Hubschrauber verhinderte Hilpoltsteiner Adelstitel
04.08.2017, 06:00 UhrWo man singt, da lass‘ dich ruhig nieder... - und tut man es, so legt Elisabeth Rehm unvermittelt los: Eine Art Ländlermelodie animiert sie zu hohen, sauber geschwungenen Triolen, die ohne jegliche Brüchigkeit daherfliegen. Ganz erstaunlich angesichts des stattlichen Alters der Sängerin. Denn diese ist inzwischen fitte 90 Jahre alt! Daran scheint ihr lebensbejahender Optimismus nicht ganz unschuldig zu sein.
Der habe sich in der Tat immer als treuer Begleiter erwiesen, bestätigt ihre Tochter Rita Kaiser und blickt im freundlich gestalteten Zimmer der Mutter umher. Seit zwei Jahren lebt Elisabeth Rehm im Allersberger Seniorenheim der Wolfsteiner Stiftung. Die Wände hat sie mit fröhlichen Hilpoltsteiner Motiven dekoriert. Naive Malerei aus eigenem Pinsel, die eine Welt unverbrüchlichen Glücks suggerieren. Auch in dem von ihr verfassten Büchlein "Gumorng um an Spitzweck" lässt sie Jugenderinnerungen in einem eher positiven Licht Revue passieren. Dabei hat es das Schicksal nicht immer nur gut gemeint mit der Hilpoltsteinerin.
Ein Kind der Burgstadt
Elisabeth Rehm, Jahrgang 1926, wuchs gemeinsam mit fünf Schwestern unterm Mädchennamen Stengl im Hilpoltsteiner Spitalwinkel auf, wo der Vater einen Milch- und Lebensmittelladen führte.
Demnach atmete sie gewissermaßen schon im Säuglingsalter Burgfest-Atmosphäre ein. Denn 1927 war es, als sich unter großem "Hallo" ein kleines Spektakel Bahn brach im Städtchen: Das allererste Hilpoltsteiner Burgfest enterte die Bühne! Mit Karussell, Kasperltheater, Schubkarrenrennen, Sackhüpfen und einem historischen "Festzügerl" — falls man hinsichtlich der damaligen Zusammensetzung überhaupt davon sprechen mag. Weil: Ihre Durchlaucht Dorothea Maria war inmitten eines bunt zusammengewürfelten Haufens von Burgfräuleins, Pagen und Landsknechten nirgendwo zu entdecken.
Die ritt nämlich – Premiere! — erst 1931 auf dem Marktplatz ein in Gestalt von Berta Heinzenknecht, der aparten Kaminkehrertochter. Sicher staunte damals auch die kleine "Liesel" Stengl über diese wunderschöne Pfalzgräfin — nicht ahnend, dass sie selbst 48 Jahre später als "Beinahe-Gräfin" in die Annalen der Burgfest-Geschichte eingehen sollte...
Doch zunächst tobte der Zweite Weltkrieg los und schleppte innerhalb der marschierenden Soldatenarmadas zahllose Einzelschicksale mit sich.
Nie Kopf hängen lassen
Eines davon gehörte Josef Schilberger, der mit einer verstümmelten Hand von der Front zurückkehrte. Die "Liesel" richtete ihn wieder auf, das Paar heiratete und wurde alsbald mit der Geburt eines kleinen Mädchens sowie etwas später mit der eines Jungen gesegnet. Ein eigenes Haus, dessen Bau man zudem in Angriff nahm, sollte der Familie als heimeliges Domizil dienen. Aber Josef Schilberger durfte diese Heimeligkeit nicht allzu lange genießen; er starb 1958.
Zehn Jahre blieb seine junge Witwe Elisabeth mit den gemeinsamen Kindern allein, ehe sie den Schäfer Albert Rehm kennenlernte und 1968 ehelichte. Es ging also wieder aufwärts, wenngleich Elisabeth – nun eine verheiratete Rehm – den Kopf nie hatte hängen lassen.
Eher Last als Lust
Das war offenbar auch dem Hilpoltsteiner Burgfestausschuss aufgefallen, der seine Fühler stets nach einer geeigneten Pfalzgräfin ausgestreckt hielt. Die zupackende und optimistische Art einer Elisabeth Rehm schien da genau zu passen.
