Die «Stadt der toten Frauen»
27.8.2008, 00:00 Uhr«Sie war während der Ehe fast pausenlos schwanger und starb dann im Kindbett», erzählt Nadja Bennewitz. Die Rede ist von Patriziertochter Crescentia Rieter. Denn natürlich führt kein Weg an den Gräbern von Albrecht Dürers Busenfreund Willibald Pirckheimer vorbei. Doch heute geht es nicht um diese prominenten Herren, sondern um ihre bessere Hälften.
Über Crescentia Rieter, mit der Pirckheimer bis zu ihrem Tod acht Jahre lang verheiratet war, wisse man sehr wenig, bedauert Bennewitz. Auch das zeige, «dass man Frauen in der Reformationszeit keine Bedeutung beimaß». Die Nachwelt hielt jedoch fest, dass die Patriziertochter «Tugend, Keuschheit und Andacht besaß - das sagt über ihren eigentlichen Charakter natürlich nichts aus», kommentiert die Historikerin. Die Frau des berühmten Humanisten brachte sechs Mädchen und Jungen zur Welt und starb 1504 im Kindbett.
Nur eines von 14 Gräbern, deren Inschriften von Frauenpersönlichkeiten und dem Leben früherer Jahrhunderte erzählen. Die Männer stehen zu Lebzeiten wie auch bei der letzten Ruhestätte im Vordergrund, eben auf der «guten Seite». Dies veranschaulicht beispielsweise das Epitaph des im 17. Jahrhundert verstorbenen Buchbinders Wolf Endter. Die rechte - damals im Volksglauben bessere - Seite der Gedächtnistafel gehörte den Mannsbildern, die untergeordnete linke Hälfte den Frauen und Töchtern.
Fünf Ehefrauen, 13 Kinder
Dabei ging man stets vom Bild mit Blick auf den Betrachter aus. Und so steht rechts Adam, der einen Apfel in der Hand hält, Eva gegenüber, um deren Unterarm sich eine Schlange windet. Es geht noch weiter: Die «männliche» Seite ziert der Flügel eines Adlers, auf der Frauenhälfte befindet sich eine Fledermausschwinge. «Dem Tagtier wird also ein Geschöpf der Nacht gegenübergestellt», führt Bennewitz aus. Der Mann steht also für das Licht, das Weib für die Dunkelheit. Dazwischen ruhen Totenkopf und Stundenglas, beliebte Symbole des Barocks für Vergänglichkeit und das Auslaufen der Lebenszeit.
Die Todes-Symbole prangen auch auf einem Stein, das über die hohe Frauensterblichkeit zur Wende des 16. und 17. Jahrhunderts berichtet. Der werte Herr, der hier zu Grabe getragen wurde, war fünf Mal verheiratet. Das Bronze-Epitaph zeigt 13 Kinderfiguren: die Mädchen links, die Jungen rechts. Über den Köpfen von sechs Nachkommen schwebt ein Kreuz, «das zeigt, dass sie zu Lebzeiten des Vaters gestorben sind», erklärt die 40-jährige Nürnbergerin. Und resümiert: «Ganz gleich, ob nun Humanismus oder Reformation, für die Frauen hat sich in diesen vermeintlich bedeutenden Epochen nichts geändert.»
Die bisherige traditionelle Perspektive sei ein einseitiger Blick auf die Geschichte. «Aus weiblicher Sicht sind die Erfindung der Pille oder des Streichholzes bahnbrechende Ereignisse gewesen, die den Alltag veränderten.» Man müsse bei der Einteilung der Epochen stets im Hinterkopf haben, an wem sie sich orientieren, gibt die Historikerin zu bedenken.
Im Schatten der Männer
Die Tradition der Frauen auf dem Johannisfriedhof, die im Schatten berühmter Männer stehen, setzt sich in Barbara Esther Blommaert fort. Sie war die zweite Ehefrau des Barockkünstlers Joachim von Sandrart und Betreiberin eines Nürnberger «Naturalien- und Kuriositätenkabinetts», salopp gesprochen ein Vorläufer der heutigen Museen. Der 67-jährige Witwer ehelichte sie sogleich nach Ablauf des Trauerjahres. «Seine zweite Frau zählte damals 22 Lenze», berichtet Nadja Bennewitz. Daraufhin entfährt einer Zuhörerin ein spontanes «immer dasselbe».
