E-Scooter in Nürnberg: Die Revolution blieb aus

20.6.2020, 06:00 Uhr
E-Scooter gehören seit einem Jahr fest zum Stadtbild.

E-Scooter gehören seit einem Jahr fest zum Stadtbild.

Denn die Erwartungen waren hoch: weniger Autoverkehr und dadurch ein Beitrag zum Umweltschutz. "In der Bilanz kam es leider nicht zum erhoffen Effekt der Stärkung des Umweltverbundes (Fuß, Rad, ÖPNV). Dem würden wir die Roller zurechnen, sie sind im Kern aber zum Kurzstreckenersatz für ÖPNV-Fahrten oder Fußwege und zum touristischen Werkzeug geworden", sagt Nürnbergs Baureferent Daniel Ulrich. "Nur etwa zehn bis 15 Prozent der Fahrten ersetzen wohl Autofahrten", so Ulrich weiter. Ganz genau könne man dies aber wegen der Corona-Pandemie nicht sagen, die die Mobilitätszahlen einbrachen ließ. "Wir haben so wenig Radler wie lange nicht, so wenige Autos und so wenig Kunden im ÖPNV."

Eine Einschätzung, die auch Claus Unterkircher, Voi-General Manager für Deutschland, Österreich und die Schweiz teilt, aber zu einem anderen Schluss kommt. "Der Index für urbane Mobilität ist stark gesunken. Auch jetzt bewegen sich die Menschen wenn man alle unterschiedlichen Verkehrsformen von ÖPNV bis zu Fußwegen zusammenrechnet bis zu 70 Prozent weniger. Verglichen mit diesen Werten ist die Nutzung unserer E-Scooter stark gestiegen." Der schwedische E-Tretroller-Sharing-Dienst Voi war als erster Ende Juli in Nürnberg an den Start gegangen — und hat es nicht bereut: "Wir sind sehr zufrieden in Nürnberg. Das zeigt sich auch bei unserer geschäftlichen Bilanz, die unsere Erwartungen mehr als erfüllt hat", so Unterkircher weiter.

Ähnlich sieht es David Krebs vom Berliner Unternehmen Tier Mobility, das erst seit Dezember auch in Nürnberg als Anbieter am Platz ist. "Trotz der Ausnahmesituation, sind wir allgemein sehr zufrieden mit der Entwicklung in Nürnberg. Einhergehend mit den zunehmenden Lockerungen der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, sehen wir wie auch wieder einen deutlichen Aufwärtstrend bei der Nutzung unseres Services in Nürnberg.

Während Voi beginnend mit der Ankündigung der weitreichenden Ausgangsbeschränkungen seinen Service für zwei Monate in Nürnberg vorübergehend eingestellt hatte, lief der Verleih bei Tier, von den derzeit rund 800 Roller in Nürnberg verteilt sind, weiter. Auch Voi ist seit kurzem wieder mit etwa 500 Rollern in Nürnberg, Fürth und Erlangen vertreten.

Ein Dienst, der nicht jeden freut. Gerade das wilde Parken war von Anfang ein Grund für Beschwerden bei der Verwaltung. Annähernd jeden Tag klagten Bürger über achtloses Verhalten der Fahrer. Daran scheint sich nicht viel geändert zu haben. "Das Nutzerverhalten hat sich sichtlich kaum gebessert, die Beschwerdelage ist aber günstiger", wie es Baureferent Ulrich formuliert. Das mag "resignative Anpassung" der meist betroffenen Fußgänger sein oder ein gewisser Gewöhungseffekt, so Ulrich weiter. Doch das Fahrverbot für E-Roller auf Fußwegen und in Fußgängerzonen werde viel zu oft missachtet — sehr zum Schaden für Fußgänger.

Um zumindest das wilde Parken einzudämmen gibt es seit März in Nürnberg Parkzonen für E-Scooter, als Anreiz erhält man bei Voi 50 Cent zurück, wenn man diese nutzt. Mit Erfolg, wie Claus Unterkircher betont. "Wir haben viele positive Reaktionen erhalten."

Bleiben die Regelverstöße. Zwar ist die Unfallbilanz laut Polizei "unauffällig". Seit der Zulassung verzeichnete die Nürnberger Polizei lediglich 29 Unfälle mit E-Scootern — meist Alleinunfälle durch Unachtsamkeit. Lediglich sechs Personen kamen den Angaben zufolge dabei in diesem Zeitraum zu schaden.


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Anders fällt die Bilanz bezüglich der Regelverstöße aus. "Die Deliktshäufigkeit von Fahrten unter Alkohol- und/oder Drogeneinwirkung ist mit insgesamt 418 deutlich zu hoch und zeugt von mangelnder Rechtskenntnis der Nutzer", sagt Rainer Seebauer, Sprecher im Polizeipräsidium Mittelfranken. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 544 Delikte im Zusammenhang mit der Nutzung von E-Scootern registriert.

Ein Verhalten, dass Folgen hat. Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey sprachen sich nun 47,4 Prozent der befragten 2500 Bürger dafür aus, dass den Elektro-Tretrollern die Straßenverkehrszulassung entzogen werden sollte. Demnach empfindet rund die Hälfte die Scooter als "störend", knapp 40 Prozent der Befragten "akzeptieren" sie.

Für die Kommunen bleibt das Thema Sicherheit daher weit oben auf der Tagesordnung. So sprach sich erst unlängst der deutsche Städtetag dafür aus, dass an manchen Stellen die Geschwindigkeit von E-Rollern gedrosselt werden sollte, der TÜV-Verband befürwortet zudem eine Helmpflicht, ein Bremslicht auf der Rückseite und Blinker.

Baureferent Ulrich freut unterdessen, dass die Roller dem VAG-Rad keine Konkurrenz machen. "Im Gegenteil, es scheint so, als ob die Präsenz von neuen Mobilitätsformen auch einen positiven Effekt in Richtung Radverleih ausgelöst hat", so Ulrich, der betont, dass das VAG Rad billiger, in den VAG-Tarif integriert und ebenso allzeit verfügbar wie die Roller sei. Dennoch scheint die Stadt den E-Roller-Markt nicht allein privaten Anbietern überlassen zu wollen. "Mittelfristig ist eine Integration eines E-Roller Verleihs in das VAG System durchaus denkbar", so Ulrich. Erste Gespräche dazu gab es bereits.


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