29. März 1971: Kritik der Jungen ließ die Alten kalt

29.3.2021, 07:00 Uhr
29. März 1971: Kritik der Jungen ließ die Alten kalt

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Die Ideologie war tabu in der Meistersingerhalle. Parteipragmatiker Prölß, der mit großer Mehrheit wieder zum Ersten Vorsitzenden gewählt wurde, sorgte schon in der Einleitung für klare Verhältnisse: Die Nürnberger SPD steht auf dem Boden des Godesberger Programms und will sich nicht allein mit der Präambel identifizieren, in der vom „demokratischen Sozialismus“ die Rede ist.

Zur öffentlichen Kraftprobe hatten die Jungsozialisten nur einmal herausgefordert, als ihr Vorsitzender inter pares Horst Schmidbauer dem Landtagsabgeordneten Bertold Kamm seinen angestammten Posten als stellvertretenden Vorsitzenden streitig machen wollte. Er unterlag mit 94 gegen 207 Stimmen. Dieses Verhältnis von 2:1 zog sich denn auch weitgehend durch die gesamte Hauptversammlung und brachte eine Reihe der Juso-Anträge zu Fall.

29. März 1971: Kritik der Jungen ließ die Alten kalt

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Vorsitzender Prölß begrüßte rund 350 Delegierte, darunter Bundesminister Käte Strobel und Oberbürgermeister Urschlechter. Der älteste Teilnehmer war 84, der Jüngste 19. Alle hatten sich auf einen langen Tag eingerichtet, auf dem Tisch lag ein Paket mit 100 Anträgen, in denen sich das „politische Wollen“ der Partei in sämtlichen Bereichen widerspiegelte.

Willy Prölß zitierte SPD-Gründer Ferdinand von Lasalle und meinte: „Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen dessen, was ist. Politisches Handeln ist das Aussprechen dessen, was ist.“ Diese Forderung schien in der breiten Meinungsskala der Anträge erfüllt. Nachdem er mit „Barzel, Strauß & Co.“ scharf ins Gericht ging und den Unionsparteien eine Politik der Restauration vorgeworfen hatte, erteilte Prölß seinem Geschäftsführer Mader das Wort, der in seinem Bericht die Erfolge der SPD herausstellte, die nur durch die „unermeßliche Kleinarbeit“ der Mitglieder zustandegekommen seien.

Juso-Chef Schmidbauer war mit dieser Erfolgsmeldung nicht einverstanden und kritisierte die Genossen: „In den letzten Jahren sind von Nürnberg keine Impulse mehr für die Bundespartei ausgegangen. Nürnberg ist zum großen Schweiger geworden.“ Insbesondere prangerte er die „erschreckende Mitgliederstruktur“ an und wies darauf hin, daß nur jedes zehnte SPD-Mitglied in Nürnberg jünger als 35 Jahre ist.

Sein Vorstandsgenosse Bernd Müller beklagte das „Versagen bei der Öffentlichkeitsarbeit“ durch den zuständigen Referenten Bertold Kamm. Prölß und Kamm konterten mit der Qualität ihrer Aktivitäten, verwiesen auf elf veröffentlichte Stellungnahmen der Partei zu jeweils aktuellen Themen und mehrere Anträge aus Nürnberg, die beim Bundesparteitag diskutiert wurden. MdL Ferdinand Drexler sekundierte: „Auch von den jüngeren Genossen wurde schon vieles angefangen, das dann still und leise wieder eingeschlafen ist.“ Das Wechselspiel zwischen jung und alt war im Gange, beide Lager hatten ihre Trennungslinie gefunden, die Claqueure auf beiden Seiten hatten sich inzwischen herauskristallisiert.Hatte man sich einmal allzu sehr in dem einen oder anderen Diskussionspunkt verbissen, war es immer wieder der Parteichef selbst, der auf das Podium stieg und ein heraufziehendes Gewitter schon beim ersten Donnerschlag tilgen konnte. Die kritische Loyalität der Junggenossen war nie gefährdet.

Heftig prallten die Meinungen aufeinander, als ein Initiativantrag über den Stadionausbau zur Debatte stand. Während die Befürworter dazu aufriefen, sich nicht der Diktatur des DFB zu beugen und auf die Kosten verwiesen, konnten sich die Delegierten dennoch nicht zu einer endgültigen Absage entschließen. OB Urschlechter meinte: „Wenn uns der Ausbau mehr als drei Millionen kostet, können wir es nicht verantworten.“ Für viele, die sich an der breiten Diskussion zu diesem Thema beteiligten, sprach der Oberbürgermeister, als er bekannte: „Ich bin es in den letzten Wochen gewöhnt, einmal für und einmal gegen den Stadionausbau zu sprechen.“

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