Pandemie-Skurrilitäten: Corona-Hilfen für Todeskandidaten in den USA

24.1.2021, 20:21 Uhr
Pandemie-Skurrilitäten: Corona-Hilfen für Todeskandidaten in den USA

© Arndt Peltner

Ich rede jetzt nicht von Verschwörungstheoretikern im Trump Lager, die felsenfest davon überzeugt sind, dass die Demokraten Kinder entführen, diese sexuell ausbeuten und anschließend verspeisen. Auch nicht von Leuten, wie einst eine Interviewpartnerin, die mir mit ernstem Gesicht davon berichtete, wie sie mehrmals in der Nacht vom “Mothership” abgeholt worden war und auf den Mars gebracht wurde.

Nein, diesmal passieren die komischen Dinge ganz im alltäglichen Leben und quasi vor meiner Haustür. Seit über 25 Jahren bin ich mit einem zum Tode Verurteilten auf Death Row in San Quentin befreundet. Eng befreudet, wie ich das kürzlich in dem Deutschlandfunk Kultur Radiofeature “Mein Freund im Todestrakt” beschrieb.

Reno kenne ich schon lange, ich bin über die Jahre zu seiner Vertrauensperson geworden, der einzige, der ihn seit seiner Verhaftung 1978 noch besuchen kommt. Über die Todesstrafe, Leben auf Death Row, aber auch über die Zustände und das Überleben in San Quentin habe ich viel berichtet. Über Theaterprojekte und den Glauben hinter den dicken Mauern, über ein ausgezeichnetes Zeitungsprojekt, Musik und Poetry. Ich stand mehrmals vor dem beeindruckendsten Wandbild, das ich je gesehen habe, gemalt von Alfredo Santos, einem Häftling in den 1950er Jahren. War dort, wo Johnny Cash sein berühmtes Konzert gab. Ich sprach mit zum Tode Verurteilten vor ihrer Hinrichtung, mit Gang Mitgliedern, die nach einem wilden und gefährlichen Leben draußen in der Endstation San Quentin landeten und hier ihr verbliebenes Leben umdrehten.

Alltag in San Quentin

Und ja, ich war auch in diesen kleinen Zellen, 2,30 Meter mal 1,40 groß/klein. Im Normalstrafvollzug sind sie da zu zweit untergebracht, auf Death Row alleine. Und in so einer wohnt und lebt Reno. Er nennt es, wie alle anderen auch, sein “house”. 1978 wurde er verhaftet, seit 1980 ist er in San Quentin. Manchmal geht er auf den Hof, ein etwa 10x10 Meter großer Käfig, in dem er dann mit anderen Gefangenen einige Stunden zusammen ist. Aber oftmals bleibt er alleine in seiner Zelle. Die Freizeit- und Bildungsprogramme, die es im normalen Strafvollzug gibt, sind weitgehend für die Death Row Insassen gesperrt. San Quentin ist zwar das älteste Gefängnis in Kalifornien, aber beliebt bei den Insassen. Das liegt daran, dass es mehr als 70 Angebote von Freiwilligen gibt, die helfen wollen. Das reicht von Yogagruppen bis hin zu einer “Prison University”, von einem Radioprojekt bis hin zu Ausbildungsmaßnahmen in handwerklichen Berufen.

Im Todestrakt ist das anders. Da wird alles in der Zelle gemacht, was eben geht. Man kann sich, wenn man die Einstufung erhält, zum Kunstprogramm anmelden, Farben und Blätter erwerben und dann in der Zelle kreativ sein. Das heißt, die schmale Matratze wird auf den Boden vor das Bettgestell gelegt, das dann als Schreibtisch dient. Gottesdienste werden auch auf Death Row angeboten, dafür werden die Gefangenen in Hand- und Fußfesseln in einen Käfig gebracht, der Priester, mit einer stichsicheren Weste bekleidet steht dann in einem weiteren Käfig und hält die Messe. Das ist Alltag in San Quentin.

Corona-Hilfen auch für Gefangene

Reno erzählte mir mal, dass er mit einem Arzt sprach und ihm erklärte, dass er sich oft müde, energielos, unmotiviert fühlt. Eigentlich kein Wunder bei diesem täglich, eintönigen Leben. Der Arzt verschrieb ihm daraufhin Anti-Depressiva. Und dann gibt es auch noch solche Neuigkeiten, die selbst mich nach all den Jahren noch beeindrucken. Vor einer Woche rief mich Reno an und meinte, ob er mir einen Scheck zuschicken könne, damit ich damit immer mal wieder für ihn Päckchen bestelle. Klar, meinte ich, aber woher hat er nun das Geld? Er erklärte, jeder Häftling habe die “Covid Relief Assistance” der Regierung erhalten, also jeder Gefangene, auch im Todestrakt, bekam einen größere Scheck zugeschickt, um damit die Corona-Krise zu überstehen. Ich musste lachen, als ich das hörte. Da warten über 700 Männer auf ihre Hinrichtung, aber gleichzeitig denkt der Staat fürsorglich an sie. So können sie die Wirtschaft, sprich die offiziellen Bestellungskanäle für Gefangene nutzen. Das hier ist wirklich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

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