Geistermesse: Wie die Kirche heuer Ostern feiert

8.4.2020, 05:50 Uhr
"Die Rückmeldungen sind berührend": Die Lorenzer Pfarrerin Claudia Voigt-Grabenstein in einem der täglichen YouTube-Impulse.

© Screenshot YouTube "Die Rückmeldungen sind berührend": Die Lorenzer Pfarrerin Claudia Voigt-Grabenstein in einem der täglichen YouTube-Impulse.

Der Fußball hat Geisterspiele, die katholische Kirche Geistermessen. Seit dem Höhepunkt der Virus-Pandemie Mitte März feiert Martin Battert den Gottesdienst in St. Michael im Nürnberger Stadtteil St. Johannis mit denselben zwei Personen: der Gemeindereferentin und der Organistin. Zweimal pro Woche übertragen sie die Eucharistiefeier live auf den Internetplattformen Facebook und Instagram. Einen Tag zuvor geben sie die Liederordnung bekannt. Sie habe aus Australien zugeguckt, kommentiert eine Nutzerin, welche Freude sei das doch.

Pfarrer Martin Battert feiert die Messe in St. Michael seit Wochen mit der Gemeindereferentin Lena Neidlein vor der Smartphone-Kamera für den Livestream.

Pfarrer Martin Battert feiert die Messe in St. Michael seit Wochen mit der Gemeindereferentin Lena Neidlein vor der Smartphone-Kamera für den Livestream. © Seelsorgeverbund St. Anton, St. Michael, St. Ulrich

"Es ist sehr ungewohnt, nur in zwei Handys zu blicken", sagt der Priester. "Aber wir bekommen so viele positive Rückmeldungen von Zuschauern, das tut gut." Die Botschaft komme an, sagt Gemeindereferentin Lena Neidlein: "Zu wissen, dass man trotz allem nicht allein ist. Wir machen das ja nicht für uns". Nun tüfteln die beiden an der vorläufig größten Herausforderung für ihr improvisiertes Sendestudio: Als wohl einzige Gemeinde Nürnbergs werden sie am Samstagabend aus St. Michael öffentlich eine Osternacht streamen. Wenn die Technik mitspielt, schalten sie Zuschauerbeiträge zu und entzünden ein Mini-Osterfeuer in einer Schale.

Mit dem Elan steht der Seelsorgebereich Gostenhof-Johannis nicht allein da. Auch auf evangelischer Seite sprudeln die Ideen. Seelenstärkung per WhatsApp, Gebetshilfen und Basteltipps per Hauspost, Telefonseelsorge, Sonder-Glockengeläut und Online-Kurzgottesdienste sollen die erzwungene Distanz zu den Gläubigen überbrücken. "Ich erlebe eine geniale Kreativität der Gemeinden", lobt der evangelische Stadtdekan Jürgen Körnlein. "Die Kirche fällt ins 21. Jahrhundert", stellt auch die Lorenzer Pfarrerin Claudia Voigt-Grabenstein erfreut fest.

Kurzfilme und Livevideos statt Osternachtfeiern

Das zeigt allein ein Blick in die Osterprogramme der zwei Nürnberger Wahrzeichen-Kirchen. Die beliebten Lorenzer und Sebalder Osternachtfeiern entfallen zwar, die Gemeinden ersetzen sie aber durch tägliche, aufwändig produzierte Kurzfilme und Livevideos. Wechselnde Pfarrer rücken dabei die Kunstschätze ins Bild. So haben sie lange aufgeschobene Digitalprojekte quasi über Nacht umgesetzt, Corona macht’s möglich.

St. Egidien geht als "Kulturkirche" noch weiter. Hier wollen in der Osternacht DJs aus der Club-Szene in einem zehnstündigen Livestream auflegen – als spirituelle Ode an das Leben, zum Mittanzen daheim. In der Klarakirche, der experimentierfreudigen Veranstaltungskirche der Katholiken, drehen Pater Ansgar Wiedenhaus und Pastoralreferent Jürgen Kaufmann mit einem Produktionsteam ihren "Literarischen Karfreitag" und die Osternacht als Kurzfilm.

Dass es nicht jedermanns Sache ist, Gott daheim vor dem Bildschirm zu suchen, weiß auch Martin Brons, der Sebalder Pfarrer. Das gelte gerade für Ältere und Ärmere. Doch auch ohne Internet könne die Kirche verbinden: "Mein Anliegen ist, die Leute aufmerksam zu machen, wie uns die alten Rituale neu beleben." So dürfe man dem besonderen Glockenläuten am Karfreitag und Ostersonntag zuhören, Gebetsanliegen im Pfarramt durchgeben, sich am Eingang von St. Sebald Tipps für "geistliche Spaziergänge" besorgen oder, wie in vielen Nürnberger Gotteshäusern, am Sonntag ein Osterlicht mitnehmen – mit Sicherheitsabstand, versteht sich. Martin Battert, der Priester mit den Facebook-Messen, hat deshalb alle Über-75-Jährigen in seinen Gemeinden angeschrieben, zum Beispiel mit Anleitungen zur Speisensegnung zu Hause.

