Prozess: Auch in Nürnberg prangt "Judensau" auf Kirche

4.2.2020, 15:59 Uhr
Am sogenannten Weltgerichtsportal von St. Lorenz hält der Tod den Sarg eines Juden zu (erkennbar an dem Judenhut auf dem Sargdeckel). Im Mittelalter glaubten Christen, dass die Juden Tod und Teufel verfallen sind.

Am sogenannten Weltgerichtsportal von St. Lorenz hält der Tod den Sarg eines Juden zu (erkennbar an dem Judenhut auf dem Sargdeckel). Im Mittelalter glaubten Christen, dass die Juden Tod und Teufel verfallen sind.

So ist an der Fassade von St. Sebald in sieben Metern Höhe ebenfalls eine "Judensau“ angebracht: Das steinerne Monument zeigt zwei Juden an den Zitzen des Tieres, während zwei weitere eine Fressschale und einen Topf für die Exkremente des Schweins halten.
Die evangelische Sebalder Kirchengemeinde überlegt, wie sie mit dem mittelalterlichen Zeitdokument umgehen soll: Offensiv erklären? Einen jüdischen Künstler beauftragen, die leeren Konsolen oberhalb der "Judensau“ aus heutiger Sicht zu gestalten? Oder die in Stein gefasste Schmähung ganz entfernen?

Die sogenannte "Judensau" am Ostchor von St. Sebald.

Die sogenannte "Judensau" am Ostchor von St. Sebald. © Michael Matejka, NNZ

Der Sebalder Pfarrer wünscht eine "ergebnisoffene Diskussion“ und eine Entscheidung: Theologe Martin Brons schwankt zwischen den beiden letztgenannten Varianten. "Die 'Judensau‘ ist ein Stachel in unserem Fleisch“, so Brons. Er hat mit Mitgliedern der Israelitischen Kultusgemeinde gesprochen: "Ich fühle ihren Schmerz jeden Tag, wenn ich am Sebalder Ostchor vorbeikomme.“

Seit 15 Jahren ist in der Kirche ein Faltblatt erhältlich, das über die historischen, antisemitischen Darstellungen an dem Gotteshaus informiert. Axel Töllner, früherer Sebalder Pfarrer und heutiger Beauftragter für christlich-jüdischen Dialog der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, hatte an dem Flyer mitgearbeitet.

Weitere antijüdische Darstellungen

Ihm sind weitere antijüdische Darstellungen an Nürnberger Kirchen und Altären bekannt. Er verweist auf das Sebalder Marienportal: Dort sind Juden mit verkrüppelten Händen dargestellt. Bei einer Wendeltreppe in St. Lorenz wurde ein jüdischer Grabstein eingebaut. Man hatte das Andenken an den Menschen regelrecht mit Füßen getreten. Der Stein wurde vor 50 Jahren an die jüdische Gemeinde zurückgegeben.

Cadolzburger "Judensau": Steinernes Schmähbild des Rassenhasses

Am Weltgerichtsportal von St. Lorenz sitzt der Tod auf einem Sargdeckel: Das soll bedeuten, dass Juden nicht auferstehen, wenn nach christlichem Glauben das Weltgericht am Ende der Zeiten stattfindet.

"Das Böse ist hässlich"

Beim Dreikönigsaltar in St. Lorenz hat Hans Pleydenwurff, der Lehrer von Michael Wolgemut, im Jahr 1460 den Kindermord von Bethlehem gemalt. Einer der Schergen hat auf seinem Gewand hebräische Buchstaben. Auch bei Passionsbildern werden oft Juden mit verzerrten Gesichtern dargestellt. "Das Böse ist hässlich — so sahen Christen über Jahrhunderte ihre jüdischen Zeitgenossen“, meint Theologe Töllner.

Er ist absolut gegen eine Entfernung der Sebalder "Judensau“: "Sie beweist, dass der Antisemitismus nicht erst bei den Nationalsozialisten aufgekommen ist, sondern zu unserer weit über 1000-jährigen Geschichte gehört.“ Für Töllner ist die anstößige Skulptur eine Herausforderung, sich mit Antisemitismus heute und dem Juden in Nürnberg auseinander zu setzen.

Dies geschieht übrigens auch bei den Katholiken. Ihre Frauenkirche steht auf der Synagoge, die bei einem Pogrom 1349 zerstört wurde. Ein am Altar in den Boden eingelassener Davidstern erinnert ebenso an den jüdischen Vorgängerbau wie der Tabernakel, der in Form jüdischer Thora-Rollen gestaltet ist.

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