Wo die Kavallerie in den Sattel stieg
22.12.2011, 00:00 UhrWir beginnen an der Bärenschanzstraße 8b, am ehemaligen Kommandantenhaus der reichstädtischen Kavallerie. Heute gehört das Grundstück zum Zentrum Bayern Familie und Soziales. Über dem Eingang des zweigeschossigen Sandsteingebäudes aus dem Jahre 1721 mit den rot-weiß gestreiften Fensterläden sind die Wappen der Nürnberger Patrizierfamilien Paumgartner, Geuder, Fürer und Grundherr zu sehen, die einst die Kriegshauptleute der Reichstadt waren.
Das Haus wurde in der Mitte einer sternförmigen Artilleriebastion aus dem Dreißigjährigen Krieg, der Bärenschanze errichtet. Als Teil einer 1632 entstandenen, 25 Kilometer langen Verteidigungsanlage schützte die Bärenschanze das Gebiet westlich der Reichstadt vor möglichen Angriffen der Armee Wallensteins.
In den folgenden Jahrhunderten entstand auf dem Gelände eine große Kasernenanlage, die Bärenschanzkaserne, von der heute allerdings nur noch wenige Gebäude erhalten sind. Die Schanzenanlagen selbst verschwanden bereits um 1820 aus dem Nürnberger Stadtbild. Der östliche Teil der Kaserne, zwischen Roon- und Bleichstraße gelegen, wurde bis 2003 vollständig mit dem Büro- und Wohnkomplex „Bärenschanze“ überbaut.
In dem geräumigen Bauwerk sind unter anderem die Evangelische Hochschule Nürnberg und die Verwaltung der Pharmafirma Novartis untergebracht. Im westlichen Teil blieb das mehrgeschossige Kavalleriegebäude Bärenschanzstraße 8a erhalten. Es diente früher der Unterbringung von Pferden und Reitern unter einem Dach. Aus der ehemaligen Reithalle ( An der Reithalle 25-27) entstand in den letzten Jahren eine moderne Loftwohnanlage der gehobenen Klasse.
Nachdem mehrere Investoren gescheitert waren konnte letztendlich das Wohnbauprojekt „Cavallestro“ 2009 abgeschlossen werden. Nur die Südfassade mit den beiden Pferdekopfmedaillons erinnert noch an die Zeit als hier bayerische Reitersoldaten ihr Handwerk erlernten. Die Halle war 1860/61 im historisierenden Tudorstil errichtet worden, einer Spielart der Neugotik. Damit folgte man noch einer Richtlinie des 1848 verstorbenen Königs Ludwig I., der die Pläne von Kasernenneubauten stets höchstpersönlich begutachtete und nicht selten nach seinen Wünschen abändern ließ.
An der Kreuzung Bärenschanz-/Willstraße entsteht aktuell auf dem Areal der ehemaligen Kulturfeldkaserne eine große gemischte Wohn- und Gewerbeanlage. Die letzten Backsteinbauten der 1879/81 errichteten Kaserne wurden bereits 2010 abgebrochen.
In den beiden Kasernen war von 1832 bis zur Auflösung 1919 das 1. Königlich Bayerische Cheveaulegers-Regiment stationiert. Der französische Begriff „Cheveaulegers“ steht dabei für die leichte Kavallerie und war für die fränkische Zunge nur schwer auszusprechen. Deshalb bezeichnete der Volksmund die berittenen Soldaten als „Schwolongscheers“ oder kurz „Schwolli“. Die Offiziere wohnten meist mit ihren Familien in den umliegenden Wohnvierteln und die Soldaten stellten einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor im Stadtteil dar. Die Einheit erlitt im 1. Weltkrieg schwere Verluste.
Zwischen den Kriegen nutzte die berittene Landespolizei und später die Wehrmacht die Kasernenanlage. Nach Beseitigung der schweren Bombenschäden des 2. Weltkriegs setzte eine vielfältige Nutzung des Areals ein. Auf dem weitläufigen Anwesen waren unter anderem ein Sanitärgroßhandel, ein Möbelgeschäft, ein Elektrohandel, ein Fahrradgeschäft, ein Reifenhandel, ein Getränkemarkt, die Schule der „Englischen Fräulein“ und die Johanniterunfallhilfe ansässig. Heute befinden sich neben staatlichen Behörden ein Parkhaus, ein Geschäftshaus sowie eine Kindertagesstätte und –krippe auf dem Gelände.
