12. Dezember 1965: Nürnberg ist Stadt der Chörlein
12.12.2015, 07:00 UhrMit diesen begeisterten Worten leitet der Nürnberger Studienrat Erich Mulzer, dem wir schon einen Abriß über "Nürnberger Bürgerhäuser" und eine Darstellung von Kunst und Geschichte der Vorstädte "Von den Mauern Nürnbergs" verdanken, eine umfassende Studie "Nürnberger Erker und Chörlein" ein, die soeben im Lorenz Spindler Verlag Nürnberg erschienen ist (25 DM).
Es ist eine Arbeit, die mehrere Jahre in Anspruch genommen hat und die von einem einzelnen – auch die 88 großformatigen Photos der Erker und Chörlein stammen allesamt vom Verfasser – nur mit viel Begeisterung und Idealismus zu bewältigen war.
Der Bilderteil ist mit gutem Grund vorangestellt. Der Verfasser will nicht nur eine wissenschaftliche Abhandlung über Form und Wesen der Erker und Chörlein und über ihre stilistische Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte geben, sondern er wendet sich an einen breiten Leserkreis und möchte vor allem allen Nürnbergern die Augen schärfen für die vielen versteckten Schönheiten und Sehenswürdigkeiten der Stadt. Gerade die Erker waren ja sicher nicht leicht ins Bild zu bannen und mancher hat sicherlich schwierige Kraxeltouren erfordert. Aber auch die Chörlein werden den wenigsten Beschauern alle im Original bekannt sein.
Verblüffend ist für den Leser, daß die Chörlein – und nirgendwo anders treten sie in dieser Fülle und Verschiedenartigkeit auf wie in Nürnberg – eigentlich gegen den Willen des Rats der alten Reichsstadt entstanden sind. Erich Mulzer, der neben einer vollständigen Bestandsaufnahme auch der Geschichte jedes einzelnen der Nürnberger Chörlein nachgegangen ist, hat in den alten Bauamts-Akten bezeichnende und manchmal recht modern anmutende Beispiele für den Kleinkrieg zwischen den Bauherrn und dem schmuckfeindlichen Rat um dieses Chörlein aufgespürt.
Leider nimmt ihre Zahl immer mehr ab. Um 1750 gab es in der damals doch viel kleineren Stadt an die 700 Chörlein, 1932 ergab eine Bestandsaufnahme etwa 400, heute gibt es noch und wieder 65 Chörlein, darunter nur 42 alte, die den Bombenkrieg überlebt haben.
Wo ist die Großstadt?
Für die Chörlein haben schon einige Lokalhistoriker in den letzten 100 Jahren Interesse gezeigt – die Dach-Erker, die ja leider nicht so sehr ins Auge springen, würdigt Erich Mulzer zum erstenmal in größerem Zusammenhang nach ihren Zwecken und Formen. "Wo ist die Großstadt", so fragt der Autor selbst in seinem Vorwort, "die noch so aus dem Vollen schöpfen kann, deren Straßen noch solche Aufnahmen erlauben und Stoff für solche Untersuchungen und Entdeckungen liefern können?"
Sein Buch beantwortet diese Frage erschöpfend. Es wird auf lange Zeit ein Standard-Werk der Lokalgeschichte und der Kunstgeschichte bleiben. Es bringt dem Fachmann viel Neues, und ist doch so gemeinverständlich und mit dem Herzen geschrieben, daß es auch jeder interessierte Laie mit Genuß lesen kann. Vielen wird es Mut machen, selbst wieder in Nürnberg auf Entdeckungsfahrten zu gehen.
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