„Es ist etwas ins Rutschen gekommen“

1.2.2017, 19:09 Uhr

Das ist Politiker-Alltag: Sie bekomme „viele, viele sehr merkwürdige Mails“, berichtet die Nürnberger Bundestagsabgeordnete Gabriela Heinrich. Die Sozialdemokratin nimmt sich Zeit für das, was sie Kampf um die Zivilisation nennt. Rechtsradikale Hintergründe müssten enttarnt, hetzerische Statements sachlich beantwortet werden: „Es ist aufwendig, aber mein Anspruch. Hin und wieder gibt es sogar eine Entschuldigung.“

Wie stark gerade Neonazis und Rechte das Internet gekapert haben, weiß Dana Fuchs von der Berliner Aktion „Gesicht zeigen!“. Die sozialen Netzwerke seien deren bevorzugtes Aktionsfeld. Fuchs: „Keine Partei hat im Netz mehr Fans als NPD und AfD.“ Viel Hass generiere leider viel Zustimmung auf Facebook.

Doch nicht nur Geflüchtete oder Andersgläubige sind Zielscheibe von Attacken. Frauen müssten im Internet besonders viel aushalten, so Dana Fuchs. Die kanadisch-amerikanische Bloggerin Anita Sarkeesian etwa, die sich als Feministin gegen Sexismus in Computerspielen engagiert, werde massiv als „Schlampe“ diffamiert und mit allen denkbaren Varianten von Vergewaltigung bedroht. „Das macht etwas mit dir“, so Fuchs. Weil Ähnliches vielen Netz-Nutzerinnen widerfährt, bestehe „die Gefahr, dass Frauen nichts mehr sagen im Internet“. Nur noch 20 Prozent legen laut Studien in sozialen Netzwerken überhaupt noch offen, dass sie weiblich sind.

Was tun? „Soll man die Füße stillhalten oder sich wehren?“, fragt sich auch die SPD-Stadträtin Claudia Arabackyj in der von ihrer Kollegin Diana Liberova moderierten Diskussion. Niemand wisse so recht, was zu tun sei und was noch von der Meinungsfreiheit gedeckt sei.

„Hass ist keine Meinung“, stellt Expertin Dana Fuchs hier klar. Was offline verboten ist, sei auch online strafbar. Die Netzwerkbetreiber müssten zur Verantwortung gezogen werden, wenn über ihre Kanäle Volksverhetzung, Bedrohung, Aufforderung zu Straftaten oder Nötigung betrieben werde. Facebook habe 2016 rund 46 Prozent aller gemeldeten Posts auch tatsächlich gelöscht. Der Kurznachrichtendienst Twitter hänge im Vergleich stark hinterher und habe im Schnitt nur ein Prozent der monierten Tweets entfernt.

Dana Fuchs zählt zahlreiche Internetseiten auf, die fantasievolle Vorschläge machen, wie rassistische oder neonazistische Kommentare gekontert werden können. Wer auf Hassreden selbst antworte, dürfe nicht nur verneinen, sondern sollte einen eigenen Standpunkt formulieren.

Warum die Sprache denn so furchtbar verrohe, rätselt eine Zuhörerin. Die Grenze des Sagbaren habe sich spürbar verschoben, bestätigte die Referentin aus Berlin. Es sei „etwas ins Rutschen gekommen“, seit Thilo Sarrazin (SPD) sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlicht habe. Man dürfe nicht vergessen, dass es nicht die Mehrheit sei, die sich so gehenlasse, betont Gabriela Heinrich. Man müsse sich mit Gleichgesinnten vernetzen, um sich nicht alleine zu fühlen.

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