Nur die Ausnahme? So häufig sind Abschiebungen in Nürnberg

6.4.2021, 20:09 Uhr
In Bayern sind mehrere Ankerzentren in Betrieb. 

© Stefan Puchner/dpa In Bayern sind mehrere Ankerzentren in Betrieb. 

Das Tauziehen um ein Bleiberecht für Sara A. hatte sich monatelang hingezogen, vor einigen Tagen wurde sie mit einem Sammelcharterflug nach Äthiopien gebracht. Von "ihrer Heimat" kann nicht wirklich die Rede sein, die 22-Jährige ist hier geboren und aufgewachsen. Wohl wahr: Sie hat sich einiges zuschulden kommen lassen. "Aber wie es soweit kommen konnte, hat nie jemanden interessiert", bedauert Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat.


In Nürnberg geboren: Sara A. wurde nach Äthiopien abgeschoben


Aktionen wie Sammelabschiebungen, zuletzt etwa auch nach Armenien, und mehr noch Schicksale wie dieses sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Und die Fälle sind häufig verzwickt. Aktuellstes Beispiel: Obwohl eine Beratung im Petitionsausschuss des Landtags noch aussteht, wurde der 73-jährigen Galina K. die Abschiebung angedroht. Die Rentnerin ist dement, psychisch krank und ist in einem Heim gut untergebracht.

Ihr Sohn lebt mit seiner Familie in Nürnberg und gilt als bestens integriert. "In der Ukraine, ihrer früheren Heimat, hat sie niemanden mehr, sie wäre im Alltag auch völlig hilflos. Und das ist leider kein Einzelfall", betont Sabine Arnold von der Nürnberger Sinn-Stiftung, die Menschen aus der früheren Sowjetunion begleitet.

Dschungel der Paragrafen

Dabei ist die Rechtslage klar: Wenn Menschen eine Anerkennung als Flüchtling versagt bleibt und auch sonst kein triftiger Grund für ein Bleiben vorliegt, müssen sie das Land verlassen. Klingt zwar einfach, ist im Dschungel der Paragrafen aber doch kompliziert und erst recht in der Umsetzung. Allein schon die sogenannte Duldung ist in verschiedene Kategorien aufgesplittet.


Kommentar: Ausländerbehörde setzt nur Gesetze um


Prinzipiell liegt die Entscheidungsgewalt über Asyl, Flüchtlingsstatus und Abschiebehindernisse bekanntlich beim Nürnberger Bundesamt für Migration und Asyl (Bamf). Dazu spielen aber bayerische Instanzen eine entscheidende Rolle: die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) unter dem Dach der Regierung von Mittelfranken sowie das Landesamt für Asyl und Rückführungen. Das ZAB ist auch für Galina K. zuständig - wie vorzugsweise für alle Ausländer ohne Asylstatus und Bleibeperspektive.

"Würden oft gerne alles auf den Tisch legen"

Das zur Nürnberger Stadtverwaltung gehörende Ausländeramt sitze dagegen in den allermeisten Fällen am kürzesten Hebel, beteuert Olaf Kuch. Nach langen Jahren als Amtsleiter zeichnet er weiter für sie verantwortlich, nun aber eine Etage höher als Stadtrechtsdirektor. Und beklagt ein Handicap: In der öffentlichen Debatte um mehr oder weniger dramatische Einzelfälle ziehe das Amt häufig schon wegen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes den Kürzeren. "Wir würden oft gerne alles auf den Tisch legen, was für die Bewertung eine Rolle spielt, dürfen aber nicht."

Eine Abschiebung sei, beteuert er, grundsätzlich nur der allerletzte Schritt. Komme doch alles mögliche in Betracht, um auch nur die Aufforderung zur Ausreise zu vermeiden - von einer Eheschließung, über eine Ausbildung oder Beschäftigung bis zu humanitären (in der Regel medizinischen) Gründen.

"Wir schieben niemanden ab, bei dem ein Bleiberecht in Betracht kommt"

Laien und Betroffene sind heillos überfordert, sich in dem Paragrafen-Katalog samt allen Bedingungen zurechtzufinden. Genau hier setzt auch einer der entscheidenden Kritikpunkte des Bayerischen Flüchtlingsrates an: "Die Ausländerbehörden sollten und müssten die Betroffenen auch aktiv über ihre Rechte und Möglichkeiten informieren und aufklären", fordern Alexander Thal und seine Kollegin Johanna Böhm. "Das machen aber nur wenige von sich aus und die Nürnberger, nach unseren Erfahrungen, gar nicht." Das habe offenkundig politische Gründe, unterstellen sie.


Kommentar zu Abschiebungen: Ringen um Menschlichkeit


Vor allem gut integrierten Jugendlichen und schon qualifizierten Geduldeten könne ein Aufenthalt gewährt werden - das müsse ihnen aber einer sagen, sodass sie das auch beantragen können. Viele Flüchtlingsberater werden es Kuch deshalb kaum abnehmen, wenn er beteuert: "Wir schieben niemanden ab, bei dem ein Bleiberecht in Betracht kommt, sofern wir über die nötigen Informationen verfügen".

Über "Spielräume" verfüge die kommunale Behörde jedenfalls nicht. Selbst wo in Regelungen ausdrücklich von einem "Ermessen" die Rede ist, gebe es dafür enge Vorgaben der Ministerien. Flüchtlingsberater kommen da immer wieder zu anderen Einschätzungen, etwa wenn es um Arbeitserlaubnisse geht. Viel stärker fallen allerdings, räumt auch der Flüchtlingsrat ein, verschiedene Gesetzesverschärfungen der jüngeren Zeit ins Gewicht. So wurden vor allem die Hürden zur Anerkennung von Krankheiten als Hindernis für eine Abschiebung deutlich höher gehängt.

Bayerische Härtefallkommission als Brücke

Außergewöhnliche Einzelfälle soll in Nürnberg künftig eine neue Kommission noch einmal jenseits aller Rechtsakte unter die Lupe nehmen können. Sie soll nach dem Vorbild der bayerischen Härtefallkommission gebildet werden. Darauf hatten sich CSU, SPD und Bündnisgrüne im Stadtrat schon nach der letzten Kommunalwahl verständigt. Inzwischen sind die Vorbereitungen soweit gediehen, dass der Stadtrat demnächst einen offiziellen Beschluss fassen kann.

In dem Gremium sollen drei Stadträte und Vertreter des Menschenrechtsbüros, des Integrationsrats und des Einwohner- und Bürgermeistersamts zusammenarbeiten und eine Person berufen werden, die als Mitglied der bayerischen Härtefallkommission die Brücke dorthin bildet. Denn der Nürnberger Einzelfallkommission sind konkrete Entscheidungen verwehrt, sie soll im Zweifel aber Problemfälle an die Landesebene weiterleiten können. Deren Voten landen am Ende beim Innenministerium, das sich bisher in aller Regel aufgeschlossen gezeigt und dem Vorschlag entsprochen hat.