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15. November 1971: Moderner Troubadour und Zupfgeigenhansel

15.11.2021, 07:00 Uhr
15. November 1971: Moderner Troubadour und Zupfgeigenhansel

© NN

Er lächelt jungenhaft, sympathisch, der Retter des deutschen Liedes ist sehr, sehr positiv. Er beginnt mit einem Lied aus dem – wie er sagt – holzverarbeitenden Zyklus, ein Lied, gebaut um die Frage, aus welchem Holz einer sei. Nichts Weltbewegendes, Metaphern auf die Schnur gezogen, doch mit sehr viel Liebe zum Detail gemacht, mit der Fähigkeit zur sinnlichen Anschauung.

Mey ist ein wirklich guter Handwerker, ein Verseschmied und Reimer; einer, der dazu noch Selbstironie besitzt: ein apolitisches Lied widmet er Permanentkritiker und Obermiesmacher Rudolf Rohlinger. Wenn er sein Frühstück in die Bildzeitung einschlägt, blitzt beißende Kritik an Incrowdgehabe und intellektuellen Statussymbolen auf; hier persifliert und decouvriert Mey das Verkrampfte und allzu Bemühte.

Er kommt vom französischen Chanson her – als Frederic Mey sang er zuerst in Frankreich – der skurrile Humor und die Leichtigkeit der Verse haben dort ihren Ursprung. Doch hält er diese Linie nicht durch, fällt bisweilen ins Schwere und Tiefe, so im Lied "Kaspar" oder in der "Ballade vom irrenden Narr" nach Hieronymus Bosch.

Von dessen apokalyptischer Bilderwelt trennen den Leichtfuß Welten, auf diesem Terrain bietet er metaphysisch angehauchte Pseudolyrik. Das gilt auch für den "Schuttabladeplatz der Zeit", einer mäßigen Version von Bob Dylans surrealem Song "Desolation Row" aus dem Jahre 65, die niemals die Unmittelbarkeit des Originals erreicht.

Thematisch erinnert das "Klagelied eines sentimentalen Programmierers" an den "2000 man" der Rolling Stones: "Tho‘my wife still respects me, I really misuse her / I am having an affair with a random computer." Die Ausarbeitung jedoch ist eigenständig und lustig: überhaupt ist Mey da am besten, wo er mit fotografischer Genauigkeit Situationskomik bringt, Alltagsabläufe im "Kleine-Leute-Milieu": "Ankomme Freitag den 13."

Hier führt er den deutschen Schlager textlich an den internationalen Standard heran. Musikalisch ist eine Ein-Mann-Band natürlich begrenzt, die Verbindung von französischem Troubadour und deutschem "Zupfgeigenhansel" ein bißchen steril. Mey hat das Problem erkannt und – wenigstens auf der Ebene des Liedes – gelöst: in der Germanowesternballade "Das Lied vom Pfeifer" erschießt der Pfeifer alias Mey den Saloonpianisten, weil der die Morricone-Melodie "The Good, the Bad and the Ugly" spielt.

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