Baudenkmal der Reformpädagogik

Der Schulpalast am Rande der Stadt: Die Architektur der Uhlandschule ist etwas fürs Auge

18.4.2023, 11:00 Uhr
Über die vergangenen Jahrzehnte scheinbar kaum verändert: die Uhlandschule in Nürnberg, von der Grolandstraße aus gesehen 1937. 

© K. Scheid, Sammlung Sebastian Gulden Über die vergangenen Jahrzehnte scheinbar kaum verändert: die Uhlandschule in Nürnberg, von der Grolandstraße aus gesehen 1937. 

Seine alles überstrahlende Altstadt mit ihren Monumenten lässt schnell vergessen, dass in Nürnberg auch die Vorstädte zahlreiche Perlen der Baukunst hüten. Zu prägenden Bauten der außerhalb der Mauern zählen die großen Volksschulhäuser – wie die Uhlandschule am ehemaligen Nordbahnhof.

Die neuen Schulhäuser, die die Stadt zwischen 1881 und 1914 errichtete, um in Zeiten von Hochindustrialisierung und Stadtwachstum die immer größer werdende Schar von Schülerinnen und Schülern aufzunehmen, waren weit mehr als reine "Bewahranstalten": Sie waren stadtbildprägende Monumente, Leuchttürme und Symbole der Identifikation im Meer der städtischen Mietshäuser. Oder besser: in der Regel am Rande des Meeres. Denn nur selten kam die Stadt aufgrund der enormen Nachfrage nach Baugrund an zentral gelegene Parzellen, die eine ausreichende Fläche und einem akzeptablen Kaufpreis boten.

Umgeben von Äckern und Kleingärten

Der Reformpädagoge Berthold Otto machte aus der Not eine Tugend, indem er die abgeschiedene Lage der Volksschulen als förderlich für den Lernerfolg und die Naturliebe der Schülerinnen und Schüler ansah. Ohnehin ging man davon aus, dass die städtische Bebauung die neuen Schulhäuser bald schon umschließen würde. Den naiven Glauben an den Boom, der nie enden würde, gab es also auch schon vor über einem Jahrhundert.

Die Uhlandschule, wie sie heute aussieht.

Die Uhlandschule, wie sie heute aussieht. © Sebastian Gulden

Auch die neue Volksschule für die Gärten hinter der Veste entstand 1908 bis 1911, für damalige Verhältnisse recht weit ab vom Schuss am nördlichen Ende der Uhlandstraße (Haus Nr. 33), an zwei Seiten umgeben von Äckern, Kleingärten und Lagerflächen und dem 1899 eröffneten Nordbahnhof. Erst mit der Anlage der nach jenem Bahnhof benannten WBG-Siedlung (1927 bis 1929) rückte sie – städtebaulich gesehen – ins Zentrum des Geschehens.

Ein Schuh erinnert an das Stadtoberhaupt

An dem ausgebauchten Risalit (hervorspringender Teil der Fassade) an der Uhlandstraße erinnert eine Inschrifttafel an den damals amtierenden Oberbürgermeister und eifrigen Förderer des kommunalen Schulbaus Georg Ritter von Schuh, vertreten durch seine redende persönliche Wappenfigur, einen Schuh, und an die Bauzeit. Die ist allerdings nicht ganz korrekt angegeben, denn als das Relief 1910 angebracht wurde, rechnete wohl noch niemand damit, dass ein Streik der Bauarbeiter die Vollendung bis ins Folgejahr verzögern würde.

Im Hochparterre des Eckturmes haben sich die originalen Sitzbänke mit Fliesenspiegel und das Gewölbe im Jugendstil erhalten. Die Bemalung wurde in jüngerer Zeit rekonstruiert. 

Im Hochparterre des Eckturmes haben sich die originalen Sitzbänke mit Fliesenspiegel und das Gewölbe im Jugendstil erhalten. Die Bemalung wurde in jüngerer Zeit rekonstruiert.  © Boris Leuthold

Der Planer der Uhlandschule, der städtische Oberingenieur Georg Kuch, gab dem Schulhaus den Grundriss eines Winkels, wobei in jedem seiner Schenkel ein Schulteil, die Mädchen- beziehungsweise die Knabenschule, untergebracht waren. Die Turnhalle hängte er als niedrigen Kubus im Nordwesten an den Mädchentrakt an, sodass die jungen Damen trockenen Fußes zum Sportunterricht kamen, während die jungen Burschen zum Turnen stets über den Schulhof tigern mussten.

