Interview mit Christine Morgenstern von der TH Nürnberg

4.6.2014, 18:30 Uhr

Ist Rassismus gegenüber Flüchtlingen weiterhin ein Problem in Deutschland und speziell in der Region? Warum?

Morgenstern: Rassismus gegenüber Flüchtlingen ist an vielen Orten in der gesamten Bundesrepublik ein Problem. An diesen Orten sehen alteingesessene Bewohnerinnen und Bewohner plötzlich viele fremde Menschen in leerstehende, ungenutzte Gebäude einziehen, die oft fürs Wohnen nicht gedacht waren. Diese Gebäude verfügen weder über Aufenthaltsräume noch bieten sie Möglichkeiten der Freizeitbeschäftigung. Sie werden mit einer großen Anzahl von Menschen belegt, die sich als Familie oder zu mehren Fremden ein Zimmer zum Schlafen, Essen, Hausaufgaben machen etc. teilen müssen.

Viele der Flüchtlinge dürfen oder können nicht arbeiten und können den ganzen Tag nichts anderes tun, als warten, bis die Behörden über ihr weiteres Schicksal entschieden haben.

Aus der Sicht der Nachbarn, die meist nicht gefragt, oft nicht einmal offiziell über die Unterbringung und Gründe informiert werden, erscheinen diese Veränderungen in ihrem sozialen Umfeld rätselhaft, unerklärlich und werden nicht selten als bedrohlich empfunden. Da ist nicht nur die Sorge vor Lärm und Unruhe, auch nicht nur um das Ansehen des Wohnortes und den Wert der eigenen Liegenschaft. Wenn den Ängsten der Anwohner Rassismus zu Grunde liegt, bedeutet das eine viel tiefere Verankerung der Befürchtungen, die mit der Anwesenheit von Fremden verbunden sind.

Wie entsteht Rassismus?

Morgenstern: In der Bundesrepublik Deutschland ist die Mehrheit der Gesellschaft nicht über die reale Situation der Flüchtlinge und Asylbewerber informiert. Es gibt kaum Kontakt zwischen Mehrheitsgesellschaft und Flüchtlingen, kaum sachliche Darstellungen der Rechtslage und der Verwaltungsverfahren. Dieses Unwissen ist ein wesentliches Einfallstor für rassistische Erklärungen des Beobachteten.

Eine rassistische Erklärung für das rätselhafte Geschehen vor der eigenen Haustür lautet: ‚Die sind hier, um uns wegzunehmen, was uns gehört!‘ Das macht aus Unsicherheit auf der Basis von Unwissen geradezu existenzielle Furcht. Bei manchen Menschen führt dies zur Schlussfolgerung, man müsse sich in einer so vermeintlich dramatischen Bedrohungssituation wehren, bevor es zu spät sei. Daraufhin erscheint eine Art ‚präventive Notwehr‘ erforderlich, um gegen die unterstellte Gefahr, die von ‚den Anderen‘ ausgehe, vorzugehen. Diese Form des Rassismus kann bis zur real ausgeübten Gewalt führen.

Was ist der Unterschied zwischen Alltagsrassismus und Rechtextremismus?

Morgenstern: Rassismus ist eine Ideologie deren Ursprünge bis in die Zeit des westlichen Kolonialismus und Imperialismus zurückreichen. Dieser Entstehungszusammenhang ist dieser Ideologie bis heute anzumerken. Rassismus beinhaltet die Behauptung, es gäbe von Natur aus grundlegend verschiedene Kategorien von Menschen: Die sogenannten ‚Rassen‘. Diese angeblich vorhandenen biologisch verankerten Menschenkategorien unterscheiden sich demnach in allen wesentlichen Eigenschaften und Fähigkeiten. Ausdruck jeder Kategorie ist angeblich auch die Kultur, die Lebensweise, die Religion. So scheint die Zugehörigkeit eines jeden Menschen an äußerlich sichtbaren Merkmalen erkennbar. Praktischerweise ist also vermeintlich anhand äußerer Merkmale, beispielweise an Hautfarbe oder Kleidung, auf die inneren Eigenschaften und Fähigkeiten einer Person zu schließen.

