"Nakam"-Attentat auf Lager: NN-Leser erinnern sich

7.10.2016, 14:59 Uhr

Zwei Juden, die heute in Israel leben, hatten im April 1946 aus Rache für den Holocaust versucht, Insassen des US-Gefangenenlagers Langwasser mit Arsen zu vergiften. In einer rechtsgerichteten Zeitung werden nun per Anzeige Zeugen dafür gesucht, dass bei diesem angeblichen "Massenmordversuch an den Internierten Menschen ums Leben kamen". Das ist "totaler Unsinn", sagt Justizpressesprecher Ewald Behrschmidt. Aus allen vorliegenden Dokumenten gehe "eindeutig hervor, dass damals niemand getötet worden ist".

Das haben mittlerweile auch einige NN-Leser bestätigt, die selbst in Langwasser und im Lager Auerbach in der Oberpfalz interniert gewesen waren und die am eigenen Leib von dem Anschlag betroffen waren. Zur Erinnerung: Die Attentäter hatten sich, als Arbeiter getarnt, in die Bäckerei eingeschleust, die die Lager belieferte, und heimlich nachts Brotlaibe mit Arsen bestrichen, um sich an den Lagerinsassen (hauptsächlich SS-Mitglieder und Nazi-Parteifunktionäre) für den NS-Massenmord an den Juden zu rächen.

Hier zwei der Augenzeugen-Berichte über die Folgen des Anschlags:

Franz-Josef Scherzer aus Cadolzburg, heute 76 Jahre alt: "Ich war als Mitglied der Waffen-SS von September 1945 bis Mai 1946 im amerikanischen Lager Langwasser interniert. Wir haben nicht gerade viel zu essen bekommen damals, und was wir kriegten, war katastrophal: Wassersuppe mit Nudeln, Erbsen und ungeschälten Kartoffeln und eben 250 Gramm Brot pro Tag.

Nach dem Essen haben sich viele übergeben müssen, viele hatten Magenschmerzen und mußten alle halbe Stunde lang auf den Abort, bei manchen hat der Durchfall acht bis zehn Tage gedauert. Einige waren auch eine Zeitlang blind. Der Truppenarzt hat uns damals die Symptome erklärt und gezeigt, wie man das Gift erkennen könne. Wenn man das Brot über dem Ofen trocknete, hat die Oberfläche bläulich geleuchtet. Bei einigen hat es sich in den Haaren und in Fingernägeln festgesetzt, die hatten einen bläulichen Stich.

Aber gestorben ist meines Wissens keiner. Ab dem nächsten Tag gab es für einige Zeit amerikanische Verpflegung, mit Weißbrot. Das war natürlich viel besser als unser Essen vorher. Offiziell ist keine Erklärung abgegeben worden, es hieß gerüchteweise, dass es Leute aus dem Osten gewesen seien oder Juden.

"Ein paar Stunden später bekam ich Schwindelgefühle"

"Ich trage den Tätern heute gar nichts mehr nach, ich kann ihre Reaktion verstehen: Sie haben eine Wut gehabt und wollten Rache nehmen für ihre ermordeten Familien. Das ist doch verständlich. Man sollte das nach so langer Zeit einfach ruhen lassen."

Der Rentner Ernst Walter (Name geändert), heute 74 Jahre alt, möchte anonym bleiben: "Als Mitglied der Waffen-SS war ich bis Mai '46 im Lager Auerbach in der Oberpfalz interniert. Ich kann mich noch genau erinnern an diesen Attentags-Tag, weil es da eine große Ration Brot gegeben hat. Ein paar Stunden danach haben wir angeschwollene Lippen bekommen und Schwindelgefühle.

Daraufhin haben die Amerikaner sämtliches Brot wieder eingesammelt, und am nächsten Morgen haben wir dann ohne Erklärung die Rationen erhalten, die die Amis auch bekommen haben - mit diesem typischen Weißbrot. Eine offizielle Erklärung gab es zu dem Vorfall nie, aber ich habe mitbekommen, dass in Langwasser an diesem Tag dasselbe passiert war - wir haben das Essen wohl vom selben Lieferanten bekommen. Auch gingen Gerüchte um, dass es KZler oder Juden gewesen seien.

Es war auch nicht alles Brot bespritzt gewesen, es ist keiner zu Tode gekommen. Aber viele haben sich übergeben; einige Kameraden sind kurzzeitig oder bis zu einer Woche erblindet - ich auch, das war natürlich schon schlimm. Ich finde es sehr richtig, dass dieser Anschlag heute noch verfolgt wird, denn das ist ein Verbrechen gewesen".

Der Artikel erschien am 5. November 1999.