19. März 1971: Geräuschlos über die Schienen

19.3.2021, 07:00 Uhr
19. März 1971: Geräuschlos über die Schienen

© NN

Im Werkstättengebäude und im Stellwerk, von dessen Glaskanzel die Kaiserburg über den Baumwipfeln auszumachen ist, arbeiten die Handwerker an der Einrichtung. Nach Ostern beginnt die Schulung der U-Bahn-Fahrer, damit Anfang 1972 der Betrieb auf dem 3,5 Kilometer langen Abschnitt im neuen Stadtteil aufgenommen werden kann.

19. März 1971: Geräuschlos über die Schienen

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Rote und weiße Fähnchen, überall Schilder mit der Warnung „Lebensgefahr“. Kein Unkundiger darf über die Gleise spazieren. Denn der Kontakt mit der seitlichen, frei stehenden Stromschiene wäre tödlich. Welche Energie darin steckt, verdeutlicht der Verbrauch eines aus zwei Doppeltriebwagen bestehenden Zuges mit acht Motoren und zusammen 2000 PS. Dieser Zug holt bei 750 Volt Gleichstrom etwa 2000 Ampere aus der Schiene.

„Einsteigen zur Probefahrt!“ Der Wagen mit den Nummern 403/404 steht bereit. Wie im Flugzeug geht Ernst Hoeß von der VAG eine Check-Liste durch und vergewissert sich an Lämpchen und Skalen, daß alles in Ordnung ist. Obwohl er im Herstellerwerk das Fahrzeug genau kennengelernt hat, muß auch er zuweilen noch überlegen: „Welcher Schalter kommt jetzt?“

Sanft rollt der Wagen los und beschleunigt dann zunehmend. Nach wenigen Sekunden zeigt die Tachonadel 55 Stundenkilometer an. Da bremst der Fahrer (er kann unter vier Möglichkeiten wählen) und ebenso sanft wie beim Anfahren kommt der „Pegnitz-Pfeil“ wieder zum Stillstand. Nur die offene Tür zwischen Fahrgastraum und Führerstand drückt ins Kreuz, weil sie partout zufallen will.

Vor und zurück, vor und zurück auf dem 650 Meter langen Probegleis: auf diese Weise werden die Getriebe der U-Bahn-Wagen 15 Kilometer lang eingefahren und anschließend Bremsfahrten bei 20 und 40 Stundenkilometern von den beiden Führerständen an den Enden unternommen. Der erste ausgelieferte Zug hat inzwischen 220 Kilometer, der zweite 190 Kilometer auf dem Buckel.

Die Fahrt verläuft geräuschlos. Lärm entsteht nur, wenn der Mann im Führerstand plötzlich den Fahrhebel mit dem Totkopf losläßt. Dann ertönt aufdringlich eine Hupe und drei Sekunden nach dem Loslassen wird die Bremse ausgelöst. Die Luftfederung und die Korkisolierung sind die Ursache des ruhigen Laufs. „Phon-Killer“, sagt Ernst Hoeß dazu. Er versichert glaubwürdig, daß das Gerumpel und die Klapperei in Straßenbahnwagen bei der U-Bahn der Vergangenheit angehören wird.

Damit die teuren Stücke mangels Wartung und Pflege eines Tages nicht doch zu scheppern anfangen oder gar auf der Strecke streiken, entstehen die Werkstätten, deren erster Bauabschnitt der Vollendung entgegengeht.

Pflegearmer, aber warmer Holzfußboden in der Werkstatt für die schweren Maschinenteile, darüber gelegen die Wagenwerkstatt mit vier Gleisen: die Anlage wurde so konstruiert, daß sie nach Osten in Richtung Gleisbau-Werkstatt und Schotterlager erweitert werden kann. Viele gute Ideen stecken in der Anordnung, bei der auf kurze Wege und kräftesparende Methoden Wert gelegt wurde.

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