Neues Schulfach in Bayerns: Islamunterricht kommt flächendeckend

22.1.2021, 14:00 Uhr
Eine muslimische Schülerin schreibt im Islamunterricht Begriffe an die Tafel. In Bayern wird das Fach bisher an über 360 Schulen unterrichtet.

© imago images/epd Eine muslimische Schülerin schreibt im Islamunterricht Begriffe an die Tafel. In Bayern wird das Fach bisher an über 360 Schulen unterrichtet.

In den vergangenen gut zehn Jahren haben immer mehr Schulen im Freistaat den Modellversuch nach Erlanger Vorbild übernommen. Mittlerweile sind es mehr als 360. Es nehmen rund 16.000 muslimische Kinder und Jugendliche teil. Insgesamt gibt es allerdings mehr als zehnmal so viele. Die Erfahrungen sind durch die Bank positiv.

Das Fach kam bei Schülern und Eltern an, es galt als integrationsfördernd, weil sich junge Muslime mit ihrer Religion ernstgenommen fühlen. Nicht zuletzt sah man in dem Fach einen Beitrag, einer möglichen Radikalisierung vorzubeugen.

Der schon einmal verlängerte alte Modellversuch läuft nun Ende Juli endgültig aus. Doch als Regelangebot wollte ihn der Staat nicht übernehmen. Man befürchtet, dass es im Landtag dafür keine politische Mehrheit gibt.

Gesetz muss geändert werden

Um den wichtigen Islamunterricht dennoch dauerhaft weiterführen zu können, hat das Kultusministerium einen neuen Ansatz gefunden, der demnächst im Landtag zur Debatte steht. Das bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz muss dort entsprechend geändert werden.

Demnach soll die Neuerung ab dem kommenden Schuljahr 20/21 an allen Schularten bis zur zehnten Jahrgangsstufe sowie an Berufs- und Wirtschaftsschulen eingeführt werden. Es handelt sich dabei um ein Wahlpflichtfach, in dem es Noten und Abschlussprüfungen gibt und das anderen Fächern damit gleichgestellt ist. Die Schüler können es alternativ zum Ethikunterricht wählen.


Islam-Unterricht soll Wahlpflichtfach in Bayern werden


Ein Religionsunterricht, wie man ihn von den großen christlichen Kirchen kennt, mit der Vermittlung von konfessionellen Glaubensinhalten ist das allerdings nicht. Es geht neben der christlich-abendländischen Wertetradition eher um islamkundliche Inhalte, eine Art erweiterten Ethikunterricht mit Schwerpunkt Islam. Für alles andere fehlen die Voraussetzungen.

Anerkannte Religionsgemeinschaft fehlt

Sowohl nach Grundgesetz als auch nach der bayerischen Verfassung darf der weltanschaulich-religiös neutrale Staat von sich aus keinen Religionsunterricht erteilen. Dafür braucht er eine rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaft, die Inhalte ihres Glaubens festlegt und Lehrkräfte beauftragt. Die gibt es in Bayern für katholische, evangelischen oder jüdischen Schülerinnen und Schüler.

Eine islamische Organisation in Bayern erfüllt die geforderten rechtlichen Voraussetzungen bisher nicht. Der mit Abstand größte Verband, die türkisch-islamische Ditib, hat zwar schon vor Jahren einen Antrag auf Anerkennung als Religionsgemeinschaft gestellt. Entschieden ist darüber noch nicht. Es seien Fragen im Zusammenhang mit der Abhängigkeit der Gesamtorganisation Ditib vom türkischen Staat nicht geklärt, hieß es aus dem Kultusministerium.

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) jubelt über die Pläne der Staatsregierung: "Endlich kommt der Islamunterricht." Es sei gut, dass den muslimischen Schülerinnen und Schülern ein solches Angebot gemacht werde. Es nehme ihre religiöse Identität ernst und biete ihnen die Möglichkeit, sich mit der eigenen Religion auseinanderzusetzen, betonte BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann.

Vorteile für die Lehrer

Vorteile habe das flächendeckende bedarfsorientierte Wahlpflichtfach auch für die bisher eingesetzten Lehrkräfte. So lange der Modellversuch lief, gab es für sie nur unattraktive befristete Verträge, was große berufliche Unsicherheiten mit sich brachte. Jetzt müssten, so Fleischmann, möglichst viele "entfristet" werden, so, wie es die Staatsregierung angekündigt habe.

Massive Kritik an dem Vorhaben der Staatsregierung hat der wissenschaftliche Beirat des Departments Islamisch-Religiöse Studien (Dirs) der Uni-Erlangen-Nürnberg geübt. Er spricht von "viel Enttäuschung und Aufregung in der muslimischen Gemeinschaft Bayerns".

Es sei, so der Beirat, "ohne Mitbestimmung und Mitwirkung von Muslimen hinter verschlossenen Türen etwas völlig Neues vorbereitet" worden. Es verdiene nicht einmal den Namen Islamunterricht. Das bewährte Erlanger Modell mit seinen Gremien solle offenbar abgeschafft werden.

Unter muslimischen Eltern habe sich Unsicherheit breit gemacht. Der Beirat könne ihnen diesen Unterricht auch nicht empfehlen, weil eine deutliche Handschrift einer muslimischen Expertengruppe nicht zu erkennen sei. Es bestehe die Gefahr, dass sich viele muslimische Schüler lieber wieder für den Ethikunterricht anmelden. "Wir wollen keinen Rückschritt zurück in die 1990er Jahre", bekräftigen die Experten.

Die Forderung der Grünen

Auch für die Grünen im Landtag ist es schwer nachvollziehbar, dass der mehrfach positiv bewerteter Modellversuch durch ein Wahlpflichtfach ohne bekenntnisorientierte Inhalte ersetzt werden soll. "Der Staatsregierung geht es da nicht um Qualität", hält Gabriele Triebel fest, bildungs- und religionspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen.

Dabei gebe es Möglichkeiten, einen "ordentlichem Religionsunterricht" für junge Muslime anzubieten. Die CSU/FW-Regierung wolle das nur nicht wahrhaben. Im schlimmsten Fall habe das einen erheblichen Akzeptanzverlust des neues Faches zur Folge.

Anstatt zu warten, bis sich die islamischen Verbände wie die christlichen Kirchen organisieren und damit eine anerkannte Religionsgemeinschaft zur Verfügung steht, schlagen die Grünen die Errichtung einer Stiftung "Islamischer Schulrat Bayern" vor. Ein Vorbild dafür habe Bayerns Nachbarland Baden-Württemberg bereits geliefert.

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