Darum konnte es nicht ausbleiben, dass 1979 ein Ausschussmitglied an deren Tür klopfte und fragte, ob Rita Rehm nicht Lust hätte, die nächste "Vorzeige-Aristokratin" der Stadt zu sein.
Ihre Reaktion? "Ich hab erst gar nicht gewusst, was ich sagen soll...". Und wenn sie‘s heute genau überlege, dann hätte sie "den Gedanken rumgetragen wie einen Stein". Ja, das Ganze sei der bescheidenen Frau zunächst eher Last als Lust gewesen.
Familie um Rat gefragt
Nach einigem Zaudern und nach Rücksprache mit der Familie willigte Elisabeth Rehm schließlich doch ein. Die Nachricht verbreitete sich in der Burgstadt wie ein Lauffeuer und die übliche Instruierung der "Adeligen" konnte beginnen – unter anderem mit Reitstunden auf dem braven "Wotan".
Dazu traf sich die tierliebe Elisabeth Rehm regelmäßig mit ihrem Reitlehrer, dem "Major", im Eckersmühlener Eisenhammer. Sie erwies sich als gelehrige Schülerin, sodass alsbald keine "Außenreitstunden" mehr nötig waren.
Einzig ans Schreiten zur Marschmusik sollte sich der Gaul einmal mehr gewöhnen, wozu man in die Reithalle wechselte.
Musik und Heli-Lärm waren zu viel
"Es war ein Freitag", erinnert sich Elisabeth Rehm gut. Wotan sei festgemacht gewesen. Sie hätte noch mit ihm geredet, ihn gestreichelt – denn der Umgang mit Tieren, "der hat mir immer gefallen". Nach Kontaktaufnahme mit dem Pferd sei sie also aufgestiegen, aus den Lautsprechern habe die Burgfestmusik eingesetzt. Doch damit nicht genug. Im selben Moment war das Dröhnen von Hubschraubern über der Halle zu vernehmen – ein turnusgemäßer Übungsflug von Piloten aus der Otto-Lilienthal-Kaserne.
Jedoch zu viel des Lauten für den guten Wotan! Er scheute, stieg auf und warf die Gräfin in spe unvermittelt ab. "Ich bin aufs Steißbein gefallen und konnt‘ mich nicht mehr rühren", berichtet Elisabeth Rehm. Heute kann sie darüber lachen, doch damals habe der Schmerz ihren Humor kurzerhand erstickt. Rettungssanitäter brachten die Verunglückte ins Krankenhaus, wo der diagnostizierte Steißbeinbruch umgehend medizinisch versorgt wurde. Mit der Pfalzgräfinnen-Würde war‘s nun erst mal vorbei.
Für Elisabeth Rehm eher das geringere Problem, für den Burgfestausschuss eine Katastrophe! Schließlich musste jetzt, so kurz vor dem öffentlichkeitswirksamen Spectaculum, dringend Ersatz her. In der Klinik habe sie "soviel Besuch gehabt, dass ich nicht mehr wusst‘, ob ich krank oder gesund bin", freut sich die 90-Jährige noch immer ob dieses Umstands. In den Gesprächen sei freilich auch das Gräfinnen-Problem ins Zentrum gerückt – bis die zündende Idee geboren war: Elisabeth Wechsler sollte es noch einmal machen! "Mit der war ich übrigens sogar verwandt", kann Elisabeth Rehm in der Rückschau schmunzelnd vermelden.
Zur Erklärung: Elisabeth Wechsler hatte bereits im Jahr zuvor die Dorothea Maria gegeben. Sie wusste also, wie der aristokratische Hase lief – und sagte spontan zu, in der Not auszuhelfen. Wechsler wurde somit als "Zweifach-Gräfin", Elisabeth Rehm als "Beinahe-Durchlaucht" bekannt.
Denn auch, wenn Elisabeth Rehm das Sprüchlein der Dorothea Maria noch immer aufsagen kann – die so abrupt abgeworfene Rolle wollte sie nie wieder übernehmen...
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