Steigende Mieten machen viele Arme in Nürnberg noch ärmer

11.1.2020, 05:39 Uhr
Günstiger Wohnraum ist besonders knapp. Sozial Schwächere ziehen nur um, wenn es gar nicht anders geht – der steigende Eigenanteil an der Miete lässt ihnen oft nichts mehr für Kleidung oder Hausrat.

© Bernd Wüstneck/dpa Günstiger Wohnraum ist besonders knapp. Sozial Schwächere ziehen nur um, wenn es gar nicht anders geht – der steigende Eigenanteil an der Miete lässt ihnen oft nichts mehr für Kleidung oder Hausrat.

Die Mieten steigen und steigen, ebenso und teilweise noch stärker die Nebenkosten – ein Ärgernis für jeden, der nicht in den eigenen vier Wänden wohnt. Eine echte, immer häufiger kaum noch tragbare Belastung aber ist das für Bezieher niedriger Einkommen, sei es von schmalen Löhnen, Mini-Renten oder Leistungen vom Jobcenter oder Sozialamt. Denn ihnen bleibt immer weniger fürs sprichwörtliche tägliche Brot.

Zwar werden für Hartz-IV-Empfänger und Senioren, die auf Grundsicherung angewiesen sind, die „Kosten für Unterkunft und Heizung“ übernommen – aber nur bis zu bestimmten "Richtwerten“ (früher einmal „Mietobergrenzen“ genannt). Die aber bleiben, nicht erst seit gestern, deutlich hinter dem tatsächlichen Niveau zurück. Das sollte, jedenfalls in der Theorie, die Betroffenen dazu animieren, ja zwingen, sich eine günstigere Bleibe zu suchen.

Keineswegs nur Großstädte betroffen

Doch solche sind auf dem Wohnungsmarkt kaum mehr zu finden. Wer noch eine günstige Wohnung hat oder findet, gilt als Glückspilz. Die Folge in der Praxis: Wer von Grundsicherung leben muss und nicht umziehen kann, muss die Differenz zwischen der Jobcenterleistung und der tatsächlichen Miete aus seinem sogenannten Regelsatz für die allgemeine Lebensführung bestreiten. Das trifft allein in unserer Region einige Tausend Haushalte – und keineswegs nur in den Großstädten.

Beispiel Forchheim: Auch dort spricht das Sozialamt von einem angespannten Wohnungsmarkt und beschreibt das Los einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern. Obwohl sie in Vollzeit arbeitet, benötigt sie eine „Aufstockung“ durch Arbeitslosengeld II – und muss monatlich rund 150 Euro selbst zur Mietüberweisung beisteuern. Geld, das ihr zuletzt etwa für eine Autoreparatur fehlte. Ein Verhängnis: Ohne Wagen gelangt sie nicht zur Arbeit.

Paare geraten bei Trennung oft in Bedrängnis

Sogar fast 200 Euro muss eine Frau aus der Gartenstadt monatlich drauflegen beziehungsweise sich buchstäblich vom Mund absparen. Seit einem tragischen Unfall kann sie nicht mehr arbeiten und bezieht eine kleine Rente. Eine Nürnbergerin aus Reichelsdorf ist wegen der Mietkostenübernahme inzwischen vor das Sozialgericht gezogen und erhofft sich, unterstützt von der Gewerkschaft ver.di, eine Klärung: Ist es ihr zuzumuten, monatlich gut 100 Euro für die Miete von jenem Betrag abzuzwacken, der ohnehin schon als Existenzminimum gilt und für Nahrung, Kleidung und Hygiene gedacht ist?

In finanzielle Bedrängnis geraten übrigens nicht zuletzt Paare bei einer Trennung oder Scheidung: Durch den Auszug eines Partners – wie übrigens auch eines erwachsenen Kindes – kann die Wohnung nach der amtlichen Messlatte auf einen Schlag zu groß und damit zu teuer werden, was Betroffene dann oft schwer ausgleichen können.

Probleme auch in den Nachbarstädten

Die Nürnberger Richtwerte waren zuletzt vor zwei Jahren um durchschnittlich acht Prozent angehoben worden. Seither sind beispielsweise für eine Person (50 Quadratmeter) 397 Euro (einschließlich Betriebskostenanteil) vorgesehen, für zwei Personen (65 Quadratmeter) 506 Euro. "Das war schon damals deutlich zu wenig“, protestiert der Nürnberger Linken-Stadtrat Titus Schüller, "zumal fast keine Wohnungen zu diesen Preisen zu finden waren“.

Selbst in den Nachbarstädten Fürth (417 Euro) und Erlangen (443 Euro, jeweils für einen Ein-Personen-Haushalt) würden höhere Mietkosten für Grundsicherungsempfänger übernommen. Schüller fordert eine Anhebung in Nürnberg auf mindestens 525 Euro, der Betrag, der bei der Wohngeldberechnung (die allerdings einer anderen Systematik folgt) als "angemessene“ Miete für einen Ein-Personen-Haushalt gilt. So ruft der Stadtrat alle Grundsicherungsempfänger auch auf, Widerspruch gegen ihren Sozialamts- oder Jobcenter-Bescheid bezüglich der Mietkosten einzulegen.

Stadt wehrt sich gegen Vorwurf der Untätigkeit

Gestützt auf umfangreiche Daten, die ihre Kollegen im Bundestag auf eine Kleine Anfrage erhielten, machen die Linken noch eine ganz andere Rechnung auf: Schon 2018 seien den Betroffenen in Nürnberg insgesamt mehr als sechs Millionen Euro vorenthalten worden; im Schnitt habe jeder vierte Grundsicherungsempfänger knapp 100 Euro monatlich selbst beisteuern müssen. Die "Unterdeckung" habe sich damit seit 2011 mehr als verdoppelt.

Zwar seien wohl einige Klagen anhängig, räumt Nürnbergs Sozialreferent Reiner Prölß ein, allerdings sei ihm kein Fall bekannt, in dem die Stadt in punkto Mietkostenübernahme bisher den Kürzeren gezogen habe. Schon jetzt gewähre die Stadt in vielen Fällen einen Zuschlag von zehn Prozent zum Richtwert, unter besonderen Umständen (etwa bei einer Behinderung) auch noch mehr, macht Prölß geltend. Zumal Umzüge nur noch begrenzt und sinnvoll sind – weil geeignete Wohnungen fehlen und die Umzüge wiederum viel Geld verschlingen.

Nachdrücklich verwahrt er sich gegen den Vorwurf der Untätigkeit: Einer höchstrichterlichen Vorgabe folgend, laufe derzeit sehr wohl eine Überprüfung der Richtwerte, betont Prölß. Im April solle das Ergebnis im Sozialausschuss vorgelegt werden. Dann können die Stadträte grünes Licht für eine Erhöhung der Richtwerte in einer genau aufgeschlüsselten Tabelle geben – vermutlich dürfte sie im Schnitt bei etwa zehn Prozent liegen.

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