Hinter dem Gebäude Bärenschanzstraße 40, der ehemaligen Friedhofsverwaltung, befindet sich der alte jüdische Friedhof. Eine der ersten Aufgaben der 1862 gegründeten Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg war es einen geeigneten Begräbnisplatz zu finden. Die Zeit drängte, da die Fürther Gemeinde den Nürnbergern die Mitnutzung des jüdischen Friedhofs in Fürth gekündigt hatte. Nach einigen rechtlichen Schwierigkeiten lag 1863 von höchster Stelle die Genehmigung vor, an der Bärenschanzstraße einen eigenen Friedhof anzulegen, der schließlich 1864 eingeweiht werden konnte.
Neben den Gründern der Kultusgemeinde, den Rabbinern Gustav Josephstal und Dr. Bernhard Ziemlich fand dort als bekannteste Persönlichkeit der Bleistiftfabrikant Heinrich Berolzheimer, ein Ehrenbürger von Nürnberg und Fürth, seine letzte Ruhestätte.
Bereits um 1900 gelangte der Friedhof an seine Kapazitätsgrenzen und die Kultusgemeinde erwarb 1905 westlich des damaligen „Centralfriedhofs“ (heute Westfriedhof) ein neues Gelände an der Schnieglinger Straße. Seit 1910 bis zum heutigen Tage werden die verstorbenen Nürnberger Juden auf dem neuen jüdischen Friedhof beigesetzt: Die alte Begräbnisstätte wurde geschlossen und ist für die Öffentlichkeit leider nur selten zugänglich.
An der Bärenschanzstraße 48 fällt ein altes Backsteingebäude auf. Es handelt sich hierbei um den ehemaligen Verwaltungssitz der Lederer-Bräu, das letzte noch erhaltene Gebäude der Firma. Der Gastwirt Christian Lederer erwarb 1814 eine Brauerei in der Altstadt. Nach schwierigen Anfangsjahren expandierte die Firma kontinuierlich. Seine Nachkommen verlegten aus Platzgründen die Brauerei ab 1881 an die Bärenschanzstraße und wandelten den Familienbetrieb 1890 in eine Aktiengesellschaft um. Zeitgleich entstand damals nach einem Entwurf von Friedrich Wanderer das bis heute bekannte Markenzeichen, das berühmte Ledererkrokodil.
Die Ledererbrauerei war die erste Nürnberger Braustätte, die Dampfmaschinen für die Produktion einsetzte. Die Brauerei ging 1972 in der Patrizierbräu des Schickedanzkonzerns auf. Die Marke Lederer verschwand zeitweise vom Markt wurde jedoch bald wieder neu „entdeckt“ und vermarktet. Seit 1995 wird in der Lederer Kulturbrauerei an der Sielstraße wieder Ledererbier gebraut. Die funktionsfähige Dampfmaschine in der Gaststätte ist eine besondere Attraktion und der Biergarten zählt zu den beliebtesten in Nürnberg.
Auf dem Weg zu unserer letzten Station erblicken wir rechter Hand eine große graue Mauer. Dahinter verbirgt sich das Untersuchungsgefängnis Nürnberg. Die Anlage entstand 1900 als Ergänzung zum Zellengefängnis in der Mannertstraße.
Nun erreichen wir das Ziel unseres Spaziergangs: den Justizpalast. Als letztes vollendetes Bauvorhaben der Kaiserzeit in Nürnberg weihte der bayerische König Ludwig III. den repräsentativen Monumentalbau 1916, also mitten im 1. Weltkrieg ein. Die Räumlichkeiten konnten jedoch nicht für ihre eigentliche Bestimmung genutzt werden, denn in den fertiggestellten Gebäudeteilen richtete die Verwaltung ein Militärkrankenhaus ein.
Erst 1922 bezog die Justizverwaltung das fortan Justizpalast genannte Gerichtsgebäude. Der Zentralbau des im Stil der Neorenaissance gestalteten Gebäudekomplexes besitzt eine lange Schaufassade mit Steinfiguren von bedeutenden Männern der Rechtswissenschaft.
Da das Bauwerk nur mäßige Bombenschäden im 2. Weltkrieg erlitten hatte und weil sich unmittelbar dahinter das Zellengefängnis befand, wählten die Siegermächte den Nürnberger Justizpalast als Ort für die Kriegsverbrecherprozesse aus. Der berühmte „Saal 600“ erinnert zusammen mit der 2010 eröffneten Dauerausstellung „Memoriam Nürnberger Prozesse“ an die Gerichtsverfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof.
Die Rückgabe an die Justizverwaltung erfolgte nach und nach in den 1960er Jahren. Heute ist der Justizpalast Sitz des Landgerichts Nürnberg-Fürth sowie des Oberlandesgerichts, des Amtsgerichts und der Staatsanwaltschaft Nürnberg.
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