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9. November 1971: Neu für die Diskothek

9.11.2021, 07:00 Uhr
9. November 1971: Neu für die Diskothek

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Musik und Text haben sich gesundgeschrumpft, Sonny Hennig ist sich seiner Grenzen als Techniker seiner Instrumente wohl bewußt. Er begreift sich als Boogie-Pianist, und eine weiterentwickelte Variante dieses Stils kennzeichnet auch die Musik dieser LP.

Durch den Bassisten Walti Schneider, der das Boogie-Ostinato übernimmt, wird die linke Hand des Pianisten frei für riffartige kurze Melodiefiguren als Gegenbewegung zur Leadgitarre. Die federnde Rhythmik des Drummers und der schwerelose Sound der Klanggruppe schaffen eine entspannte Atmosphäre und bilden das Gegengewicht zur Schwere der Texte. Die Musik wurde bewußt zurückgenommen, damit sich die Konzentration des Zuhörers voll auf den Gesang richten kann.

Es sind grundehrliche engagierte Lieder, die klar und unmißverständlich Stellung beziehen. Fünf der neun Songs beziehen sich auf Günter Wallraffs Buch „13 unerwünschte Reportagen“. Das soziale und politische Engagement der „Trängengas“ konzentriert sich in dem Song über ein Obdachlosenasyl: „Doch jedes Land auf dieser Erde/ und ist es dort auch noch so schön/ muß sich verdammt daran messen lassen,/ wo seine ärmsten Menschen stehen.“

Mit wacher Sensibilität registriert Sonny Hennig nicht nur Zustände, sondern analysiert sie auch: Irrenhäuser, in die die Gesellschaft diejenigen abschiebt, die an ihr krank geworden sind. In „Töten um Gottes Willen“, attackiert er die Haltung der Militärseelsorge: „Wenn der christliche Soldat zu den Einkehrtagen, geht/ damit er sich selbst vor Gott versteht/ hält die heilige Kirche immer ihr Maul/ obwohl sie es hierzu aufmachen soll/. Ein Handgranatenpfarrer, der von Abtreibung spricht/ sagt, daß Leben sogar im Keim heilig ist.“

Jedoch scheint auch etwas von dem alttestamentarischen Eifer des Rezitators in die Songs eingegangen zu sein, die Sonny Hennigs Ziel, „eine Art deutschen Blues zu schaffen“, verstellt. Wenn man die Platte im Ganzen hört, entsteht trotz einzelner harter und eindeutiger Aussagen eine weinerliche und diffuse Stimmung. Aber Katzenjammer ist ja gerade nicht der Effekt, den der authentische Blues hat.

Was fehlt, ist die Ironie, der beißende Witz des Blues, in dem unerträgliche Zustände durch grimmiges Lachen bewältigt und veränderbar gemacht werden können.

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