"Spahn versteckt sich": Direktor des Fürther Klinikums kritisiert Astrazeneca-Stopp

16.3.2021, 08:21 Uhr
Auch in Fürth wird vorerst nicht mehr mit dem Mittel von Astrazeneca geimpft.

© Nicolas Armer/dpa Auch in Fürth wird vorerst nicht mehr mit dem Mittel von Astrazeneca geimpft.

Die Bundesregierung hält einen vorläufigen Stopp der Impfungen mit dem Vakzin von Astrazeneca für geboten. Es handle sich um einen vorsorglichen Schritt, sagte ein Sprecher am Montag

Auslöser waren Meldungen über einen möglichen Zusammenhang zwischen Thrombose-Fällen und dem Impfstoff des britisch-schwedischen Pharmakonzerns. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hat dafür bislang keinen Beleg gefunden, die Prüfung ist aber noch nicht abgeschlossen.

Folgen hatte die Berliner Entscheidung umgehend auch in Fürth: Astrazeneca wird nicht mehr eingesetzt. Wie das Impfzentrum am Dienstag mitteilte, werden Bürgerinnen und Bürger, die in diesen Tagen ihre erste Impfung mit dem Wirkstoff bekommen sollten, nun mit den Vakzinen von Biontech/Pfizer und Moderna versorgt. Termine mussten demnach, anders als zunächst berichtet, nicht storniert werden. Allerdings können weniger neue Termine vergeben werden. Zweitimpfungen mit Astrazeneca stehen aktuell nicht an. Die anderen Impfzentren in der Region stoppten die Astrazeneca-Impfungen ebenfalls.

Am Freitag und Samstag waren in einer großen Aktion rund 800 Beschäftigte aus Kitas und Schulen aus Fürth und dem Landkreis mit dem Vakzin immunisiert worden.

Der Direktor des Klinikums ist enttäuscht

Noch am Montagabend positionierte sich der Medizinische Direktor und Pandemiebeauftragte des Fürther Klinikums, Dr. Manfred Wagner, klar: Von Gesundheitsminister Jens Spahn zeigte er sich in einem Video-Statement enttäuscht.

Dr. Manfred Wagner, Medizinischer Direktor und Pandemiebeauftragter des Fürther Klinikums.

Dr. Manfred Wagner, Medizinischer Direktor und Pandemiebeauftragter des Fürther Klinikums. © Hans-Joachim Winckler

Wagner: "Es ist ein Verstecken eines Bundesgesundheitsministers in einer Pandemie hinter Experten. Und damit werden wir diese Pandemie nicht besiegen." Was man in dieser Zeit brauche, seien Politiker, die den Mut haben, Entscheidungen zu treffen. Genau das sei in diesem Fall nicht geschehen.

Der Fürther Mediziner hat sich in der Corona-Krise schon mehrfach öffentlichkeitswirksam zu Wort gemeldet. Im November schickte das Klinikum einen Brandbrief an Spahn, um vor einer Überlastung der Krankenhäuser zu warnen.

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) habe die Aufgabe, zu beurteilen, ob der Impfstoff sicher ist, erklärt Wagner in dem Video. Und es sei zu folgendem Ergebnis gekommen: "Bei 1,5 Millionen Geimpften sind anstatt einer zu erwartenden Hirn-Venen-Thrombose sechs bis sieben aufgetreten. Das ist dann ein erhöhtes Risiko - richtig." Das PEI spricht angesichts dieser Zahl selbst von einer "sehr seltenen potenziellen Nebenwirkung".

"Bei der Antibabypille ist das Risiko viel größer"

Wagner gibt er zu bedenken: Bei der Antibabypille sei das Risiko, eine Thrombose zu erleiden, "zehn- bis 100-fach höher" als das, was man jetzt beobachtet hat. "Und keiner käme auf die Idee, deswegen die Antibabypille auszusetzen."

Nicht den Experten des Instituts, sondern Spahn sei ein Vorwurf zu machen: "Von einem Politiker erwarte ich, dass er sich nicht nur das Paul-Ehrlich-Institut anhört, sondern auch mit einbezieht, was ist denn die epidemiologische Auswirkung, wenn ich jetzt die Impfung aussetze? Wie viele Impfungen kann ich nicht mehr durchführen? Wie viele Menschen werden deshalb an Corona erkranken? Wie viele werden dann daran versterben?"

Solche Zahlen wolle die Regierung erst in den nächsten Tagen beurteilen. Sie hätten längst berücksichtigt werden müssen, meint Wagner. Denkbar wäre gewesen, die Risiken weiter zu beobachten und Astrazeneca für diejenigen freizugeben, die sich aufgeklärt für eine Impfung mit dem Mittel entscheiden. "Das wären politische Entscheidungen gewesen."

Der Artikel wurde aktualisiert. Wagner hatte auch darauf verwiesen, dass unter den 1,5 Millionen Geimpften viele ältere Menschen und Risikopatienten sind, bei denen das Risiko für Thrombosen ohnehin erhöht ist. Allerdings ist inzwischen bekannt, dass in den sechs Fällen ein Mann und sechs Frauen zwischen 20 und 50 betroffen waren.

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