Lukratives Geschäft mit Altkleider-Spenden

4.7.2013, 08:33 Uhr
Lukratives Geschäft mit Altkleider-Spenden

© Jasmin Siebert

„Viel zu schade zum Wegwerfen!“ steht auf der grünen Pappbox neben der Kasse in der H&M-Filiale in der Breiten Gasse. Zu lauter Popmusik ordnet eine Verkäuferin T-Shirts auf einem Ständer und erklärt, wie das mit dem Kleiderzurückbringen funktioniert: Für jede mindestens halbvolle Tüte – die Kleidung muss weder intakt noch von H&M sein – bekommt der Kunde einen Gutschein über 15 Prozent für einen Artikel seiner Wahl beim nächsten Einkauf. Die grünen Boxen stehen erst seit wenigen Monaten und füllen sich täglich. Was mit der zurückgebrachten Kleidung geschieht, weiß die Verkäuferin: „Das wird alles kaputt gemacht und recycelt. Und davon werden schöne neue Kleider gemacht.“

Helmut Huber, seit sieben Jahren Leiter der Abteilung „Gebrauchtwaren und Wertstoffe“ beim Bayerischen Roten Kreuz in Nürnberg, seufzt und sagt, dass es ja schön wäre, wenn man aus alten Kleidern ganz einfach neue machen könnte. So einfach ist das jedoch nicht. Die allermeisten Kleidungsstücke bestehen aus kurzfaseriger Baumwolle. Zum Recyceln bräuchte es jedoch längere, stärkere Fasern – wie sie bei Biomode häufig verwendet werden. Der Kreislauf vom alten direkt zum neuen T-Shirt ist momentan noch ein Forschertraum. Wenn H&M von Nachhaltigkeit spricht, ist das für Huber ein Missbrauch des Begriffs. Huber ist wahrlich ein Experte in Sachen Wertstoffe und Wiederverwertung. Schon als 14-Jähriger sammelte er ehrenamtlich für das BRK Glas, Papier und Altkleider. Seit 30 Jahren arbeitet er hauptamtlich beim BRK. Wirklich nachhaltig sei es nur, Kleider möglichst lange zu tragen. „Oder an Organisationen zu geben, die dafür sorgen, dass sie möglichst lange getragen werden.“

Früher wurde an den Haustüren gesammelt

In Nürnberg stehen 640 weiße Altkleider-Container an 565 Plätzen. Aufgestellt und geleert werden sie in einer Arbeitsgemeinschaft von BRK, Arbeiterwohlfahrt, Deutschem Paritätischen Wohlfahrtsverband, Johanniter Unfallhilfe und Malteser Hilfsdienst.1991 wurden die ersten Container aufgestellt. Bis dahin hatte das BRK mindestens seit 1968 an den Haustüren gesammelt. Die Container sollten das Kleiderspenden für die Bevölkerung bequemer machen, da man nicht auf die Abholung warten muss. Und damit niemand Kleider in den Restmüll werfen muss, steht auch in schwach besiedelten Gegenden wie Birnthon ein Container. Dagegen stehen an anderen Stellen drei Container, die zweimal wöchentlich geleert werden müssen, um nicht überzulaufen.

Huber ärgert sich, dass eine Zeitlang Flugblätter dazu aufforderten, die Kleider vor dem Einwerfen zu zerstören: „Kleider zerschneiden ist ein Schmarrn!“ Dadurch werde nicht die afrikanische Textilindustrie gerettet, sondern verhindert, dass ärmere Menschen diese Second-Hand-Kleider kaufen können.

Aus den Containern landen 20 bis 25 Prozent der Kleidung im Sortierbetrieb des BRK in der Sulzbacher Straße. Dort überprüfen Mitarbeiterinnen wie Karin Goblirsch von 6.30 bis 15.30 Uhr mit flinken Fingern die gespendeten Kleidungsstücke. Der Großteil wandert, da kaputt oder zu sehr zerschlissen, sofort in den nächsten Sack. Die gut erhaltenen Kleider türmen sich zu einem meterhohen Berg auf dem Sortiertisch. Diese Bestware macht nur vier bis fünf Prozent der gesammelten Kleider aus. Eine andere Mitarbeiterin hängt sie auf Bügel. Sommerware wandert in den 380 Quadratmeter großen Kleiderladen, Winterware in den Keller.

Simone Alberti.

Simone Alberti.

Die aussortierten Stücke verkauft das BRK an die Bayreuther Firma Jean Bilsheim, die die Textilien in ihrem Betrieb in Creussen noch einmal sortiert und weltweit weiterverkauft. Der Reißwolf ist dabei der letzte Ausweg. „Es wird versucht, alles, was nur irgendwie geht, zu recyceln“, erklärt Oliver Holz von der Firma Bilsheim. Auch wird dort immer ein K-Lager – ein Katastrophenlager – vorbehalten. „Für den Fall des Falles“, erklärt Huber vom BRK.

