„Sozialhilfe des Staates“ für Gemeinden kommt zu spät

27.03.2015, 18:05 Uhr
„Sozialhilfe des Staates“ für Gemeinden kommt zu spät

© Foto: Brigitte Grüner

Flächengemeinden, Kommunen mit wenig Gewerbebetrieben und Gemeinden mit verhältnismäßig geringer Besiedlung sind in Bayern im Nachteil. Zumindest finanziell. Stefan Frühbeißer stellt solche Thesen nicht nur auf, er kann sie auch begründen. Mit Argumenten und Zahlen. Nicht nur als Bürgermeister, sondern auch als Kreisvorsitzender des Bayerischen Gemeindetags befasst er sich viel mit kommunalen Finanzen.

Herr Frühbeißer, welche Einnahme-Arten können von den Gemeinden kaum beeinflusst werden?

Stefan Frühbeißer: Das sind im Grunde die Beteiligung an der Einkommensteuer, die Schlüsselzuweisungen und die Gewerbesteuer. Bei letzterer legt die Gemeinde zwar den Hebesatz fest; wie viel und ob ein Betrieb überhaupt Gewerbesteuer zahlt, liegt am Unternehmenserfolg.

Der Freistaat unterstützt Gemeinden, die wenig eigene Einnahmen haben, mit den sogenannten Schlüsselzuweisungen. Hat dieses System auch Nachteile?

Frühbeißer: Ja, denn die entsprechenden Schlüsselzuweisungen kommen im Grunde immer zwei Jahre zeitversetzt. Ein Beispiel: Steht eine Kommune 2014 schlecht da, dann kommen die Schlüsselzuweisungen nicht 2014, wenn sie nötig wären, sondern 2016. Da kann es der Gemeinde sogar finanziell etwas besser gehen.

Welche Einnahme-Arten werden in ihrer Höhe von den kommunalen Gremien festgelegt?

Frühbeißer: Dies sind vor allem die Grundsteuer und die Gewerbesteuer, deren Hebesätze im Stadt- oder Gemeinderat festgelegt werden. In der Regel bleiben die Sätze in der Region viele Jahre gleich. Wir müssen froh sein, wenn Gewerbebetriebe bleiben. In den Ballungszentren wird wesentlich mehr Gewerbesteuer bezahlt. Einen derart hohen Satz würden wir unseren Betrieben gar nicht zumuten. In der Hand der Gemeinde liegen auch die Beiträge und Gebühren für Wasserversorgung, Kanalisation und Friedhofsnutzung. Da es sich hier um kostenrechnende Einrichtungen handelt, wird auch nur der tatsächliche Aufwand umgelegt.

Das Konnexitätsprinzip heißt so viel wie: „Wer anschafft, der zahlt.“ Funktioniert dieses Prinzip in der Praxis immer?

Frühbeißer: Nein, es wird vielmehr oft umgangen. Ein Beispiel ist der Digitalfunk, der in ganz Bayern eingeführt wird. Die Gemeinden müssen ihre Feuerwehren entsprechend ausrüsten. Das kostet viel Geld. Die Geräte werden zwar bezuschusst, der Umbau in den Fahrzeugen geht allerdings auf Kosten der Kommunen.

Ein anderes Beispiel ist die Breitbandversorgung. Laut Grundgesetz ist eigentlich der Bund für die Telekommunikation zuständig. Freilich, der Staat fördert den Breitbandausbau. Pottenstein würde zum Beispiel bis zu 940 000 Euro erhalten. Da wir als Flächengemeinde aber lange Leitungswege haben, müssten wir über eine Million Euro an Eigenmitteln aufbringen. Das können wir nicht.

Oder nehmen wir die Kinderkrippen. „Jedes Kind hat Recht auf einen Platz in der Kinderkrippe“, hat die Politik entschieden. Die Ausgaben dafür müssen die Gemeinden schultern. Der Anbau von Krippengruppen, Neubau oder Sanierung von Kindergärten kosten viel Geld. Der Freistaat fördert zwar, doch auch an den Kommunen bleibt viel hängen. Die geänderten Buchungszeiten erfordern mehr Personal; dieses bezahlt die Gemeinde auch bei anderen Trägern mit. Eine interessante Zahl: In Pottenstein zahlen wir jährlich rund 800 000 Euro für unsere vier Kindertagesstätten.

Was versteht man unter dem Kommunalen Finanzausgleich und wie funktioniert er?

Frühbeißer: Vereinfacht könnte man sagen, dass reichere Gemeinden abgeben und die ärmeren Kommunen das Nötigste bekommen. Ein Instrument dazu sind unter anderem die Schlüsselzuweisungen, die ich gerne als „Sozialhilfe des Staates“ bezeichne. Dieses System ist extrem reformbedürftig. Wenn man sich vorstellt, dass München 2014 die bislang höchsten Einnahmen in Bayern verbuchen konnte, aber trotzdem über 90 Millionen Euro an Schlüsselzuweisungen zugewiesen bekommen hat, wird man schon nachdenklich.

