Das ist das, was wirklich zählt. Meine persönliche Leistung ist da sekundär. Allerdings würde ich schon behaupten, dass ich ganz gut drauf war und meinen Teil zum Erfolg beigetragen habe.

 

Wie war die Atmosphäre bei diesem Turnier, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand?

Das war wirklich komisch. Wie viel die Fans einem bedeuten, haben wir erst jetzt realisiert, als sie nicht dabei sein konnten. An diese Situation musste man sich erst gewöhnen. Aber auch damit sind wir nach Anlaufschwierigkeiten zurechtgekommen.

 

Die Mannschaften lebten unter Quarantäne (sogar mit einem Bewegungsmelder-Chip) in einem Hotel, das sie nur zum Training und zu den Spielen verlassen durften. Wie haben Sie das verkraftet?

Auch das war sehr merkwürdig. Ich glaube, jeder von uns hatte solche Lagerkoller-Phasen, in denen er nur dachte "Ich will hier raus!". Aber im Großen und Ganzen hat sich die BBL (Anmerkung der Redaktion: Basketball-Bundesliga) sehr bemüht, das Beste aus der Situation zu machen. Das Hotel war sehr schön und bot in einem eigenen, gut ausgestatteten Game Room auch viele Möglichkeiten zur Abwechslung. Aber es gab auch kritische Momente, so hatte ich das – eigentlich sehr gute Essen – irgendwann satt. Aber am Ende hat uns der Titel für alle diese Umstände entschädigt.

 

Wurde der Triumph denn wenigstens ordentlich gefeiert?

Wir sind ja mit dem Zug von München zurück gefahren und konnten da im Abteil schon ein bisschen feiern. Am Bahnhof in Berlin haben die Fans auf uns gewartet, was auch sehr schön war. Aber natürlich mussten wir die Abstandsregelungen einhalten, es war also kein rauschendes Fest. Am Montagabend hatten wir eine interne Feier, mit Mannschaft, Betreuerstab, Vorstand und Anhang. Das war auch eher ein geselliges Essen als eine Party. Schließlich mussten hier ebenfalls alle Corona-Regeln eingehalten werden.

 

Sie hatten vor dem Turnier in einem Interview mit dem Spiegel BBL-Geschäftsführer Stefan Holz dafür kritisiert, dass die Liga nach dem offensichtlich rassistisch motivierten Mord eines Polizisten an dem schwarzen US-Amerikaner George Floyd keine politischen Statements der Spieler akzeptieren wolle. Dabei wird gerade der deutsche Basketball von Spielern mit Migrationshintergrund oder dunkler Hautfarbe geprägt. Sie selbst sind Sohn einer Deutschen und eines Kameruners. Wie ging dieser Streit weiter?

Zum Glück gab es da eine Kehrtwende. Holz selbst ist ziemlich zurückgerudert. Der Verband hat dann sogar auf den Werbebanden hinter den Spielerbänken gut sichtbare Statements gegen Rassismus platziert. Viele Vereine haben ebenfalls starke Zeichen gesetzt. Brose Baskets Bamberg zum Beispiel auf den Warm-up-Shirts, ich selbst auf meinen Schuhen. Von Konsequenzen für solche politischen Stellungnahmen war dann auch keine Rede mehr – zum Glück.

 

Eine in jeder Hinsicht unvergessliche Saison ist nun höchst erfolgreich zu Ende gegangen. Wie geht es für Sie weiter?

Eigentlich wäre demnächst die Qualifikationsturnier für Olympia mit der Nationalmannschaft angestanden. Aber das alles wurde um ein Jahr nach hinten verlegt. Jetzt habe ich tatsächlich Luft bis zum Beginn der Bundesligavorbereitung. Denn auch wenn während des Corona-Lockdowns lange nicht richtig trainiert und gespielt werden konnte, war das alles keine Erholung. Jetzt kann ich endlich ein paar Wochen lang das machen, worauf ich Lust habe. Ich werde viel in Berlin unterwegs sein, aber wohl auch in Urlaub fliegen, die Planungen laufen bereits.

 

Wie oft sind Sie noch in der alten Heimat?

Ich versuche, meine Mutter und meine Großeltern, die noch in Neunkirchen sind, schon regelmäßig zu besuchen. Aber bei dem eng getakteten Spielplänen in der regulären Saison und dann durch die Beschränkungen durch Corona war das nicht so oft, wie ich das gerne hätte.

Vom Dorffußballer zum Basketball-Nationalspieler – und jetzt erstmals auch Deutscher Meister: Der in Neunkirchen am Brand aufgewachsene Johannes Thiemann hat sich am Wochenende mit Alba Berlin ganz souverän den Titel gesichert. Der 26-Jährige trug im Schnitt mit jeweils 6,3 Punkten und Rebounds dazu bei, dass die Albatrosse bei den drei Wochen langen "Corona Games" in München alle ihre zehn Spiele gewannen.

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