Ist das alles nur ein Planspiel?

19.7.2008, 00:00 Uhr
Ist das alles nur ein Planspiel?

© Orgeldinger

Den «NZ-Redakteurinnen» Saskia Range und Sabrina Geitner fiel keine leichte Aufgabe zu. Sie sollten die traditionsreiche Zeitung im Boulevard-Stil aufziehen. «Schreibt frei von der Leber weg. Ihr müsst kreativ und schnell sein», forderte Bernd Knüfel, einer der Spielleiter von der «Forschungsgruppe Jugend und Europa» (FGJE) am «Zentrum für angewandte Politikforschung» der Universität München.

Das ließen sich die beiden angehenden Bankkauffrauen nicht zweimal sagen. Unbemerkt schlichen sie in den «Fraktionsraum» der «CSU» und schossen kompromittierende Fotos von «Abgeordneten». Dann rannten sie ins «Pressezentrum», das mit moderner Computertechnik ausgestattet war. Saskia rief die Internetseite der Zeitung mit den vier Buchstaben auf und klaute eine Überschrift. Darunter eine knappe Meldung. Zwei Fotos, blitzschnell von der Digitalkamera ins Layout gebracht. Fertig.

Während die Kolleginnen von der «NN» noch an einer seriösen «Bleiwüste» bastelten - deren Fotografin war gerade unauffindbar - hing der «NZ-Aufmacher» schon am schwarzen Brett des «Pressebüros»: «Hippie-Alarm im Bayerischen Landtag. CSU-Abgeordnete wollen lieber Spaß, als sich um die Belange des Volkes zu kümmern». «Das war ziemlich gemein», bekannte Range. Nur ein Planspiel?

Die 49 Schüler aus zwei Bankfach-Klassen wurden nach den Mehrheitsverhältnissen im Maximilianeum aufgeteilt. Jeder bekam eine konkrete Rolle zugewiesen, die er ausfüllen sollte. Da gab es zum Beispiel den oberbayerischen Landwirt von der «CSU» oder den Unternehmensberater aus Ansbach von der «SPD».

«Als Abgeordnete müsst ihr die Interessen des gesamten bayerischen Volkes vertreten und seid nur eurem Gewissen unterworfen», dozierte Leo Meyer-Giesow von der Forschungsgruppe. In den Ausschüssen könne auf der Basis von Sachargumenten frei diskutiert werden, im Plenum müsse man allerdings die Beschlüsse der Fraktionsmehrheit vertreten, riet der Spielleiter. «Wie soll das funktionieren?», fragte ein Schüler. Nur ein Planspiel? «Wo der Sozialkundeunterricht zusammengestrichen wird, können die Jugendlichen nicht viel über Politik wissen», sagte Prof. Andreas Schumann, Lehrstuhlinhaber für Literaturdidaktik an der Universität Osnabrück.

Er hilft dem Spielleiterteam gelegentlich als «Springer» aus. Wenn die Jugendlichen in die Rolle von Abgeordneten schlüpften und in fünf Stunden einen Gesetzentwurf erarbeiteten, würden politische Entscheidungsprozesse direkt erlebbar, erklärte Schumann. Das Planspiel sei ein wichtiges Mittel der politischen Jugendbildung. Die Schule habe das Szenario bestens vorbereitet.

Das Lob galt Studiendirektor Peter Kührt, der die Bankfachklassen betreut. «Bei den heutigen Jugendlichen darf man das Wort Politik nicht in den Mund nehmen», so Kührt. Er sei gespannt, wie das fiktive Gesetz zur «Videoüberwachung in öffentlichen Räumen» formuliert werde. Die angehenden Bänker seien mehr dem konservativen Spektrum zuzurechnen, meinte der Berufsschullehrer.

Wie recht er hatte. Mit den Stimmen der «CSU» und einiger «SPDler» verabschiedete der «Landtag» in zweiter Lesung ein fiktives Gesetz. Dieses verpflichtet alle bayerischen Großstädte, ihre Innenstädte mit Videokameras zu überwachen. Nur die vier «grünen Abgeordneten» stimmten dagegen.

Doch zum Zeitpunkt der Abstimmung saß der echte NZ-Reporter schon wieder an seinem Arbeitsplatz. Wie sagte doch Spielleiter Knüfel: «Im Online-Zeitalter ist Schnelligkeit alles.»

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