Kultbäckerei Wehr schließt mit Wehmut

29.7.2019, 06:00 Uhr
Kultbäckerei Wehr schließt mit Wehmut

© Foto: Birgit Heidingsfelder

Oft müssen die Kunden gar nichts sagen. Barbara Wehr weiß schon, was sie wollen. Da gibt es den Fachoberschüler, der so gern süße Schweinsohren kauft. Den Herrn aus der Nachbarschaft, der auf ihre Nussecken schwört. Den Versicherungsmakler, der extra herkommt, um einen Laib Uracker mitzunehmen, ein Roggen-Dinkel-Mischbrot mit gemahlenen Maronen. Und Manfred Streng von der Tanzschule schräg gegenüber, der sich regelmäßig ein Stück gedeckten Apfelkuchen gönnt.

Weil man sich kennt, gehören kurze Plaudereien zum Einkauf. Man erkundigt sich nach dem Befinden, fragt, was das "Enggala" grad macht, stöhnt über die schlimme Hitze, witzelt über dies und das. Wenn Barbara Wehr – manche Stammkunden nennen sie Bärbel – dann lachen muss, leuchten ihre Augen, dass es eine Freude ist.

Am Samstag, 3. August, haben die Fürther die letzte Chance, die eine Stufe zu dem winzigen Ladengeschäft in der Theaterstraße 28 zu nehmen, ein paar Backwaren zu ergattern und dazu eine Prise Herzlichkeit. Wenn Barbara Wehr um halb eins die Glastür mit dem Spitzengardinchen ein letztes Mal absperrt, endet eine wechselvolle Ära, die ins Jahr 1883 zurückreicht.

Kultbäckerei Wehr schließt mit Wehmut

© Foto: Birgit Heidingsfelder

Damals eröffnete Georg Wörner im Haus Nummer 28 eine Bäckerei, die sein Schwiegersohn Georg Wehr später übernahm und die dessen Sohn Martin Wehr weiterführte, bis er sie aus gesundheitlichen Gründen 1965 schließen musste. 1980, nach 15-jähriger Pause, wagte Martin Wehrs Sohn Rolf-Dieter mit seiner Frau Barbara in vierter Generation einen Neuanfang.

Rolf-Dieter Wehr hatte die Bäckermeisterprüfung in München abgelegt und 1978 eine Anstellung in Oberbayern gefunden. In Uffing am Staffelsee lernte er in der Drogerie die junge Drogistin Barbara Sailer kennen. "Er kam täglich und hat Späßle gemacht." Im ersten Halbjahr 1980 geschah dann alles auf einmal: Beide zogen in sein Fürther Elternhaus, modernisierten Geschäft und Backstube, heirateten und eröffneten am 18. Juni 1980 ihre Bäckerei. Zum Auftakt gab es das Stück Torte für eine Mark und das Weggla für 15 Pfennige. Die Leute standen damals Schlange. Barbara Wehr lacht bei der Erinnerung und sagt: "Ja, wir waren verliebt, glücklich und voller Enthusiasmus."

Die Wehrs bekamen Nachwuchs, zwei Töchter, die heute in anderen Branchen arbeiten. Als in den folgenden Jahrzehnten die Bäckereien im Viertel weniger wurden, als sich Bäckerei-Ketten und SB-Backshops ausbreiteten und Supermärkte Backautomaten aufstellten, mussten die Wehrs manche Durststrecke überstehen. Gut tat ihren Umsätzen die Sanierung der westlichen Innenstadt, weil sie junge Leute in die Häuser ringsum brachte, Studenten und Familien, von denen einige "bewusst in kleinen Betrieben einkaufen".

Rolf-Dieter Wehr starb 2013 nach kurzer Krankheit mit 61 Jahren. Der Schicksalsschlag zwang die Witwe, eine Entscheidung zu treffen. Sie entschloss sich, den Laden weiterzuführen. Zur Seite standen und stehen ihr bis heute: Patrick Fiegl (22), damals Geselle, heute Bäckermeister, und Lukas Meincke (26), der vom Azubi zum Gesellen wurde. "Super Mitarbeiter", urteilt die Chefin, "ohne die beiden hätt’ ich nie weitergemacht."

Kultbäckerei Wehr schließt mit Wehmut

© Foto: Günter. B. Kögler

Seit mittlerweile 39 Jahren steht Barbara Wehr früh um halb vier auf, belegt Obstkuchen, glasiert sie und legt hie und da letzte Hand an, ehe ab 6.45 Uhr die ersten Kunden kommen. Eineinhalb Jahre hätte sie noch bis zur Rente. Aber: Weil der Backofen "zusehends Zicken macht", sie ständig investieren, immer wieder mitten in der Nacht einen Monteur rufen muss und für einen neuen Ofen inklusive Ein- und Ausbau ein fünf- bis sechsstelliger Betrag fällig wäre, hat sie erneut eine Entscheidung getroffen. "Ich mache etwas früher Schluss."

Im Viertel hat sich das herumgesprochen. Barbara Wehr kann kaum noch ein Brötchen über die Theke reichen, ohne dass sie auf die Schließung angesprochen wird. "Was mach’ ich bloß ohne Sie?", ruft Andreas Engelhard (45), jener Versicherungsmakler, dessen Familie das Uracker-Brot so gerne isst. Auf das freut sich Annika Lösel "auch jeden Tag". Die 30-Jährige fürchtet, dass es schwierig werden dürfte, "meinen Mann von den Nussecken zu entwöhnen". Und für Karin Cesal (68), die schon ihr ganzes Leben hier wohnt, die als Kind beim Gareis das Heidebrot holen sollte, beim Schober die Milchweggla und beim Wehr den Hefezopf, geht "ein Stück Heimat verloren".

Barbara Wehrs Augen schimmern feucht, als sie sagt: "Ich hör’ mit Wehmut auf, aber tief in mir drin spür’ ich auch eine Vorfreude auf meinen Unruhestand." Sie will mehr Zeit mit ihren zwei Enkelkindern verbringen, von denen das eine erst geboren werden muss. Und sie will Sport treiben, ein bisschen walken, sich vielleicht einer Seniorengymnastikgruppe anschließen. Dabei hat sie das gute Gefühl, dass ihr Rolf-Dieter rundum einverstanden gewesen wäre. "Denn mein Mann hat immer gesagt: ,Wenn der Ofen nimmer backt, dann machen wir zu.’"

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