"Man schaut zu, aber man feiert nicht gemeinsam"

Einen traurigen Beiklang behält die Absage der Osterfeierlichkeiten trotzdem, hört man den beiden Nürnberger Stadtdekanen zu. Es sei schon "auch furchtbar", findet Jürgen Körnlein. "Die Gemeinschaft ist auch eine theologische Komponente, die Antwort der Gemeinde gehört natürlich zur Liturgie." Sein katholischer Kollege Hubertus Förster sehnt sich ebenfalls nach der Rückkehr zur Normalität. Abgefilmte Gottesdienste ohne Gemeinde blieben letztlich steril. "Man schaut zu, aber man feiert nicht gemeinsam. Dass man sich trifft, ist die Basis unseres Glaubens. Auf Dauer würde so die Religion kaputtgehen."


Wie Ostern trotz Corona-Krise schön werden kann


Die Kirchen verlieren langfristig Mitglieder. Das Corona-Ideenfeuerwerk – nur ein Strohfeuer? Die Geistlichen sehen in den Ersatzformaten mehr als einen Behelf. "Es wäre nicht schlecht, wenn wir die neuen Komponenten beibehalten könnten, ohne unsere Arbeit zu verdoppeln", hofft etwa Peter Aschoff, Pfarrer der evangelischen Auferstehungsgemeinde Zerzabelshof. Auch Aschoff sendet seit der Corona-Schließung mehrmals die Woche auf Youtube einen Impuls. Seine Ansprachen, die er mit seiner Digitalkamera in seinem Arbeitszimmer oder im Wald aufzeichnet, sollen Trost spenden. In der leeren Kirche erschiene ihm das zu deprimierend. Freilich irritiere es ihn, ins Leere zu senden. "Ich weiß nicht, in welcher Lage ich den Zuschauer beim Thema Corona erreiche. Ich muss emotional irgendwie in die Mitte zielen."

Aus der Not geboren mutierte auch Aschoffs Konfirmandengottesdienst zur Konferenz-Schalte mit Laptop und Handy. "Jeder saß brav in seinem Wohnzimmer, bei den Familien kam das gut an. Dass wir uns nur über die Bildschirme gesehen haben, hat schnell keine Rolle mehr gespielt", erzählt er. Ihm sei klar, sagt Aschoff, dass solche Formate medienferne Menschen ausschließen. "Aber machen wir das nicht auch umgekehrt mit den traditionellen Formen?", fragt er. Man dürfe Senioren nicht unterschätzen bei der Digitalisierung.

"Ich hab grad keinen Bock mehr auf Videokonferenzen"

Die evangelische Jugendkirche Lux dagegen ist wegen ihrer Zielgruppe im Digitalen daheim – könnte man meinen. "Ich hab grad keinen Bock mehr auf Videokonferenzen", sagt Johannes Amberg, ihr Pfarrer, am Telefon. Nach drei Wochen Abschottung fehle den Mitarbeitern und Jugendlichen ihr Treffpunkt am Nordostbahnhof gewaltig. "Das tut weh. Bei manchen ist Lagerkoller schon ein Thema." Die Osternacht, für die die Lux-Mitglieder normalerweise die Nacht in der Kirche St. Lukas durchmachen, findet daher auch nicht etwa in Echtzeit online statt. "Da würde ja jeder vor dem Laptop auf dem Sofa einschlafen." Stattdessen will das Team am Sonntagmorgen eine kompakte Videoversion senden. "Vielleicht zünde ich auf meiner Terrasse dafür ja ein kleines Feuer an", überlegt Amberg. Es ist immerhin Ostern.

Und auch die Auferstehungsgemeinde fühlt sich ihrem Namen verpflichtet. Die Osternacht entfällt zwar, berichtet Peter Aschoff, doch werde sich seine Kirche an der bundesweiten ökumenischen Aktion am Ostersonntag beteiligen. Die rät, nach dem stadtweiten Glockenläuten um 10 Uhr aus den Fenstern gleichzeitig das Kirchenlied "Christ ist erstanden" anzustimmen. "Einer von uns will sich mit einem Lautsprecher auf den Vorplatz stellen."


Ostergottesdienste aus Nürnberg zum Durchklicken

Zahlreiche Video-Andachten, Kurzgottesdienste und Livestreams entstehen von Gründonnerstag bis Ostermontag fürs Internet, etwa auf st-klara-nuernberg.de, sebalduskirche.de, lorenzkirche.de, egidienkirche.de, martin-niemoeller-kirche.de, st-michael-st-ulrich.de, moegeldorf-evangelisch.de oder lux-jungekirche.de

Die meisten katholischen und evangelischen Gotteshäuser sind tagsüber für Einzelbesucher geöffnet.

Ein Sonder-Glockenläuten ertönt am Ostersonntag stadtweit um 10 Uhr, danach gemeinsames Singen des Osterlieds "Christ ist erstanden" an den Fenstern. St. Lorenz lässt sein Ostergeläut am Karsamstag um 22 Uhr erklingen, St. Sebald um 6 Uhr am Ostersonntag.

Viele Gemeinden legen am Sonntag und Montag Osterlichter zum Anzünden an der Osterkerze, Osterglocken oder kleine Erinnerungsstücke zum Mitnehmen bereit, in der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche beispielsweise an einer Wäscheleine am Eingang. In Boxdorf liefern die beiden Kirchen Oster-Tüten an die Haustüren.

Der katholische Stadtdekan Hubertus Förster ist am Ostersonntag um 10 Uhr in einem Radiogottesdienst aus der Frauenkirche auf Bayern 1 zu hören.


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