Prozess in Nürnberg: So arbeitet die türkische Callcenter-Mafia

8.1.2020, 14:46 Uhr
Zwei angebliche Polizisten müssen sich vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth verantworten.

© dpa Zwei angebliche Polizisten müssen sich vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth verantworten.

Nun sitzen wieder zwei Männer (beide 28 Jahre) vor Gericht, und wieder erhebt die Staatsanwaltschaft den Vorwurf, dass die Angeklagten ihre Mitmenschen skrupellos um ihr Vermögen gebracht haben. Die Rede ist von zwölf Fällen, gewerbsmäßigem Bandenbetrug und einem Gesamtschaden von 701.850 Euro. Die Angeklagten sitzen in U-Haft. Sie sollen als Kuriere fungiert haben – es sind kleine Ganoven wie sie, die von den Ermittlern bei Bandenkriminalität in der Regel zuerst erwischt werden.

Laut Anklage sitzen die Hintermänner in der Türkei, genauer in einem Callcenter, dessen Geschäftsmodell systematischer Betrug ist. Die Mitarbeiter dort telefonieren Nummern ab, die vorher gekauft wurden – bevorzugt, dies wird in diesem Strafverfahren deutlich, werden Menschen angerufen, deren Vornamen auf ältere Semester schließen lassen: Mehrere Geschädigte dieses Betrugs heißen "Liselotte", "Margarete" und "Hans-Dieter". Adresshändler gelangen an diese Daten häufig per Gewinnspiel oder Preisausschreiben. Über ein technisches Verfahren erzeugten die Anrufer eine Telefonnummer, die der Notrufnummer 110 ähnelt – diese Nummer erscheint bei den Opfern im Display und soll die Glaubwürdigkeit der Täter erhöhen.

"Geheime Polizeioperationen"

Die Trickbetrüger verschanzen sich im Ausland hinter dem Telefon, geben sich als Ermittler aus und fabulieren von geheimen "Polizeioperationen". Sie jagen den Adressaten Angst ein und setzen sie gehörig unter Druck. Sind die Geschädigten bereit, Schmuck, Wertgegenstände und Bargeld "zu ihrer eigenen Sicherheit", wie die Betrüger es formulieren, herzugeben, werden die sogenannten Abholer geschickt – wie in diesem Fall die beiden 28-Jährigen.

Es braucht nicht viel kriminalistischen Spürsinn, um zu ahnen, dass diese Abholer leicht erwischt werden und es eine gehörige Portion Naivität braucht, sich auf diesen "Job" einzulassen. Die beiden Angeklagten sind arbeitslos und kämpfen mit Suchtproblemen, gut möglich, dass die 2. Strafkammer am Ende des Strafverfahrens in ihrem Urteil die Einweisung der beiden in ein Entzugskrankenhaus anordnen wird.


Um 700.000 Euro geprellt: Telefonbetrüger in Nürnberg vor Gericht


Als Abholer, so sagt es Strafverteidiger Ralf Peisl, bekam sein Mandant, er gilt als Hauptangeklagter, als Entgelt immer 600 Euro – egal, ob er 10 000 Euro erbeuten konnte, wie bei einer 55-Jährigen im Nürnberger Stadtteil Gebersdorf oder sich Bargeld und Schmuck im Wert von 207.500 Euro erschlich, wie bei einer 74-jährigen Fürtherin. Bei der Frau in Gebersdorf meldete sich ein Anrufer als Oberkommissar Schwarz und warnte vor einer rumänischen Einbrecherbande, die in der Nachbarschaft unterwegs sei. Er sprach von einer Liste, die jene Gruppe angeblich führte – darauf sei auch ihr Name und ihre Kontonummer notiert. Um die Gefahr zu bannen, werde ein Polizist ihr Geld abholen.

Eine ähnliche Geschichte tischte ein Anrufer der Fürtherin auf, auch sie ließ sich in ihrem Anwesen in der Hardenbergstraße besuchen, und übergab, um ihr Vermögen zu sichern, dem Abholer ihren Schmuck und ihr Bargeld. In der Valentin-Dretzel-Straße, in der Nähe des Nürnberger Südfriedhofs, wurde eine 67-Jährige um 45.950 Euro geprellt. Als sie in der Sparkassenfiliale Finkenbrunn weitere 11.500 Euro abheben wollte, witterte eine Mitarbeiterin der Bank den Betrug. Bei dieser Straftat gelingt es offenbar, auch an die Täter im Ausland zu kommen: Sein Mandant, so Rechtsanwalt Peisl, habe bereits einen Hintermann genannt, derzeit werde auch gegen diesen ermittelt.

Organisierte Kriminalität

Tatsächlich sind Kronzeugen, also Zeugen der Anklage, die selber Täter sind, oft die einzige Chance für die Justiz, einen Blick hinter die Kulissen der organisierten Kriminalität zu werfen. Im Klartext heißt dies auch: Kriminelle, die auf ihre "Ganovenehre" pfeifen, ihre Hintermänner verraten und der Justiz bei der Aufklärung von Straftaten behilflich sind, haben die Chance auf eine mildere Strafe. Zu Prozessbeginn sind die Vorstellungen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung zum Strafmaß zu hören: Freiheitsstrafen zwischen fünf und achteinhalb Jahren stehen im Raum. Laut Anklage trieben die Angeklagten ihr Unwesen auch in Münster, Stuttgart, München, Filderstadt in Baden-Württemberg, Witzenhausen in Nordhessen und Quedlinburg in Sachsen-Anhalt. Der Prozess geht weiter.