Israelitische Kultusgemeinde: "Nakam" war im Unrecht

7.10.2016, 14:55 Uhr

"Die Justiz hat völlig recht, die Sache aufzugreifen", bekräftigt der Vorsitzende der Gemeinde, Arno Hamburger. "Sie kann dem Stand der Dinge nach auch gar nicht anders, als der Geschichte nochmals nachzugehen."

Wie berichtet, ermittelt der Leitende Oberstaatsanwalt Klaus Hubmann gegen Distel und Harmatz, die heute in Israel leben, wegen eines Vorfalls, der 53 Jahre zurückliegt. Vor kurzem war die Geschichte in einem Film der Medienwerkstatt Franken von den Autoren Jim Tobias und Peter Zinke nochmals aufgegriffen worden: 1946 hatten Harmatz, Distel und andere Mitglieder der jüdischen Widerstandsgruppe Nakam (hebräisch: "Rache") in Nürnberg versucht, als Vergeltung für den Holocaust, die Insassen eines Kriegsgefangenenlagers in Langwasser zu töten. Als Mitarbeiter der Nürnberger Bäckerei "Konsum" getarnt, bestrichen sie Brotlaibe, die für das Lager bestimmt waren, mit Arsen. Zahlreiche Insassen erkrankten, getötet wurde offenbar niemand.

"Das Handeln der Männer ist keinesfalls rechtens gewesen", betont Hamburger. "Es muss aber unbedingt gesehen werden im Wissen um die Verzweiflung, die damals bei den Leuten herrschte." Die Überlebenden des Holocaust hatten erfahren, dass ihre Familien und Freunde getötet worden waren, da sei "nur verständlich, dass sie irgendwelche Ideen ausbrüteten". Man dürfe sich jedoch durch blinde Rache-Akte "keinesfalls auf eine Stufe mit Mördern stellen".
Scharfe Kritik übt Hamburger an den Filmemachern Tobias und Zinke, die diese "uralte Geschichte, die sowieso bekannt war, wieder ausgegraben haben". Warum konnte man das nicht einfach ruhen lassen?

Die Justiz sieht sich wiederum durch das Legalitätsprinzip zur Nachforschung gezwungen: "Wenn sich jemand im Fernsehen öffentlich zu einem versuchten Mord bekennt, wie die beiden in dem Film", betont Hubmann nochmals, "müssen wir tätig werden und ein Aufnahmeverfahren eröffnen." Da spielten politische oder moralische Aspekte keine Rolle. Wie das Verfahren weitergeht, sei genauso ungewiss wie die Frage, "ob jemals formal Anklage erhoben werden wird".

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Christine Stahl hält es für "schwierig, nach fehlender Aufarbeitung und nie erfolgter Sühne von NS-Verbrechen, gegen Menschen zu ermitteln, deren Taten Ausfluss einer zuvor selbst erlebten Massenvernichtung waren". Und Autor Jim Tobias, der von der Justiz zu den Personalien seiner Hauptfiguren befragt worden war, beruft sich weiter auf sein Zeugnisverweigerungsrecht. Und wundert sich, dass "dieselbe Justiz, die gegen NS-Verbrecher eher schleppend vorgeht, gegen jüdische Täter plötzlich so viel Energie an den Tag legt".

Der Artikel erschien am 22. September 1999 in den Nürnberger Nachrichten.