Veraltete Technik, menschliches Versagen

Nach S-Bahn-Unglück in Schäftlarn: Gefahr durch eingleisige Bahnstrecken?

Arno Stoffels

Thementeam Regionale Reporter:innen und Breaking News

E-Mail zur Autorenseite

16.02.2022, 06:00 Uhr
Nach dem Zugunglück in Schäftlarn bei München läuft die Suche nach der Ursache.

© NEWS5 / Merzbach Nach dem Zugunglück in Schäftlarn bei München läuft die Suche nach der Ursache.

Sechs Jahre sind seit dem verheerenden Zugunglück von Bad Aibling vergangen. Damals stießen zwei Regionalzüge auf der eingleisigen Bahnstrecke zusammen, zwölf Menschen starben, Dutzende wurden zum Teil schwer verletzt.

Verantwortlich für die verheerende Kollision war ein abgelenkter Fahrdienstleiter, der im Stellwerk Fehlentscheidungen traf und damit dafür sorgte, dass zwei Züge gleichzeitig auf dem Abschnitt der Mangfalltalbahn zwischen der Kurstadt und Kolbermoor fuhren. Er wurde im Nachgang zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Viele eingleisige Strecken

Dabei sind eingleisige Strecken in Deutschland nicht ungewöhnlich. Das Netz umfasst rund 33.000 Kilometer, etwa 15.000 davon haben nur einen Gleisstrang. Der Grund dafür ist oft die Topografie, die es den Erbauern schlicht nicht möglich machte, ein zweites Gleis zu verlegen.

So gibt es beispielsweise auch im Nürnberger S-Bahn-Netz eingleisige Strecken beziehungsweise Abschnitte, wie auf der Linie der S 2 zwischen Feucht und Altdorf und zwischen Nürnberg und Roth.

Dabei warnte das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) bereits im Jahr 2013 vor gefährlichen Situationen, die auf solchen Strecken entstehen können.

Gestörte Signaltechnik

Damals ging es in erster Linie allerdings um den Einsatz von Streusand bei Bremsmanövern von Zügen. Die Behörde wies die Bahngesellschaften an, darauf künftig zu verzichten, weil der Sand die Signaltechnik stören könne, so dass belegte Gleisabschnitte irrtümlich als frei gemeldet werden.

Generell sind eingleisige Strecken jedoch nicht unsicher. Zum einen sind dort in der Regel deutlich weniger Züge unterwegs. Zum anderen verhindert im Normalfall die Signal- und Sicherungstechnik, dass es zu Unfällen kommt. Die Signale, die an den Bahnhöfen entlang der eingleisigen Strecke stehen, werden über die miteinander kommunizierenden Stellwerke angesteuert.

So wird praktisch ausgeschlossen, dass zwei Signale gleichzeitig Fahrt für einen Streckenblock zeigen können und von beiden Seiten gleichzeitig ein Zug in den Abschnitt einfährt.

Automatische Überwachung

Zudem gibt es in der Regel ein elektronisches Sicherungssystem. Die so genannte Punktförmige Zugbeeinflussung (PZB) überwacht den Verkehr und bremst beispielsweise einen Zug automatisch.

Dieser Mechanismus kann allerdings auch außer Kraft gesetzt werden. Etwa dann, wenn ein Zug aus betrieblichen Gründen absichtlich absichtlich an einem Halt zeigenden Signal vorbei fahren muss, beispielsweise weil es eine Signalstörung gibt.

In einem solchen Fall bekommt der Lok- oder Triebfahrzeugführer vom Stellwerk zum Beispiel einen schriftlichen Befehl oder ein Ersatzsignal. Mit einer gedrückten Befehlstaste ist es ihm dann möglich, ein Halt zeigendes Signal mit bis zu 40 Kilometern pro Stunde zu passieren, ohne dass eine Zwangsbremsung erfolgt.

Brenzlige Situationen

Trotz der Regularien und der Technik kommt es jedoch auch immer wieder zu Kollisionen wie jetzt in Schäftlarn bei München oder zu Beinahe-Zusammenstößen.

Die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung listet für die letzten Jahre vier Fälle in Bayern auf. So fuhr im Mai 2018 im Bahnhof Aichach auf der Paartalbahn ein Regionalzug auf einen stehenden Güterzug auf, zwei Menschen starben, 13 wurden zum Teil schwer verletzt. Der Grund war das Versehen eines Fahrdienstleiters.

Im Juli 2019 kam es zu einem Sachschaden, als im Bereich des Rangierbahnhofs München Ost zwei Güterzüge zusammenstießen.

Aufmerksamer Lokführer

Beinahe zur Katastrophe wäre es hingegen im Januar 2020 in Griesen bei Garmisch-Partenkirchen gekommen.

Seinerzeit war eine verspätete Regionalbahn auf der Fahrt von Garmisch-Partenkirchen nach Reutte in Tirol. Der Zug hatte den Bahnhof Griesen gerade verlassen, als der Lokführer bemerkte, das sich auf der eingleisigen Strecke bereits ein Zug befand.

Die von ihm eingeleitete Schnellbremsung brachte den Reisezug 20 Meter vor dem anderen Zug, der in Gegenrichtung unterwegs war, zum Stehen. Eigentlich hätten die Züge im Bahnhof Ehrwald aneinander vorbeifahren sollen.

Veraltete Technik

Schuld war eine völlig veraltete Technik ohne Blocksignale, die Strecke wurde mit einem so genannten Zugmeldeverfahren betrieben. Die Fahrdienstleiter müssen in einem solchen Fall, etwa bei Verspätungen, die Zugreihenfolge festlegen. Dabei ging etwas schief.

Die Experten der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung empfahlen im Nachgang, "Strecken ohne technisch realisierten Folge- und Gegenfahrschutz" einer Sicherheitsbewertung zu unterziehen. "Anhand der Ergebnisse sollten zusätzlich geeignete Maßnahmen getroffen werden, um ein unbeabsichtigtes Einfahren eines Zuges in einen bereits durch einen anderen Zug beanspruchten Streckenabschnitt auszuschließen."

Zusätzliche Nachrüstung

Im Jahr 2020 erklärte die Deutsche Bahn, bis 2023 über 100 Millionen Euro in zusätzliche Sicherungstechnik investieren zu wollen und 600 alte Stellwerke mit einer ergänzenden elektronischen Sicherungstechnik nachzurüsten, um menschliche Fehlhandlungen zu verhindern.

7 Kommentare