"Nakam": Israel war gegen Giftanschlag auf Gefangenen-Lager

7.10.2016, 14:47 Uhr

Deren Mitglieder hatten - wie mehrmals berichtet - im April 1946 versucht, aus Rache für den Mord an sechs Millionen Juden die Insassen des Kriegsgefangenen-Lagers in Langwasser zu vergiften. "Die Menschen", so der damalige Anführer, "sollten wissen, dass es für solche Gräueltaten eine Strafe gibt." Also bestrichen die Attentäter - getarnt als Bäckerei-Mitarbeiter - für das Lager bestimmte Brotlaibe mit Arsen.

Entgegen allen wilden Gerüchten, die bis heute vor allem von rechten Kreisen hochgekocht werden, ist bei dem Nürnberger Anschlag niemand ums Leben gekommen. 2283 Gefangene erkrankten, 207 mussten ins Lazarett, nur 38 Fälle waren schwerer - das haben die Nürnberger Nachrichten
am 27. April 1946 berichtet. Auch die US-Besatzungsbehörden registrierten bei ihren Ermittlungen, die übrigens von zwei Nürnberger Polizeibeamten unterstützt wurden, keine Todesfälle.

Nürnberger Filmemacher haben neue Beweise

Die Mär von den Toten ist im Jahr 1996 durch einen israelischen Dokumentarfilm über jüdische Rache-Aktionen in Deutschland wieder aufgekommen. Filmemacher Jarin Kimor berichtet darin, dass angeblich in Nürnberg 300 Gefangene vergiftet worden seien. Das aber ist nach heutigen Erkenntnissen reine Legende.

Dafür haben die Nürnberger Filmemacher Jim Tobias und Peter Zinke nun auch neue Beweise. Die Dokumentation der beiden über die Ex-"Nakam"-Angehörigen Leipke Distel und Joseph Harmatz hatte 1999 die Nürnberger Staatsanwaltschaft gezwungen, die Ermittlungen gegen die "Nakam"-Leute wieder aufzunehmen. Tobias und Zinke sind nun bei Recherchen zu einem Buch über das Thema (Erscheinungstermin im Herbst) in Israel auf einen weiteren Zeitzeugen gestoßen.

Ari F. (Name geändert) lebt heute in einem Kibbuz nahe der libanesischen Grenze. Der 78-Jährige behauptet, er sei 1946 als Doppelagent der jüdischen Untergrundorganisation "Hagana" in die Nürnberger "Nakam"-Gruppe eingeschleust worden. "Meine Aufgabe war es", so F. wörtlich in einem Interview, "dafür zu sorgen, dass bei dem Gift-Anschlag auf deutschem Boden niemand ums Leben kam." Die "Hagana", die einen unabhängigen jüdischen Staat anstrebte, habe es sich aus diplomatischen Gründen nicht mit den USA verderben wollen, die sie als Verbündeten für die Staatsgründung dringend brauchte. Aus Rache getötete Deutsche in der damaligen US-Besatzungszone hätten die amerikanische Regierung zutiefst verärgert und politische Konsequenzen gehabt.

"Musste das Gift von Paris nach Nürnberg transportieren"

Andererseits seien die Mitglieder der "Nakam"-Gruppe, die teilweise ihre ganze Familie im KZ verloren hatten, derart fanatisch auf Vergeltung eingestellt gewesen, dass es "völlig unmöglich war, sie aufzuhalten". Also fungierte Ari F. als Doppelagent: "Meine Aufgabe war es", so F. heute, "das Gift von Paris aus nach Nürnberg zu transportieren." Die arsenhaltige Paste, die er im Gepäck hatte, war aber - ohne Wissen der Anderen - "von Anfang an so gering dosiert, dass niemand dabei umkommen konnte."

Rein rechtlich ändert dieser neue Aspekt nichts am Fortgang der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen der Nürnberger Justiz. "Nachdem die beiden ,Nakam`-Mitglieder sich in den Medien öffentlich zu einem versuchten Mord bekannt haben, blieb uns nach dem Legalitätsprinzip gar nichts anderes übrig, als wieder tätig zu werden", so Justiz-Pressesprecher Ewald Behrschmidt. Selbst wenn nun ein weiterer Zeuge hieb- und stichfeste Beweise vorlegt, dass niemand hätte umgebracht werden können, ändere das "nichts an der Tötungsabsicht".

Ansonsten reagiert er auf das Stichwort "Nakam" ziemlich gereizt: An Gerüchten, dass angeblich von "hohen Stellen des Bayerischen Justizministeriums Druck ausgeübt worden sei, die Ermittlungen wieder aufzunehmen, sei "überhaupt nichts dran". Wenn von Druck die Rede sein könne, dann komme er "von außen von den Medien und Leuten, die die Ermittlungen in eine bestimmte Richtung lenken wollen". Hier, empört sich Behrschmidt, "soll die Staatsanwaltschaft in ein schlechtes Licht gerückt werden dafür, dass sie ihre gesetzliche Pflicht erfüllt".

Der Artikel erschien am 5. April 2000 in den Nürnberger Nachrichten.

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