Was vor Gewalt schützt

Als Frau nachts alleine unterwegs sein - ist das sicher? Eine Expertin gibt Antworten

18.3.2022, 09:25 Uhr
Als Frau nachts alleine unterwegs sein - ist das sicher? Eine Expertin gibt Antworten

© imago-images, NNZ

Frau Boßert, wie können sich Frauen in der Öffentlichkeit aktiv vor gewalttätigen und sexuellen Übergriffen schützen?
Wir raten den Frauen zu einem selbstsicheren Auftreten durch eine aufrechte Haltung und Blickkontakt. Den Täter sollte man am besten siezen. Dadurch signalisiert man Außenstehenden, dass man die Person nicht kennt. Lautes und deutliches Sprechen ist sehr wichtig. Der Übergriff sollte deutlich benannt werden, zum Beispiel mit Aussagen wie: “Fassen Sie mich nicht an”. Hilfspersonen sollte man direkt ansprechen. Beispielsweise: “Sie mit dem roten Mantel, bitte rufen Sie die Polizei”. Lautes Schreien kann den Täter aus dem Konzept bringen. Außerdem können Frauen einen sogenannten Schrillalarm mit sich führen. Diese Ablenkung sollten Frauen nutzen, um zu fliehen.

Worauf sollte man bei der Flucht achten?
Bei der Flucht gilt es, die 3-L-Regel zu beachten: Licht, Lärm und Leute. Dort, wo es heller ist und viel los ist, kann man eher Hilfe erwarten. Wenn eine körperliche Gegenwehr unumgänglich ist, sollte diese mit ganzer Kraft durchgeführt werden. Wenn Frauen schon im Vorfeld ein ungutes Gefühl haben, empfiehlt es sich, auf dem Smartphone bereits den Notruf, also die 110 eingetippt zu haben, um dann Hilfe rufen zu können. Und abschließend: Es ist hilfreicher Feuer, statt Hilfe zu rufen.

Wie oft werden die Täter tatsächlich gefasst und erfahren Konsequenzen für ihr Handeln?
Die Aufklärungsquote bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung lag im Jahr 2020 bei etwa 86 Prozent. Im Bereich der häuslichen Gewalt liegt die Quote noch deutlich höher, da der Täter bereits bekannt ist. Eine Anzeige lohnt sich immer. Eine nicht getätigte Anzeige schützt nur den Täter, nicht das Opfer.

Viele Frauen schränken sich in ihrem Alltag ein und gehen beispielsweise nachts nicht allein Joggen. Ist diese Angst vor einer Belästigung oder einem Überfall in der Öffentlichkeit begründet?
Die Angst vieler Frauen und Mädchen vergewaltigt zu werden, steht oft in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Gefährdung. Das Risiko, in der Öffentlichkeit Opfer einer sexuellen Gewalttat zu werden, ist nicht sehr groß. Es ist anhand der Zahlen erwiesen, dass sich bei zwei Dritteln der angezeigten Vergewaltigungen Täter und Opfer bereits kannten. Meistens besteht eine Vorbeziehung. Daher ist diese Gefahr und Angst eher subjektiv.


Was denken Sie, woher diese Angst kommt, wenn sie durch die Realität eigentlich nicht bestätigt ist?
Über Delikte, die in der Öffentlichkeit passieren, wird in den Medien häufiger berichtet, so entsteht oft die Angst. Es ist deswegen wichtig, auf das Thema aufmerksam zu machen und darüber aufzuklären, wie man sich schützen kann und wo die tatsächlichen Gefahren liegen. Faktisch gesehen, ist die Gefahr im häuslichen Bereich wesentlich höher als im öffentlichen Bereich.


Wie viele Frauen werden denn tatsächlich Opfer von Übergriffen, Vergewaltigungen und sogar Mord hier in Nürnberg und Mittelfranken?
Im Jahr 2020 wurden in Mittelfranken 1019 Menschen Opfer von Sexualdelikten, davon waren rund 82 Prozent weiblich. Leider gab es auch im Bereich der häuslichen Gewalt zehn Fälle von Angriffen auf das Leben.


Wie viel höher liegt die Dunkelziffer bei solchen Delikten?
Die Dunkelziffer ist immer schwer abzuschätzen. Wie weittragend sie ist, kann man nur schwer sagen.

Sie hatten angesprochen, dass im privaten Umfeld deutlich mehr Frauen von Gewalt betroffen sind als in der Öffentlichkeit. Wie viele Frauen werden zu Hause Opfer davon?
Man sagt, dass jede vierte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von häuslicher Gewalt wird. Das reicht von sexueller über ökonomische, soziale, psychische bis physische Gewalt. Im Jahr 2020 gab es im Raum Mittelfranken beispielsweise über 2000 Körperverletzungen, die im Zusammenhang mit einer Partnerschaft standen.


Wie kann man sich vor Gewaltdelikten im privaten Bereich schützen?
Frauen sollten in akuten Fällen den Täter nach der Trennung nicht mehr in die Wohnung lassen. Kritisch sind immer letzte Aussprachen, da sie zu einer Eskalation führen könnten. Wir raten daher generell von solchen Treffen ab. Sollte es doch nochmal zur Aussprache kommen, ist es sicherer, diese Gespräche nur in Begleitung Dritter oder an öffentlichen Orten zu führen. Je nach Situation können Absprachen mit Nachbarn getroffen werden, damit der Täter nicht mehr ins Haus gelassen wird. Schlösser von Haustüren, Wohnungstüren, Garagen oder Autos können gewechselt werden. Bei Stalking sollten Frauen auch die Telefonnummer wechseln.


Manchen Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, ist es zu Hause nicht möglich die 110 zu wählen, weil sie von ihren Partnern kontrolliert werden. Gibt es da noch andere Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen?
Es gibt das bundesweite Hilfetelefon mit der Nummer 08000 116016. Dort kann man telefonische Beratung erhalten, aber auch auf der Webseite via Chat-Forum kommunizieren. Beim Telefongespräch achten die Berater darauf, dass für den Täter nicht ersichtlich wird, mit wem die Frau gerade spricht. Die Website des Hilfetelefons hat einen Exit-Button, der betätigt werden kann, wenn der Täter zufällig gerade in das gleiche Zimmer kommt. Daraufhin schließt sich alles und es kann kein Rückschluss auf die Webseite gezogen werden. In einer akuten Bedrohungssituation ist es dennoch sinnvoll, die 110 zu rufen, damit schnell Hilfe eintreffen kann.

Wie oft werden Taten von häuslicher Gewalt zur Anzeige gebracht?
Auch hier spricht man von einer Dunkelziffer - das komplette Feld ist nicht einzusehen. Im Regelfall sagt man, dass eine Frau fünf bis sechs Anläufe benötigt, um sich an die Polizei zu wenden oder ein Ermittlungsverfahren bis zum Ende durchzuziehen. Oft steckt die Angst dahinter, was mit den gemeinsamen Kindern passiert oder die finanzielle Abhängigkeit vom Partner.

Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview wurde anlässlich des Weltfrauentags am 8. März 2022 und damit vor der Tat in Gunzenhausen geführt. Wir haben uns entschieden, es zu aktualisieren um die Tipps von Sandra Boßert nochmals weiterzugeben.