Die Mühlsteinkrägen der Enten über dem Portal der ehemaligen Mädchenschule deuten darauf hin, dass die schrägen Vögel Karikaturen öffentlicher Würdenträger darstellen.

Die Mühlsteinkrägen der Enten über dem Portal der ehemaligen Mädchenschule deuten darauf hin, dass die schrägen Vögel Karikaturen öffentlicher Würdenträger darstellen. © Sebastian Gulden

Seine Anmut verdankt der Baukörper vor allem den abwechslungsreichen Kubaturen mit ihrem Licht- und Schattenspiel. Unzählige Vor- und Rücksprünge, verschiedene Erker- und Giebelformen, verspringende Firstlinien im Dach und drei Dachreiter – der größte von ihnen mit Uhr und Schulglocke – verwandelten den gewaltigen Klotz ein geradezu zauberhaft-malerisches Gebilde.

Vogelmütter füttern Küken in Stein

Blickt man von der Kreuzung der Uhland- mit der Grolandstraße auf den Bau, so wird man schlagartig verstehen, warum Zeitgenossen jene neuen Schulhäuser gerne als "Schulpaläste" titulierten. Ganz im Sinne der Reformarchitektur sind die malerischen Elemente aber nie Selbstzweck, sondern haben funktionale Berechtigung. Das gilt auch für den sparsamen, aber wirkungsvollen Jugendstil-Bauschmuck aus Kunststein: Hier durfte sich Bildhauer Philipp Kittler nicht zum ersten Mal weidlich ausspinnen, und das vollauf im Interesse der Stadt, der modernen Pädagogik und natürlich der ABC-Schützinnen und -Schützen, die die Schule Tag für Tag aufsuchten.

Neben den Wappen der Stadt als Bauherrin findet der aufmerksamen Architekturforscher an den Fassaden liebevolle ausgearbeitete Kinderbüsten, Tiergestalten und Allegorien auf die versorgende Funktion der Schule, etwa in Form von Vogelmüttern, die ihre hungrigen Küken im Nest nähren. Daneben finden sich lustige und bisweilen bizarre Gestalten, etwa vermenschlichte Tiere, fischschwänzige und geflügelte Kinder, die im Fluge Kithara und Fiedel anstimmen.

Unglückliche Modernisierungen

Die Reformpädagogik sah in solch fantasievollen und humorvollen Darstellungen ein probates Mittel, um das Vorstellungsvermögen, die Kreativität und den Lesehunger der kleinen Schülerinnen und Schüler und damit deren Freude am Lernen fürs Leben anzuregen. Sie waren nur ein Teil einer neuen Form des Lehrens, das den Kindern auf Augenhöhe begegnen wollte, anstatt sie in ein starres Muster zu pressen. Dass der Schulalltag um 1910 in aller Regel den hehren Ansprüchen der Reformpädagogen hinterherhinkte, war indes bittere Realität bis weit in die Nachkriegszeit hinein.

Kindliche Fabelwesen finden sich häufig an Schulgebäuden der Zeit um 1900. Sie sollten die Fantasie und Kreativität der kleinen Betrachterinnen und Betrachter anregen.

Kindliche Fabelwesen finden sich häufig an Schulgebäuden der Zeit um 1900. Sie sollten die Fantasie und Kreativität der kleinen Betrachterinnen und Betrachter anregen. © Boris Leuthold

Nach Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg wurde die Uhlandschule bis 1952 weitgehend im originalen Zustand wiederhergestellt. Unglücklicher waren da die Modernisierungen 1958 und 1975 bis 1976, die nur sehr bedingt auf die Qualitäten des Bauwerkes und seiner Innenausstattung Rücksicht nahmen. Erst die jüngsten Instandsetzungsmaßnahmen, bei denen man unter anderem den großen Dachreiter restauriert und die Eingangstüren wieder dem originalen Zustand angenähert hat, zeigen, dass die Liebe für die alten Schulpaläste langsam, aber sicher wieder aufflammt.

Seit diesem Jahr laufen die Bauarbeiten an der Erweiterung der Schule: In dem viergeschossigen Neubau im westlichen Teil des Schulhofs sollen ab 2025 rund 400 Kinder in 16 Klassen unterrichtet werden. Ob man dessen Architektur ernstlich als moderne Interpretation des "Schulpalasts" ansehen darf, ist zu bezweifeln. Muss aber auch nicht ein. Dafür ist ja der Kuch’sche Altbau da.

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