Drogen-Reste in Nürnberg: Immer mehr Crystal Meth im Abwasser

29.1.2021, 11:31 Uhr
Hier läuft alles zusammen: In den Becken der Kläranlage in Nürnberg-Doos sammelt sich das Abwasser der Stadt. Experten der TU Dresden haben in Proben jetzt eine Erhöhung der Rückstände von Crystal Meth festgestellt.

© Johannes Handl Hier läuft alles zusammen: In den Becken der Kläranlage in Nürnberg-Doos sammelt sich das Abwasser der Stadt. Experten der TU Dresden haben in Proben jetzt eine Erhöhung der Rückstände von Crystal Meth festgestellt.

Im Abwasser schweben unzählige Informationen, die erklären können, wie es um die Gesellschaft einer Stadt oder einer Gemeinde bestellt ist. Die Nürnberger Stadtentwässerung und Umweltanalytik (Sun) will es wissen und beteiligt sich seit 2017 an einem europaweiten Programm, bei dem Wissenschaftler Drogenrückstände im Abwasser analysieren. Federführend ist hier die Technische Universität Dresden.

Sun schickte im April 2020 wieder eine Probe aus der Kläranlage an die TU. Als aber die Ergebnisse der Proben kamen, war das Staunen groß: "Seit 2017 ist die Konzentration von Rückständen der Droge Crystal Meth um 30 Prozent gestiegen", erklärt Alexander Mahr, Abteilungsleiter der städtischen Umweltanalytik. Ein alarmierendes Zeichen, findet Wissenschaftler Björn Helm von der TU Dresden: "So ein Anstieg ist aus meiner Sicht eine bedenkliche Tendenz."

Tiefpunkt im Jahr 2016

Doch deckt sich die Tendenz auch wirklich mit den Daten der Sicherheitsbehörden? "Mittelfranken und Nürnberg hat hohe Zahlen, wenn es um Crystal Meth und die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz geht", stellt Kriminalhauptkommissar Christian Böhaker fest. Nach einem Tiefpunkt im Jahr 2016 seien Handel und Konsum wieder auf einem "aufsteigenden Ast".

Alleine für Nürnberg registriert die Polizei 358 Fälle für das Jahr 2017, 291 Fälle für 2018 und 312 Fälle für 2019. Die Zahlen für 2020 werden erst im März veröffentlicht. Was Böhaker aber schon jetzt sagen kann: "Es geht nicht zurück, es bleibt weiterhin auf einem sehr hohen Niveau." Er weiß, dass, angesichts der Fallzahlen, die Dunkelziffer sehr viel größer sein muss – die Analyse des Nürnberger Abwassers scheint das zu belegen.


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Ein "dicker Fang" in Fürth

Drohende Haftstrafen schrecken die Händler und Konsumenten offenbar nicht ab. Dabei kann jedem, der 20 bis 25 Gramm Crystal besitzt (ein Gramm entspricht einem Marktwert von rund 100 Euro) und erwischt wird, schon der Weg in die Untersuchungshaft blühen. Wenn dann, wie am 12. Dezember 2018, die Nürnberger Kripo vier Rauschgifthändler in Fürth hochnehmen lässt und die Tatverdächtigen drei Kilogramm Crystal bei sich haben, dann kann man das klar als "dicken Fang" bezeichnen. Die vier wurden später zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Eine Droge auf dem Vormarsch: Der Handel mit und Konsum von Crystal Meth nimmt laut Kriminalstatistik in Nürnberg und Mittelfranken zu.

Eine Droge auf dem Vormarsch: Der Handel mit und Konsum von Crystal Meth nimmt laut Kriminalstatistik in Nürnberg und Mittelfranken zu. © afp

Die Droge Crystal Meth ist Methamphetamin in kristalliner Form. Bayernweit kennt die Kurve bei den Fallzahlen bezüglich des Rauschgifts nur eine Richtung: nach oben. Das bestätigt auch das Bayerische Landeskriminalamt (BLKA). "Im Jahr 2019 wurde ein Anstieg von neun Prozent erzielt", berichtet Ludwig Waldinger vom BLKA. Wer sich mit weiteren Zahlen in der Polizeilichen Kriminalstatistik befasst, kann auch Schwerpunkte in Bayern herauslesen. Mittelfranken nimmt verglichen mit den zehn bayerischen Polizeipräsidien eine traurige Spitzenposition ein: 2018 stellten Einsatzkräfte 561 Mal Methamphetamin sicher, 2019 waren es 719 Fälle.

Die Drogenküchen stehen in Tschechien

Zum Vergleich: In München registrierte die Polizei 104 (im Jahr 2018) und 102 (2019). Ähnlich verhält es sich bei den Rauschgiftmengen. Auch da sticht Mittelfranken heraus: 5286 Gramm (2018) und 3098 Gramm (2019). Die niedrigsten Zahlen hat das Präsidium Schwaben Nord: 72 Gramm (2018) und 29 Gramm (2019). Methamphetamin ist in Bayern überall verfügbar. Allerdings sind die grenznahen Regionen zur Tschechischen Republik besonders betroffen. "Mit Abstand die meisten Delikte registrieren die Präsidien Oberfranken, Mittelfranken und Oberpfalz, gefolgt von Niederbayern", zählt Waldinger auf.

Warum aber Nürnberg und Mittelfranken so herausstechen? Die großen Drogenküchen, in denen Methamphetamin hergestellt wird, befinden sich in Tschechien. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet die bayerische Polizei mit tschechischen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Sie heben Drogenküchen aus und unterbinden den Handel.

Und dennoch findet die Droge noch immer in großen Mengen ihren Weg in die Bundesrepublik. Dabei sind die Täter kreativ, sie transportieren Crystal etwa in Feuerlöschern oder fahren mit mobilen Drogenküchen von A nach B. Solche stationären und mobilen "Labore" zur Rauschgiftherstellung "erreichten in Tschechien ein qualitativ und quantitativ besorgniserregendes Niveau", sagt Ludwig Waldinger.

Crystal kommt auch aus den Niederlanden

Christian Böhaker von der Kripo Nürnberg sieht auch in der verkehrstechnischen Bedeutung Nürnbergs und der Region einen Grund, warum es hier so viele Fallzahlen gibt. "Die Nähe zur Tschechischen Republik und das große Autobahnkreuz von A6 und A9 bilden für Kuriere einen Dreh- und Angelpunkt." Doch verdichten sich laut Böhaker die Hinweise, dass große Mengen Crystal nicht mehr nur aus Tschechien in die Bundesrepublik kommen, sondern neuerdings auch aus den Niederlanden.

Das nimmt auch Norbert Wittmann von der Nürnberger Drogenhilfe Mudra wahr. Mexikanische Drogenbosse entdecken gerade den europäischen Markt für sich. "Crystal hat sich in Nürnberg und der Region etabliert. Es gibt erste Indikatoren, dass jetzt auch in Nordrhein-Westfalen mehr konsumiert wird. Dort spielt die Nähe zu den Niederlanden eine Rolle", warnt er. Doch die Politik in NRW nehme diese Gefahr noch nicht richtig wahr.

Nürnberg ist aus seiner Sicht inzwischen zu einer Hochburg des Crystal-Konsums geworden. Wittmann: "Nahezu jeder Fünfte der neuen Klienten, die uns besuchen, kommt mit einer Crystal-Problematik."

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