Goldene Zeiten: Als die Region noch ein Ski-Mekka war

12.2.2021, 10:59 Uhr
Am Bahnhof in Warmensteinach im Fichtelgebirge fielen an Wochenenden in den 1950ern tausende begeisterte Wintersportler aus Nürnberg, Fürth oder Bayreuth ein.

© Sammlung Robert Zintl Am Bahnhof in Warmensteinach im Fichtelgebirge fielen an Wochenenden in den 1950ern tausende begeisterte Wintersportler aus Nürnberg, Fürth oder Bayreuth ein.

„Etz is er neigfalln“, waren die letzten Worte, die Gottfried Stammler hörte, bevor er wirklich hineinfiel in die eiskalte Pegnitz und seine Arme schützend über die Zipfelmütze schlug, die statt eines Helmes sein Haupt zierte. Der Schnaittacher hatte sich zuvor Anfang der 1960er wagemutig von der Skisprungschanze in Artelshofen (Landkreis Nürnberger Land) gestürzt. Das Problem: Gleich nach der Landung mussten die Springer mit den Skiern über eine Pegnitzbrücke steuern und konnten erst auf der anderen Flussseite abbremsen.

Stammler verpasste die Brücke und schlitterte geradewegs in die Pegnitz. „Die haben mich gleich rausgefischt und ins Dorf gefahren. Nach ein paar Sechsämtertropfen ist mir dann schon wieder warm geworden“, erzählt Stammler.

Dass es mit dem Abbremsen nicht so ganz hinhaute, war damals bei vielen Amateurspringern ohnehin er die Regel als die Ausnahme. „In Schnaittach am Rothenberg hat’s uns auch meistens neikaut“, berichtet Stammler. 34 Meter weit war sein längster Satz, erinnern kann sich der 70-Jährige aber kaum mehr.

„Das ging alles so wahnsinnig schnell. Irgendwann waren wir wieder am Boden und hatten keine Ahnung, wo genau wir runtergekommen sind“, erzählt der Schnaittacher.

Ein Schnaps gegen die Angst

Mit seinen Kameraden übte er vor allem an der Jugendschanze am Rothenberg, die Großschanze daneben flößte viel Respekt ein. „Nach ein paar Übungssprüngen auf der Jugendschanze sind wir ins Wirtshaus. Mit einem kleinen Schnäpsla haben wir die Angst überwunden und sind die große Schanze runter. Da hat’s uns dann unten gscheid zerlegt – und dann war’s wieder gut für ’ne Weile“, erzählt Stammler.

Gerade das Skispringen war in den 1960ern unheimlich populär in der Region. „An manchen Sonntagen sind zwei Sonderzüge nach Schnaittach rausgefahren“, erinnert sich der Schnaittacher Klaus Nuß. 6000 bis 7000 Zuschauer kamen zu den großen Skisprung-Veranstaltungen, pilgerten vom Bahnhof zum Hang, um tollkühne Springer bei den Fränkischen Meisterschaften oder beim Rothenbergpokal anzufeuern.

Das Skispringen boomte. Bei Pegnitz segelten tapfere Recken von der Hainbergschanze fast 50 Meter weit. Von der Sepp-Hanel-Schanze am Neumarkter Höhenberg sprangen die Sportler mit weit nach vorne gestreckten Armen, dem damals üblichen Sprungstil, bis auf den Schanzenrekord von 34,5 Metern. „Man hat sich sogar überlegt, in Rothenburg, Artelshofen, Etzelwang und Schnaittach eine Art Vierschanzentournee durchzuführen“, erinnert sich Nuß.

„Heute ist nicht mehr so viel los wie früher. Vielen Leuten ist der Hang einfach zu popelig. Denen ist das zu umständlich, für ein paar Hundert Meter Abfahrt ihr Zeug zusammenzusuchen“, erzählt Klaus Nuß.
Doch in den 1960ern war das noch völlig anders. „Wir Einheimischen sind damals oft auf der Hangseite gefahren, an der kein Lift war. Beim Lift hat man für zwei Minuten Abfahrt eine halbe Stunde anstehen müssen“, meint Nuß.

Sonderzüge ins Fichtelgebirge

Wer schon in den 1950ern etwas weitere Abfahren suchte, fuhr ins Fichtelgebirge. „Tausende und Abertausende sind mit dem Zug hergefahren. Am Wochenende sind mehr als 5000 Leute mit der Bahn nach Warmensteinach gekommen“, erinnert sich der 72-jährige Warmensteinacher Gerd Lenk.

„Rodelzüge“ nannte man die Bahnen damals, weil anfangs mehr Menschen mit Schlitten als mit Skiern unterwegs waren. 1907 war der erste Sonderzug aus Nürnberg nach Warmensteinach gerollt. Drei Stunden benötigte er für die Fahrt.

Bis 1993 gab es die Bahnlinie aus Bayreuth, die in Warmensteinach endete. Von dort strömten die Skibegeisterten auf benachbarte Hänge, wahre Heerscharen marschierten aber auch weiter in Richtung Fleckl und zum Ochsenkopf, um noch längere Abfahrten genießen zu können.
„Über Bischofsgrün hat man damals noch gelacht“, sagt die Warmensteinacherin Hildegard Heser über die heutige Wintersport-Hochburg des Fichtelgebirges.

20 Kilometer Fußmarsch zum Skispringen

Damals waren die Menschen bereit, weite und beschwerliche Wege auf sich zu nehmen, um mit ihren Skiern die Hänge hinabgleiten zu können. Skilifte gab es noch nicht, am Schnaittacher Rothenberg etwa ist der erste im Jahr 1966 errichtet worden.

„Für die großen Skisprung-Veranstaltungen sind die Menschen zehn oder sogar 20 Kilometer aus Mehlmeisel, Gefrees oder Bad Berneck zu Fuß hergelaufen, das hat den Leuten damals nichts ausgemacht, das war es ihnen wert“, erinnert sich Heser.

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