Fürther Kultifest sprühte vor Originalität

7.9.2015, 10:30 Uhr
Fürther Kultifest sprühte vor Originalität

© Fotos: Joachim Sobczyk, Kai Barnickel

Fürther Kultifest sprühte vor Originalität

© Fotos: Joachim Sobczyk, Kai Barnickel

Sieben Auftritte standen an zwei Tagen auf dem Programm. Den Anfang markierten jeweils die Stillen im Lande, nämlich Nightbird alias Anna-Stina Jungerstam. Die Sängerin aus Helsinki bezaubert ihre Zuhörer mit Gesang und fein strukturiertem Fingerpicking an der Gitarre. Gelegentlich greift Nightbird gar zur Spieluhr als Ouverture für einen Song, so kurbelt sie etwa die Melodie „Mylord“ von Edith Piaf zwei Zentimeter vor dem Mikrophon.

Derart eingelullt, wird das Publikum dann von den Goho Hobos aus Gostenhof zur Mitfahrt auf den Güterzug mitgerissen. Hobos nannten sich die amerikanischen Wanderarbeiter, die natürlich ohne Fahrkarte auf Güterzüge aufsprangen und von Job zu Job kutschierten.

Mit Hut, Schiebermütze und Klamotten der dreißiger Jahre ausstaffiert, mit Gitarre, Banjo und Mandoline bewaffnet, spielt das Quintett alle Songs, in denen auch nur ansatzweise eine Dampflok vorkommt, vom „Mystery Train“ über den „Freight Train“ bis zum „Lost Highway“. Bloß der „Midnight Train“ fehlt, der führt nämlich direkt nach Sing Sing. Ebenfalls in die graue Vorzeit entführten uns am Samstag „The Mergers“ mit Britpop der Frühbeatleszeit zum gepflegten Anzug mit Krawatte. Da zucken sie auf der Bühne herum wie Zitteraale im Kernkraftwerk, rasen ihre Nummern mit atemberaubendem Tempo herunter, während das Publikum tobt und in der Lightshow Rehkitze und Kätzchen mit dem Kopf nicken und klaffende Kussmünder schmatzen.

Ist die erste Baderunde verkraftet, geht es am Samstagabend kopfüber hinein in die zweite. Die ursprünglich angesagten „A prouder Grief“ hatten leider abgesagt, dafür sprang der Australier Mark Timmins ein. Der lebt seit drei Jahren in Nürnberg und präsentiert sich als musikalisches Gegenstück zu Nightbird.

Auf schmalem Grat

Eigentlich passen seine Songs eher zur Stille nach dem Sturm als zur Ruhe vor demselben. Seine Musik beschränkt sich auf wiederholte melodische Grundmuster auf der Gitarre, über die Timmins’ sanfte, aber doch kräftige Stimme dominiert und die Vokale lange hält, aber nicht überdehnt. Denn schmal ist der Grat zwischen Gefühl und Gefühligkeit. Von dramatischer Intensität bis zur lyrischen Entrücktheit entfaltet sich da eine kleine intime Sangeswelt. Eigentlich der ideale Abschluss nach einem erschöpfenden Konzert. Warum müssen die Stillen im Lande immer als Anheizer dienen?

Nun aber kommt Fürth, hart aber gewaltig. Die Truppe „Baby, I love you“ spielt nihilistischen Nonsens-Rock, und stellt dabei tiefgründige Betrachtungen an übers Älterwerden („Bye bye, long Hair“), übers Anbaggern („Can’t get close to you“), oder frönt ihrer Vorliebe für „Beautiful Legs“. Dabei waschen die Musiker ihre instrumentalen Hände in Unschuld: „Wenn die Mädels nicht passen, dann geht gar nix mehr!“ Ging aber doch, und zwar gewaltig.

Nach all den nostalgisch verklärten oder nihilistisch aberwitzigen Ausflügen durch den Rock ’n’ Roll setzt das Trio „Stems“ aus England einen ganz anderen musikalischen Kontrapunkt der anspruchsvollen Sorte. Singen ist ihre Sache nicht, Gitarre, Schlagzeug und Cello flechten ein rein instrumentales Gespinst. Während der Gitarrist minutenlang auf einem Loop von zwei, drei Tönen herumhackt wie weiland Pink Floyds erster Gitarrist Syd Barrett auf Dauertrip, mauern Cello und Becken eine Gewitterwand auf, entfalten eine Stimmung der Düsternis und der Bedrohlichkeit, die allmählich übermächtig wird und in einem Kataklysmus explodiert.

Das hat etwas ungemein Hypnotisches und Suggestives an sich. Allein, nach den ersten drei Stücken ist das Grundmuster für das ganze Konzert bereits ausformuliert. Was folgt, ist Wiederholung und Variation nach dem Rezept der Minimal Music. Hin und wieder erfährt das Trio Verstärkung vom Kontrabass, und zum Finale stellt sich gar ein kleines Schulstreichorchester auf der Bühne ein, doch das Rezept bleibt dasselbe: Gewitterfront, Platzregen und zum Schluss ein Lichtstreif am Horizont. Die Hochzeit von Doom Metal und Kammermusik. Doch die Leute bekamen nicht genug davon. Gleich zwei Zugaben mussten Stems liefern, bis sie die Bühne räumen durften.

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