Dass nicht jede Frau ihren Gatten unterstützte und ihm wohl gesonnen war, davon zeugt das Grab des 1679 gestorbenen Bürgermeisters Andreas Baumgartner. Um den imposanten Totenschädel mit einem winzigen Loch auf der Grabplatte rankt sich eine so Bennewitz «sehr frauenfeindliche» Legende. Diese besagt, dass sein habgieriges Eheweib ihm einen Nagel in den Kopf gerammt habe.
Weiter geht’s. Auf schmalen Wegen im Gänsemarsch folgen 28 Personen der Frauenforscherin. Auch zwei Männer finden sich unter ihnen wieder.
Vorbei an dem ältesten Grab des Johannisfriedhofs, dessen wuchtige Steinplatte das Symbol des Pestheiligen St. Sebastian ziert. Das ursprüngliche Kernstück des Friedhofs, auf dem im 14. und 15. Jahrhundert außerhalb der Stadtmauern zahlreiche Opfer der Seuche begraben wurden. Dem ging ein Aussätzigenhaus - der sogenannte Siechkobel - voraus, das erstmals im Jahr 1234 erwähnt wurde. Eines von insgesamt vier solcher Häuser in der Stadt, nach Geschlecht getrennt.
Die Nürnbergerin berichtet von dem brutalen Umgang mit den Leprakranken: «Sie wurden enteignet, entmündigt und ihre Ehe aufgelöst, dabei waren sie geistig bei vollem Verstand.» Es galt eine strenge Kleiderordnung. Der ganze Körper - bis hin zum Tragen von Handschuhen - musste verhüllt sein. Mit einer Rassel warnten sie die Gesunden auf Schritt und Tritt vor ihrem Näherkommen. «Dabei steckte man sich lediglich über die Schleimhäute an», fährt die 40-Jährige fort.
Es handelte sich um eine Krankheit der Armen, die Reichen kauften sich von der Einweisung in den Siechkobel frei oder bestachen den Arzt. «So mancher entledigte sich unliebsamer Verwandschaft und zeigte Personen zu Unrecht an», weiß die Historikerin zu berichten.
Der Siechkobel oblag anfangs einer Selbstverwaltung der betroffenen Frauen, die jedoch der Nürnberger Rat mit dem Einsatz von Verwaltern zunehmend eingeschränkte. Im 16. Jahrhundert wurde sie ihnen schließlich ganz entzogen. Fortan hatte eine Zuchtmeisterin das Sagen. «Das Wort bringt ihre Befugnis auf den Punkt», ergänzt Nadja Bennewitz.
Ein Ort der Ausgrenzung
Im Laufe der Neuzeit ging die Krankheit zurück. Im Jahr 1659 fand «die letzte Schau», eine aufwendige Untersuchung der Infizierten, im Aussätzigenhaus statt. Das Gebäude stand auf dem heutigen Friedhofsgelände, gleich gegenüber dem Eingang der Johanniskirche. Deren sattes Orange taucht das Gräbermeer in einen eigenwilligen Schein. Die auffallende Farbgebung orientiert sich an alten Vorgaben. «Nürnbergs einzige mittelalterliche Kirche, die nicht im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde», ergänzt die Historikerin.
Im 19. Jahrhundert wurde der ehemalige Siechkobel als Gasthaus genutzt, das den Namen «Schwarzer Adler» trug. Bis ins Jahr 1888, dann musste das Gebäude dem wachsenden Friedhof weichen. Auf dem einige Gräber auch von einem ganz anderen Frauenbild früherer Zeit erzählen: So lautet eine Inschrift «Elsbeth Hans Wagnerin Rothschmiedin». Bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts war es noch üblich war, dass «Frauensleute» nach dem Ableben ihres Mannes im Handwerk tätig waren und gar Lehrlinge ausbildeten. Dem wurde dann aber ein Riegel vorgeschoben.
Und so spiegelt vielmehr die letzte Ruhestätte der Pfarrersfrau Margaretha Hetzel die typische Frauenrolle im 16. Jahrhundert wider: «Das Weib wird selig werden durch Kinder zeugen, so sie bleibt im Glauben», steht dort geschrieben. Selig sei die Holde, immerhin hat sie ihrem Gatten eine 19-köpfige Kinderschar beschert.
Die Führung wird im Rahmen des Frühlingsprogramms der Stadtakademie wiederholt. Infos unter Tel. 2 14 21 21 oder www.bennewitz-frauengeschichte.de.