Nach Erlanger Berg als Spreader-Event?

Große Volksfeste stehen an: Kommunen und Kliniken in Sorge vor Corona-Anstiegen

27.7.2022, 13:29 Uhr
War der Berg ein Spreader? In Erlangen und dem Landkreis Erlangen-Höchstadt war die Inzidenz im Verlauf und noch gut eine Woche nach der Bergkirchweih im Juni steil gestiegen.

© imago images//Harry Koerber, NN War der Berg ein Spreader? In Erlangen und dem Landkreis Erlangen-Höchstadt war die Inzidenz im Verlauf und noch gut eine Woche nach der Bergkirchweih im Juni steil gestiegen.

Zwei Jahre ohne Volksfeste, zwei Jahre ohne Achterbahn, Schießbuden und Bierzeltvergnügen. Im dritten Corona-Jahr geht es nun lockerer zu: Es darf wieder gefeiert und geschunkelt werden. Doch die Corona-Inzidenzen steigen im Freistaat wieder an. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Volksfesten und der aktuellen Ausbreitung des Virus?

Kommunen und Kliniken blicken mit einer gewissen Sorge auf die kommenden Wochen. Das Annafest in Forchheim hat begonnen, das Kulmbacher Bierfest startet dieses Wochenende, in Neumarkt steigt ab 12. August das große Juravolksfest. Bamberg feiert die Sandkerwa ab 25. August, einen Tag später beginnt in Nürnberg das Herbstvolksfest. Und in München und Straubing ist der Aufbau von Oktoberfest und Gäubodenvolksfest in vollem Gange.

"Die gesellschaftliche Stimmung ist für die Ausrichtung von Volksfesten", sagt Achim Sing, Sprecher des Bayerischen Städtetages. Das sei die Erwartung der Bürger, aber auch der Festwirte und der Schausteller, die lange kein Geschäft hätten machen können. "Das gilt es zu respektieren." Aber natürlich ist die Sorge da, dass Volksfeste zu Spreader-Events würden. Vor allem nach den Erfahrungen beim Erlanger Berg.

In der Hugenottenstadt und dem Landkreis Erlangen-Höchstadt war die Inzidenz im Verlauf und noch gut eine Woche nach der Bergkirchweih im Juni steil gestiegen. Das geht aus Zahlen des Robert Koch-Instituts hervor. Neun Tage nach dem Ende des Festes hatte sich der Wert in der Stadt mehr als verzehnfacht, im Landkreis etwa verdreifacht. Ob es einen Zusammenhang gibt, lässt sich nicht sicher sagen. Aber: "Der Verdacht liegt nahe", sagt Sing.

Auch in Wunsiedel im Fichtelgebirge stieg die Inzidenz kürzlich stark an - über Volksfeste als Ursache wurde auch dort spekuliert. Ein Stück weiter nördlich, im Landkreis Hof, ist die Sorge derzeit besonders groß: Dort ist die aktuelle Inzidenz mit 1767,84 die deutschlandweit dritthöchste, die Stadt liegt bundesweit auf Rang 5 - und am Freitag startet dort das Volksfest, ausgerechnet unter dem Motto "Do triffst fei alla!".

Das Gesundheitsministerium blickt deshalb mit gemischten Gefühlen auf die kommenden Großveranstaltungen, hier heißt es unter Verweis auf das Landesamt für Gesundheit (LGL), dass weiterhin "von einem diffusen pandemischen Geschehen auszugehen ist". Gelegentlich würden regional und zeitlich begrenzte Häufungen beobachtet.

Das Juravolksfest in Neumarkt beginnt am 12. August.

Das Juravolksfest in Neumarkt beginnt am 12. August. © GŸnter Distler

Auch wenn die Erfahrung zeige, dass Großereignisse nicht zwangsläufig ein verstärktes Infektionsgeschehen nach sich ziehen, bestehe bei jeder größeren Menschenansammlung grundsätzlich ein erhöhtes Risiko für die Übertragung ansteckender Infektionserkrankungen, vor allem in geschlossenen Räumen.

Die Politik appelliert an die Eigenverantwortung der Bürger. Für Beschränkungen hätten die Kommunen keine rechtliche Handhabe, sagt Sing vom Städtetag. Das Ministerium ruft die Bürger angesichts der hohen Corona-Infektionszahlen auch zu freiwilligen Vorsichtsmaßnahmen und zu Eigenverantwortung auf, insbesondere in Regionen, in denen die Infektionszahlen aktuell hoch sind.

"Die bewährten Hygieneregeln sind und bleiben wichtig: Abstand halten, Hygiene beachten, regelmäßig lüften, Maske tragen, wo viele Menschen auf engem Raum oder in Innenräumen zusammenkommen, die Corona-Warn-App benutzen - das sind alles Dinge, die jeder ohne großen Aufwand tun kann. Jeder sollte die eigene Verantwortung für sich und seine Mitmenschen ernst nehmen", so ein Sprecher.

In München hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) Ende April für die Wiesn 2022 grünes Licht gegeben - nicht ohne zuvor mehrfach mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu beraten. Vom 17. September bis 3. Oktober soll also wie eh und je in Zelten mit Tausenden Gästen gefeiert werden. Reiter hätte lieber eine Wiesn mit 3G-Regel gesehen, also für Geimpfte, Genesene oder Getestete, und noch lieber mit 1G ausschließlich frisch Getestete. Aber das sei nach den Vorgaben von Bund und Land rechtlich nicht möglich, sagte er im April. Es könne nur eine "Wiesn ganz oder gar nicht" geben. Das aktuelle Bundes-Infektionsschutzgesetz gilt bis 23. September, was dann kommt, ist offen.

Der Landkreis Bamberg will sich aus Sorge vor überlasteten Kliniken wappnen: Innerhalb der letzten vier Wochen hätten sich die Corona-Ausfälle bei pflegendem Personal auf mehr als zehn Prozent und bei Ärzten auf fünf Prozent in etwa verdoppelt, heißt es in einer Mitteilung. Verschärft werde die Lage durch Patienten, die aus überlasteten Kliniken im Ballungsraum Nürnberg in ländliche Regionen verlegt werden. Landrat Johann Kalb (CSU) und Bambergs OB Andreas Starke (SPD) fordern "eine frankenweite Koordination der Patientenströme".

Mit Blick auf die Erlanger Bergkirchweih mahnen die Kommunalpolitiker Kalb und Starke an, sich auf eine ähnliche Entwicklung nach der Bamberger Sandkerwa einzustellen. Und: "Wir müssen die Pandemie in einer schwierigen weltpolitischen Lage wieder stärker in das Bewusstsein der Menschen bringen."