Unpraktisch ist lediglich, dass es keine solchen Menschenkategorien gibt. Menschenrassen existieren nicht, weder biologisch noch kulturell. Menschen sind verschiedenen, aber nicht in irgendwelche angeblich klar abgrenzbaren Kategorien einzuordnen. Geschweige denn, dass sich anhand von reinen Äußerlichkeiten auf persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten schließen ließe. Und, obwohl das im Grunde jedes Kind weiß, ist die Überzeugung diese eigentümlichen Menschenkategorien existierten wirklich, noch immer weit verbreitet.

Rechtsextreme benutzen rassistische Ideologie aktiv, um sich die Welt und die Vorgänge darin zu erklären. Das nützliche an dieser Ideologie ist, dass sie eine Hierarchisierung der als existent vorausgesetzten Menschenrassen beinhaltet, die der vermeintlich ‚weißen‘ Kategorie, stets den Spitzenplatz einräumt. Da zeigt sich die Herkunft dieser Ideologie aus der Legitimation von Ausbeutung und Unterdrückung der angeblich weniger hochstehenden anderen Menschenkategorien.

Warum kommt es zu Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen?

Morgenstern: Innerhalb rassistischer Ideologie existieren die angeblich verschiedenen Menschenkategorien nicht einfach so nebeneinander her. Es wird davon ausgegangen, dass sie um die gleichen Ressourcen konkurrieren. Da spielt auch die moderne Wissenschaft und ein gewisser ökonomischer Darwinismus mit hinein.

Bis zum Ende des Nationalsozialismus wurde auf dieser Grundlage ein angeblich weltweit tobender ‚Kampf der Rassen‘ behauptet, im dem die ‚Rassen‘ um alles, nämlich ums Dasein stritten. Seit etwa zwanzig Jahren ist an die Stelle dieser Vorstellung der angeblich ebenso dramatische und entscheidende ‚Kampf der Kulturen‘ getreten.

Auf der Basis dieser Ideologie betrachtet, erscheinen also im Alltag einer Nachbarschaft nicht einfach Menschen, die sich aus Kriegsgebieten und Notlagen flüchten und ihre eigene Heimat verlassen mussten. Rassistische Ideologie lässt diese Menschen als Vertreter und Vertreterinnen grundlegend anderer Menschenkategorien erscheinen, die mit den Alteingesessenen scheinbar um die vorhandenen Ressourcen konkurrieren. Rassismus macht somit aus hilfsbedürftigen Flüchtlingen bedrohliche Gefahrenpotentiale. Rechtsextreme verbreiten diese Vorstellungen gern, um davon zu profitieren.

Was kann man gegen diesen Rassismus gegenüber Flüchtlingen tun? Wie lassen sich solche Vorurteile beseitigen?

Morgenstern: Aufklärung über Rassismus und über die Absurdität dieser weit verbreiteten Vorstellungswelt ist ebenso wichtig, wie die transparente Darstellung der internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland in der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Wenn Fluchtursachen, die Aufnahme von Flüchtlingen in der Bundesrepublik und deren Unterbringungen offen thematisiert und diskutiert würden, hätten sicherlich viel mehr Menschen mehr Verständnis für die Situation der Flüchtlinge. Und zugleich wäre ein wirkliches Verstehen der Problematik, die sich mit der Regelung von deren Unterbringung verbindet, möglich.

Welche Maßnahmen können bayerische Städte und Bayern als Bundesland gegen den Alltagsrassismus ergreifen?

Morgenstern: In der konkreten Nachbarschaft müssen die alteingesessenen Bewohner und BewohnerInnen mit in den Entscheidungsprozess eingebunden werden. Menschen müssen einander kennenlernen können, um irrationale Ängste und Befürchtungen zu bekämpfen. Und die Unterbringung von Flüchtlingen muss sich erheblich verbessern. Eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen, verbunden mit einer niedrigschwelligen Beratung und Unterstützung für die Flüchtlinge, wie bei Bedarf auch der Nachbarn, wäre wichtig.

Dies wäre sicherlich zunächst teurer, als die bisherige Unterbringungspraxis. Mittel- und langfristig würde dies nicht nur Konflikte verringern, sondern auch die soziale Integration der Flüchtlinge erheblich erleichtern. Die dauerhafte Aufnahme von Flüchtlingen würde dann die Aufrechterhaltung der ‚Rückkehrbereitschaft‘ als gesellschaftliches Ziel erkennbar ersetzen.