Zuletzt wurde es 1989 gebraucht. Denn heutzutage ist es meist günstiger, Kleidung – beispielsweise nach einer Umweltkatastrophe – in Auftrag zu geben, anstatt Altkleider aus Deutschland hinzufliegen. Geld dafür verdient ein Wohlfahrtsverband beispielsweise durch den Verkauf von aussortierten Altkleidern.

Für diese wird momentan ein „verrückt hoher Preis“ gezahlt, so Huber. 390 Euro pro Tonne erhält das BRK derzeit vom Sortierbetrieb. Vor zehn Jahren war es gerade mal ein Drittel, doch in den letzten Jahren gewannen die Altkleider stetig an Wert: 2011 wurden 270 Euro gezahlt, ein Jahr später schon 315 Euro. Was zunächst nach einer guten Nachricht klingt, hat für die Wohlfahrtsverbände auch Schattenseiten. Denn der hohe Preis lockt auch gewerbliche und illegale Sammler an.

2120 Tonnen Altkleider sammelte das BRK im Jahr 2012. Im ersten Halbjahr 2013 hat das BRK bereits weniger gesammelt als 2012. „Aufs Jahr hochgerechnet werden es wohl 100 bis 150 Tonnen weniger sein,“ schätzt Huber. Der hohe Tonnenpreis gleicht den finanziellen Verlust aus. Doch das Rote Kreuz muss auch seinen Keller für den Winter füllen. Bisher stehen erst in einem von drei Räumen 70 Kleiderständer mit je 150 Kleidungsstücken. „Ich glaube nicht, dass sich das Trageverhalten der Bürger geändert hat“, meint Huber.

Verantwortlich für den Sammelrückgang seien vielmehr illegale Sammler, die ohne Genehmigung Container auf Privatgrund aufstellen. Ein Dutzend solcher Container hat das BRK in diesem Jahr bereits auf Wunsch der Grundstücksbesitzer abtransportiert. Wer die heimlichen Aufsteller sind, darüber kann Huber nur Vermutungen anstellen.

Wohlfahrtsverbänden droht Konkurrenz

Neben gewerblichen und illegalen Sammlern droht den wohltätigen Sammlern auch noch von anderer Seite Konkurrenz. Seit im Juni 2012 das reformierte Kreislaufwirtschaftsgesetz in Kraft getreten ist, dürfen auch Kommunen Container aufstellen. In vielen deutschen Städten ist das bereits der Fall, in Nürnberg jedoch nicht.

Huber ist dankbar dafür, denn ohne Altkleidersammlung müssten die meisten Wohlfahrtsverbände ihre Arbeit wohl aufgeben. „Und irgendwer muss sich doch um die armen Leute kümmern“, sagt Huber. Im Kleiderladen kann man sich von Kopf bis Fuß für wenig Geld einkleiden, in der Kleiderkammer ganz umsonst. Damit das BRK auch günstige Schuhe anbieten kann, kauft es diese antizyklisch beim Großhändler und bietet sie zum Selbstkostenpreis an. Wie notwendig die Hilfe des BRK ist, verdeutlicht Huber an einem aktuellen Vorfall: Ein Obdachloser wird ins Krankenhaus eingeliefert. Seine Kleidung ist so schlecht, dass sie weggeworfen wird. Damit er nicht nackt entlassen werden muss, bringt ein BRK-Mitarbeiter Kleider in der richtigen Größe vorbei. Um bei einem Hausbrand oder anderen Notfällen Betroffene anziehen zu können, sitzt beim BRK rund um die Uhr ein Mitarbeiter am Telefon. Der kann unbürokratisch Kleider aus dem Lager zu Bedürftigen bringen.



Günstige, gebrauchte Kleidung bekommt man in Nürnberg nicht nur beim Roten Kreuz, sondern in vielen anderen Second-Hand-Geschäften. Einen Überblick bietet der erste Second-Hand-Guide, den Simone Alberti, die Gründerin von Rauschgold und Irina Gossmann, die Geschäftsführerin von Vinty’s, herausgegeben haben. Darin sind auf über 50 Seiten Adressen von Second-Hand-Läden und Flohmarkttermine gesammelt. Die bisherige Resonanz war rundherum positiv, und da die 10000 Heftchen schon beinahe vergriffen sind, soll im Frühjahr 2014 die nächste Auflage erscheinen. Das Hauptanliegen des Guides ist es, Second Hand bekannter und beliebter zu machen. Simone Alberti ist das ein echtes Anliegen: „Ich finde es wichtig, dass ein Kleidungsstück, so lange es tragbar ist, Wertschätzung erfährt und dass sich jemand daran erfreut.“

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