Ist das immer gerecht für alle Gebietskörperschaften?

Frühbeißer: Ich finde es eher ungerecht. Als Grundlage für den kommunalen Finanzausgleich wird nämlich die Finanzkraft einer Stadt oder Gemeinde betrachtet. Durch die „Steuerkraftmesszahl“ werden die nach dem Gesetz relevanten Einnahmemöglichkeiten der Gemeinden aus Steuern wiedergegeben und in Bezug zur Einwohnerzahl gesetzt. Ein Bürgermeisterkollege hat die Zahlen für 2013 verglichen. Im Durchschnitt erreichten die bayerischen Gemeinden eine Steuerkraftmesszahl von 878, im Landkreis Bayreuth nur 509.

Welche Möglichkeiten gäbe es, um den Kommunalen Finanzausgleich für alle gerechter zu gestalten?

Frühbeißer: Wichtig wäre vor allem eine Auszahlung der Schlüsselzuweisungen, wenn dringend Gelder benötigt werden, nicht erst zwei Jahre später. Der Finanzausgleich und die Höhe der Kreisumlage sollten nach einem Durchschnitt der letzten drei bis fünf Jahre berechnet werden, damit extreme Schwankungen vermindert werden. Die Kreisumlage macht uns besonders zu schaffen. Diese ist allein im Kreisdurchschnitt seit 2008 um rund 60 Prozent an gestiegen.

Darüber hinaus hat der Finanzausgleich in seinen Berechnungsmethoden Schwächen. Viele Zuschüsse werden nach der Finanzkraftzahl einer Gemeinde gewährt, die sich wiederum nach der Einwohnerzahl berechnet. Für strukturschwache Regionen mit Einwohnerschwund ist das ein zusätzlicher Nachteil. Orte mit vielen Bürgern bekommen somit mehr Förderung. Das nenne ich zusätzliche „Einwohner-Veredelung“.

Welche Aufgaben übernimmt in diesem Zusammenhang der Bayerische Gemeindetag (BayGT)?

Frühbeißer: Dieser Zusammenschluss, dem fast alle Kommunen im Freistaat angehören, ist quasi die Interessenvertretung der Gemeinden. Man trifft sich hier zum Erfahrungsaustausch und nimmt auch Stellung zu aktuellen politischen Themen.

Was ist der Unterschied zum Städtetag?

Frühbeißer: Die Aufgaben sind eigentlich die gleichen. Als Stadt könnte Pottenstein auch dem Städtetag beitreten. Unsere Interessen vertritt aber der Gemeindetag besser als ein Gremium mit Großstädten. Es heißt, im Gemeindetag sind „die Mehreren“ und im Städtetag „die Schwereren“, also die Kommunen mit mehr Einwohnern und mehr Steuerkraft.

Sie sind im Landesausschuss des BayGT sowie Vize-Bezirks- und erster Kreisvorsitzender. Wie oft sind Sie in dieser Funktion unterwegs?

Frühbeißer: Der Kreisverband trifft sich drei bis vier Mal jährlich, der Bezirksverband etwas seltener. Der Landesausschuss tagt vier Mal pro Jahr. Die verbandspolitische Arbeit – etwa das Ausarbeiten von Stellungnahmen oder das Formulieren von Anträgen – wird natürlich außerhalb dieser Termine erledigt.

Als Vorsitzender des Kreisverbandes des BayGT haben Sie vor kurzem an Finanzminister Markus Söder geschrieben. Worum ging es?

Frühbeißer: Ich habe anhand einiger Zahlen deutlich gemacht, wie schlecht die Kommunen im Landkreis Bayreuth finanziell ausgestattet sind. Trotz dramatischer Einschnitte bei freiwilligen Leistungen konnte etwa die Hälfte aller Gemeinden 2014 keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Die freie Finanzspanne aller 33 Landkreisgemeinden lag 2011 in Summe bei 4,3 Millionen Euro, 2010 sogar nur bei 1,8 Millionen Euro. Die Verschuldung hat sich seit 1990 fast verdreifacht. Nur wo kaum investiert wurde, kamen die Kommunen ohne Neuverschuldung aus. Folge ist ein ganz schlechter Zustand der öffentlichen Infrastruktur. Ich habe dem Minister deutlich gemacht, wie wichtig eine Neuordnung des Finanzausgleichs ist, um gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern zu schaffen, und auch gleich einige Verbesserungsvorschläge gemacht. Eine Antwort steht bislang aus.

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